6613233-1955_14_10.jpg
Digital In Arbeit

Zwischen Chaos und Christus

19451960198020002020

Der protestantische Theologe und Philosoph Franz Fischer hat im Literaria-Verlag, Wien, unter dem Titel „Der abendländische Mensch in der Entscheidung“ vier Essays („Parzival, der Ritter vor Gott und Welt“; „Faust, der Mensch des ewigen Strebens“; „Peer Gynt, der Sucher nach dem Ich-Selbst“; „Zwischen Chaos und Christus“) zu einem nur 125 Druckseiten umfassenden Bändchen zusammengeschlossen, das aber trotz seiner Schmalheit zu einer der aussagekräftigsten Analysen der Situation des Menschen in unserer Zeit gehört. Geistesgeschichtlich ist es der immer noch wachsenden Bibliothek einzuordnen, die Bestandsaufnahme, Phänomenologie und Ueberwindung des abendländischen Nihilismus und Atheismus repräsentiert, das heißt, es wiederholt auf seine Weise sehr eindringlich, was die Bücher Lubacs und Ernst Jüngers, die utopische zeitkritische Literatur der Gegenwart, vor allem aber die große aussagende Dichtung der Gegenwart, die sich in der ..Gerichtssituation“ befindet (Bergengruen, Henz, Kafka, Rilke, Trakl, Sartre und Schröder) und die Geister des späten 19. Jahrhunderts (Ibsen, Nietzsche, Dostojewski) und Tolstoj) im tiefsten aussagen. Fischer, der selbst Dichter ist, hat sich in diese umfangreiche Literatur tief eingecAIle Qfeaersflifin nn/jen eu Dezlehen durch die Buchhandlung „HEROLD“, Wien VIII, Strozzigasse 8 fühlt und konfrontiert nun ihre wesentlichen zeitkritischen und philosophischen Aussagen über den Menschen und die heillos gewordene Welt mit den Aussagen des Evangeliums

19451960198020002020

Der protestantische Theologe und Philosoph Franz Fischer hat im Literaria-Verlag, Wien, unter dem Titel „Der abendländische Mensch in der Entscheidung“ vier Essays („Parzival, der Ritter vor Gott und Welt“; „Faust, der Mensch des ewigen Strebens“; „Peer Gynt, der Sucher nach dem Ich-Selbst“; „Zwischen Chaos und Christus“) zu einem nur 125 Druckseiten umfassenden Bändchen zusammengeschlossen, das aber trotz seiner Schmalheit zu einer der aussagekräftigsten Analysen der Situation des Menschen in unserer Zeit gehört. Geistesgeschichtlich ist es der immer noch wachsenden Bibliothek einzuordnen, die Bestandsaufnahme, Phänomenologie und Ueberwindung des abendländischen Nihilismus und Atheismus repräsentiert, das heißt, es wiederholt auf seine Weise sehr eindringlich, was die Bücher Lubacs und Ernst Jüngers, die utopische zeitkritische Literatur der Gegenwart, vor allem aber die große aussagende Dichtung der Gegenwart, die sich in der ..Gerichtssituation“ befindet (Bergengruen, Henz, Kafka, Rilke, Trakl, Sartre und Schröder) und die Geister des späten 19. Jahrhunderts (Ibsen, Nietzsche, Dostojewski) und Tolstoj) im tiefsten aussagen. Fischer, der selbst Dichter ist, hat sich in diese umfangreiche Literatur tief eingecAIle Qfeaersflifin nn/jen eu Dezlehen durch die Buchhandlung „HEROLD“, Wien VIII, Strozzigasse 8 fühlt und konfrontiert nun ihre wesentlichen zeitkritischen und philosophischen Aussagen über den Menschen und die heillos gewordene Welt mit den Aussagen des Evangeliums

Werbung
Werbung
Werbung

Die drei Figuren Parzival, Faust und Peer Gynt symbolisieren ihm die Stationen des abendländischen Menschen auf seinem Wege zu Gott hin — in die Selbstverschlossenheit hinein — von Gott, dessen Tod verkündet wird, weg, mitten hinein in die höllischen Utopien der „irdischen Paradiese“, die sich alle — da sie „geschlossene Welten“ sind — als „Illusionen“ erweisen müssen. Der Mensch der Gegenwart ist tatsächlich zwischen das luziferische Chaos und Christus gestellt. An den drei „Ver-suArngen Christi“ macht Fischer die drei „falschen Messianismen“, den ökonomischen, technokratischen und politischen Materialismus und Messianismus, der die Menschheit in ein irdisches Paradies erlösen möchte, deutlich. Hier wäre vielleicht neben der materialistisch-aufklärerischen Wurzel dieser Bewegungen noch deutlicher auf ihren gnostisch-chiliastischen Ursprung hinzuweisen gewesen, wie dies Walter Nigg und Friedrich Heer getan haben. (Nebenbei bemerkt, steckt-ja auch schon gnostisches Gedankengut in Wolframs „Parzival“!)

Sehr richtig erkennt Fischer in der „Selbstverschlossenheit' des autonomen individualistischen Menschen das dämonische Prinzip, das auch in den „geschlossenen Welten“ der von Großtyrannen, Großinquisitoren und Managern beherrschten Kollektivstaaten herrscht, den „Insekten- und Ameisenstaaten“ der Jüngerschen Arbeiterwelt. Besonders zu danken ist dem Autor für seine eindrucksvolle Nietzsche-Interpretation, den er als eine der „ergreifendsten Gottsuchergestalten der deutschen und europäischen Geschichte“ begreift. Fischers Forderung: „Wir. müssen uns der radikalen Kritik Nietzsches am christlichen Glauben stellen und dürfen sie keineswegs mit einer leichten Handbewegung abtun“, ist durchaus zuzustimmen. Der Autor setzt sich sehr eindringlich mit Spengler und Freud auseinander, ebenso mit der modernen Existenzphilosophie, von der er aber nur den atheistischen Ast sieht (Sartre) und bestenfalls Jaspers Verständnis für den christlichen Glauben zubilligt. Hier wäre doch auch die christlich-jüdische Möglichkeit der M Buber. G. Marcel sowie P. Wust zu erwähnen gewesen, die ungefähr gleichzeitig bzw. schon vor dem zitierten Ferdinand Ebner den Menschen als „dialogisches Wesen“ erkannt haben. Gerade Marcel hat eindringlich darauf hingewiesen, daß der Mensch und seine Freiheit allein vom göttlichen Du her konstituiert werden. Hier wären eventuell auch die Untersuchungen Leo Gabriels heranzuziehen gewesen. Vielleicht werden die Leser Reinhold Schneiders auch nicht ganz mit der doch noch positiven Bewertung des „Selbsterlösers“ Faust durch Fischer einverstanden sein, der allerdings hier nur konsequent aus der „Gratia-sola-Lehre“ interpretiert wird, indem sich die „Liebe von oben“ in die erlösende „Gnade von oben“ verwandelt. Alois Dempf hat ja schon 1946 festgestellt, daß jede Bemühung um eine „Philosophie der Freiheit“, um die es auch Fischer letztlich bei seinem „Warnruf“ geht, in eine „Theologie der Gnade“ münden muß — angesichts der ungeheuren Bedrohung, in der der Mensch durch die Gewalten der Atomzertrümmerung leben muß.

Der Anruf, der aus dieser schmalen, aber um so gewichtigeren Schrift an uns alle ergeht, sollte nicht überhört werden: Wir alle sind ja zur „Entscheidung“ aufgerufen. Mögen wir sie in dem Geiste treffen, der aus des Autors Sätzen spricht: „Lieber alle Unterschiede hinweg geht es in der Gegenwart und in der Zukunft um ein Gemeinsames aller derer, die in Christus die Epiphanie, die Erscheinung Gottes auf Erden anbeten. Die Trennungswände zwischen den Kirchen und Konfessionen müssen trotz aller Grenzen um der Wahrheit willen dennoch so durchsichtig werden, daß jeder, der mit Ernst Christ sein will, den Bruder in der anderen Konfession erkennt.“

Der Christ der Gegenwart lebt in der „Diaspora“ einer dämonisierten Welt, deren Züge Fischer aus Dichtung und Philosophie der Zeit nachgezeichnet hat. Er hat sich ja schon für Christus entschieden — seines Amtes aber ist es, auch die verirrten Brüder — die „Blinden, Tauben, Stummen“ (Henz) — zurückzuführen aus den Wüsten und „Türmen der Welt“ Fischers Schrift kann vielen dazu eine Hilfe werden. *

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung