Werdet doch endlich ERWACHSEN!

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Die Mimosen an den Universitäten sind die Komplizen der neoliberalen Heuschrecken und Oligarchen. (Robert Pfaller)

"Erwachsenheit bedeutet für Robert Pfaller,'manche Unannehmlichkeiten oder Übel ebenso als notwendige Begleiterscheinungen des Lebens zu erkennen wie die eigenen Möglichkeiten, sie zu ertragen.'"

Gerade für das Gemeinsame und Allgemeine gibt es in der korrekt gebürsteten Sprachwelt keine Worte mehr. Nur erwachsenes Sprechen ermöglicht solidarisches Sprechen. (Robert Pfaller)

Kindische Unis?

Durch "Triggerwarnings" und "Safe Spaces" versuchen Universitäten im angloamerikanischen Raum, Studierende vor "Mikroaggressionen" zu schützen. Für Robert Pfaller ein Beleg für die Infantilisierung der Gesellschaft.

Alleen/Alleen und Blumen/Blumen/Blumen und Frauen/Alleen/Alleen und Frauen/Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer": Diese sieben poetischen Zeilen, die auf Spanisch in großen Lettern die Fassade der Alice Salomon Hochschule in Berlin zieren, stellen für deren offizielle Studentenvertretung eine unerträgliche Zumutung dar. Das Gedicht repräsentiere nicht nur eine "patriarchale Kunsttradition, in der Frauen ausschließlich die schönen Musen sind, die männliche Künstler zu kreativen Taten inspirieren", sondern erinnere zudem "unangenehm an sexuelle Belästigung, der Frauen alltäglich ausgesetzt sind." Die Hochschülervertreter fordern daher, dass die fast sieben Jahrzehnte alten Verse des bolivianischschweizerischen Lyrikers Eugen Gomringer übermalt werden.

Ähnliche Vorgänge sind international an allen Universitäten zu beobachten, allen voran an jenen im anglo-amerikanischen Raum: Die Studierenden -zumindest eine laute Gruppe unter ihnen -versuchen alles, was ihnen gegen den Strich geht, von sich und ihrer Hochschule fernzuhalten. Überall wittern die Überempfindlichen sogenannte "Mikroaggressionen" - kleinste als übergriffig oder diskriminierend empfundene Äußerungen oder Gesten. Bereits die bloße Anwesenheit von Menschen oder Dingen, die sie als nicht deckungsgleich mit ihrer Weltanschauung empfinden, wird als Akt der Aggression verstanden. Am liebsten würden sie die Universitäten in einen sogenannten Safe Space verwandeln, einen von vermeintlicher Gewalt und angeblichen Diskriminierungen geschützten Ort.

Traumatisierende "Kreuzigung Jesu"?

Immer mehr Hochschulen sehen sich daher gezwungen, sogenannte "Trigger-Warnungen" auszusprechen: Die Studierenden wollen im vornherein darauf hingewiesen werden, dass etwa die im Unterricht verwendeten Bücher dazu angetan sind, ihre zarten Gefühle zu verletzen. Diese unerwünschten Auslöser ("trigger") können Schilderungen von Sex und Gewalt sein, aber auch die bloße Erwähnung von traumatiserenden historischen Geschehnissen wie dem Holocaust. Die Universität Glasgow warnt allen Ernstes Theologiestudenten davor, dass sie in einem Einführungskurs durch die Beschreibung eines grausamen Ereignisses Schaden nehmen könnten -nämlich der Kreuzigung Jesu. Für diese hypersensiblen jungen Menschen wurde der Begriff der "Generation Schneeflocke" geprägt, nicht nur, weil sich deren Angehörige für einzigartig halten, sondern weil sie auch so zerbrechlich sind, dass sie beim leisesten Hauch vergehen.

Zumutungen erwachsenen Sprechens

Für den österreichischen Philosophen Robert Pfaller sind die von der aktuellen Studentengeneration geforderten Triggerwarnungen, Sprachregelungen und Sprechverbote, die lautstarken Klagen über Mikroaggressionen, Diskriminierungen und "kulturelle Aneignungen" ein Beleg für die Infantilisierung der Gesellschaft. Erwachsenen Menschen ist es heutzutage offenbar nicht mehr zumutbar, wie erwachsene Menschen behandelt zu werden, lautet seine These. Erwachsenheit bedeute, "manche Unannehmlichkeiten oder Übel ebenso als notwendige Begleiterscheinungen des Lebens zu erkennen wie die eigenen Möglichkeiten, sie zu ertragen oder zu überwinden", wie er in seinem aktuellen Buch "Erwachsenensprache" schreibt. Die immer weiter verbreitete Haltung des, wie er es nennt, postmodernen Narzissmus jedoch

duldet die Zumutungen erwachsenen Sprechens und Handelns nicht mehr -mit fatalen Folgen für die Gesellschaft.

Alles nur persönliche Befindlichkeit?

Eine dieser Folgen ist die Zerstörung der Öffentlichkeit als politischer und publizistischer Raum. In der Öffentlichkeit nämlich gelten -oder muss man sagen: galten? - andere Regeln als im Privaten. Von erwachsenen Menschen wurde stets erwartet, dass sie ihre persönlichen Belange in der Öffentlichkeit zurückstecken. "Es ist unzivilisiert, andere mit dem eigenen Selbst zu belasten", brachte der Soziologe Richard Sennett diesen Habitus auf den Punkt. Heutzutage ist genau das Gegenteil zu beobachten: Im aktuellen akademischen und auch politischen Diskurs spielen Privatangelegenheiten wie Geschlecht, sexuelle Orientierung und ethnische Herkunft der Beteiligten eine Riesenrolle. Unter diesen Voraussetzungen ist keine sachliche Diskussion mehr möglich, denn diese setzt voraus, dass Argumente unabhängig von den persönlichen Befindlichkeiten der Diskutanten ausgetauscht werden. So aber wird aus jedem Argument ein Angriff auf die persönliche Identität. Mit verheerenden Konsequenzen: "Die Unterwerfung des öffentlichen Raumes unter die Kriterien persönlicher Empfindlichkeit ist die stärkste Ressource zum Abbau bürgerlicher Teilhabe und Politikfähigkeit", wie Pfaller kritisiert.

Für den Philosophen ist es kein Zufall, dass die grotesk gesteigerte Empfindlichkeit zu einer Zeit auftritt, in der die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgeht und das soziale Netz immer brüchiger wird. In seinen Augen benutzt der Neoliberalismus die postmoderne Symbolpolitik, um durch die Begünstigung von ausgewählten Minderheiten über den wachsenden Verlust von Gleichheit und Gerechtigkeit hinwegzutäuschen. "Die Mimosen an den Universitäten sind die Komplizen der neoliberalen Heuschrecken und Oligarchen", ist er überzeugt.

Symbolpolitik statt Solidarität

Die vorherrschende Politik der letzten Jahrzehnte, die Pfaller als "pseudolinke Politik" bezeichnet, habe anstelle von realen politischen Problemen vor allem Fragen behandelt, die erwachsene Menschen eigentlich selbst handhaben könnten: "Durch Ermunterung zur Empfindlichkeit hat sie die Menschen infantilisiert. Dadurch hat sie sie aber auch entsolidarisiert", schreibt der Philosoph. Anstatt wie erwachsene Menschen das Allgemeine im Auge zu behalten und sich realpolitisch zu engagieren, wollen die Schneeflocken nur noch ihre eigenen Befindlichkeiten bevorzugt behandelt oder wertgeschätzt sehen und forcieren eine reine Symbolpolitik. Echte politische Anliegen bleiben dabei auf der Strecke. "Wenn nicht mehr Erwachsenheit öffentlicher Standard ist, sondern diverse Empfindlichkeiten, Herkünfte oder sonstige Beschaffenheiten, dann ist es den Profiteuren der neoliberalen Umverteilung gelungen, die Verlierer in lauter irrelevante, rivalisierende Untergruppen auseinanderzudividieren", analysiert Pfaller: "Das neoliberale Privatisierungsinteresse gelangt mit Hilfe von ermunterten Mimosen zur Durchsetzung."

Was tun? Pfaller jedenfalls fordert die postmodernen Narzissten auf, endlich erwachsen zu werden. Das heißt: nicht mehr ihre eigene Identität und Befindlichkeit zum Maß aller Dinge zu machen, sondern -zumindest in der Öffentlichkeit - Abstand zu sich selbst zu gewinnen und das Private hintanzuhalten; nicht mehr in Schockstarre oder Gezeter zu verfallen, wenn jemand ein böses Wort in den Mund nimmt, in einem wissenschaftlichen Aufsatz das Wort "Vergewaltigung" vorkommt oder ein Liebesgedicht an Universitätsmauern prangt. "Gerade für das Gemeinsame und Allgemeine gibt es in der korrekt gebürsteten Sprachwelt keine Worte mehr", warnt der Philosoph. Die Durchsetzung gemeinsamer politischer Interessen und Solidarität werde durch die postmoderne Symbol- und Pseudopolitik erschwert, weiß Pfaller: "Nur erwachsenes Sprechen ermöglicht solidarisches Sprechen."

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