Weltuntergangsuhr - © Foto: APA/AFP/Hastings Group Media/Handout

Weltuntergang? Das Schweigen der Theologie im Endzeitgeplapper

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Sprachgewaltig wird angesichts von Ukrainekrieg und ungebremster Klimakatastrophe das Ende der Welt herbeigeschrieben. Dabei blüht die theologische Diktion – und sie bleibt zugleich seltsam stumm. Ein Essay.

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Sprachgewaltig wird angesichts von Ukrainekrieg und ungebremster Klimakatastrophe das Ende der Welt herbeigeschrieben. Dabei blüht die theologische Diktion – und sie bleibt zugleich seltsam stumm. Ein Essay.

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Wer hätte gedacht, dass der österreichische Philosoph Günther Anders gut 30 Jahre nach seinem Tod und rund 65 Jahre nach dem Erscheinen seines Hauptwerkes „Die Antiquiertheit des Menschen“ zu so etwas wie einem Philosophen der Stunde werden würde? Lange Zeit galt Anders’ Technikphilosophie als verstaubt, als apokalyptischer Reiter zwischen Welt- und Kaltem Krieg. Sein philosophisches Nachdenken über und seine politischen Warnungen vor „der Bombe“ – mündend in die These von der „Apokalypse-Blindheit“ der Menschheit – wirkten spätestens seit 1989 aus der Welt und aus der Zeit gefallen.

Plötzlich aber hat sich der Horizont wieder verdunkelt. Gleich zwei Gewitterfronten haben sich vor den offenen Himmel geschoben und drücken aufs planetare Gemüt: der Ukrainekrieg mit der Unwägbarkeit einer drohenden atomaren Eskalation, ja, Vernichtung – und das ungebremste Fortschreiten des Menschen in die Klimakatastrophe. Die Vokabularien, mit denen diese Großkrisen beschrieben werden, wurzeln in biblisch imprägnierten, gleichwohl längst hollywoodesk überzeichneten Endzeit- und Weltuntergangsvorstellungen: Das Ende ist nah und nur noch 90 Sekunden entfernt, wie das Bulletin of the Atomic Scientists es im Jänner auf seiner „Weltuntergangsuhr“ symbolisch inszenierte. Selbst die NASA kommt in einer Studie zu dem Schluss, dass die Welt in jene – „Großer Filter“ genannte – Phase der Selbstzerstörung eintritt, die jeder technischen Zivilisation inhärent sei. 200 bis 250 Jahre bleiben uns demnach noch.

Es lebt sich gut in der Apokalypse

Man kann diese überhitzten Metaphern abtun und einer medialen Aufmerksamkeits- und Zuspitzungslogik zuschreiben. Es wird schon alles irgendwie gut gehen. In der Apokalypse lebt es sich doch eh ganz gut. Die Spritpreise sinken, die Urlaubsflieger sind voll. Die Endzeit kann warten. Das sehen nicht nur die Mitglieder der „Letzten Generation“ anders. Vielen dämmert, was Walter Benjamin meisterhaft ins Wort gebracht hat: „Der Begriff des Fortschritts ist in der Idee der Katastrophe zu fundieren. Dass es ‚so weiter‘ geht, ist die Katastrophe.“ Und mit Günther Anders lässt sich ahnen, dass die Verwüstungen des Fortschritts noch nicht an ihren Höhepunkt geraten sind, dass unser Fühlen weiterhin unserem Tun nachhumpelt: „Zerbomben können wir zwar Hunderttausende; sie aber beweinen oder bereuen nicht.“

Die Unfähigkeit zur Umkehr hängt für Anders unmittelbar mit der Unfähigkeit zu trauern, ja zu fühlen zusammen. Beides – die atomare Gefahr ebenso wie die Klimakatastrophe – führt den Menschen an den eigenen Abgrund. Ein Abgrund, vor dem es ihn nicht etwa schaudert, sondern auf den er apathisch zusteuert und auf dem er begleitet wird von einem ganzen Arsenal biblischer, ja, theologischer Begriffe und Drohkulissen: Apokalypse. Weltuntergang. Ende der Zeit. Radikale Kehrtwende als Utopie, als Andersort säkularer Erlösung. Und atomare Vernichtung als säkular geronnener Tun-Ergehen-Zusammenhang – als zwingende Folge menschlicher Hybris.

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