Wissenschaftsskepsis: Gefährliches Misstrauen
Gerade für eine Gesellschaft im Krisenmodus ist Wissenschaftsskepsis fatal. Eine IHS-Studie ist ihrer Verbreitung und ihren Ursachen nachgegangen. Über eine zukunftsweisende Debatte.
Gerade für eine Gesellschaft im Krisenmodus ist Wissenschaftsskepsis fatal. Eine IHS-Studie ist ihrer Verbreitung und ihren Ursachen nachgegangen. Über eine zukunftsweisende Debatte.
Knapp ein Drittel der Österreicher und Österreicherinnen stimmt der Aussage zu, dass der Klimawandel natürlichen – nicht menschengemachten – Ursprungs sei. Dass Viren im Labor erzeugt werden, um die Bevölkerung zu kontrollieren, glauben 23 Prozent; und dass Ergebnisse der Krebsforschung zu kommerziellen Zwecken zurückgehalten werden, 21 Prozent. Das sind Ergebnisse der letzten „Eurobarometer“-Studie, einer Meinungsumfrage des Europäischen Parlaments. „Aber nur eine vergleichsweise kleine Gruppe – sechs Prozent – stimmt allen drei Aussagen zu“, sagte Johannes Starkbaum vom Institut für Höhere Studien (IHS) anlässlich einer Erhebung, die den Ursachen von Wissenschaftsskepsis nachgegangen ist. Letzte Woche wurden die ersten Ergebnisse der vom Bildungsministerium in Auftrag gegebenen Studie vorgestellt.
Konnex zu Wahlverhalten
Bei der Wissenschaftsskepsis gebe es zwar Unterschiede zwischen gesellschaftlichen Gruppen, so Starkbaum, sie seien aber nicht sehr groß. Eher skeptisch sind Menschen mit geringerer Bildung sowie Personen, die mit der Demokratie, dem eigenen Leben oder ihrer wirtschaftlichen Lage unzufrieden sind. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Wahlverhalten und dem Vertrauen in die Wissenschaft: Tendenziell hätten Personen, die im rechten politischen Spektrum beheimatet sind, geringeres Vertrauen. Besonders ausgeprägt sei dies bei FPÖ-Wählern, berichtete IHS-Studienleiter Starkbaum.
Hinzu kommt der mediale Wandel, der die ganze Gesellschaft durchdringt: Nutzer von Internetkanälen, die ungesicherte Informationen weiterleiten, neigen laut internationalen Studien verstärkt zur Wissenschaftsskepsis. Mit Kollegen von der dänischen Universität Aarhus haben die IHS-Forscher(innen) quantitative Datensätze und die wissenschaftliche Literatur analysiert. Dazu zählen neben dem „Eurobarometer“ auch Studien des „Austrian Corona Panel Project“ oder der „Wellcome Global Monitor“, wie Starkbaum erläuterte: „Wir sehen in unseren Daten, dass das Desinteresse an der Wissenschaft hierzulande stärker ausgeprägt ist als systematische Skepsis über mehrere Bereiche der Wissenschaft.“ So sagen laut „Wellcome Monitor“ über 80 Prozent der an Wissenschaft Desinteressierten, dass sie dieser „sehr“ oder zumindest „etwas vertrauen“. Desinteresse dürfe daher nicht mit Skepsis gleichgesetzt werden. Die Corona-Pandemie habe hier übrigens zu keinem signifikanten Einbruch geführt. Dagegen zeige sich deutlich, dass die Zufriedenheit mit der Demokratie in den letzten Jahren deutlich abgenommen habe, so der IHS-Experte.
Bereits letzten Herbst hat Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) ein „Zehn-Punkte-Programm zur Stärkung des Vertrauens in Wissenschaft und Demokratie in Österreich“ vorgelegt. So soll etwa eine zentrale Stelle für Wissenschafts- und Demokratievermittlung etabliert werden. Zudem sollen Wissenschafter(innen) als „Botschafter“ ihres Bereichs an Schulen gehen sowie Anreize geschaffen werden, dass sich Forscher verstärkt in der Vermittlung engagieren.
„Ich begrüße es sehr, wenn man an den Schulen mehr Begeisterung für die Wissenschaft wecken will“, sagte der Physiker und Wissenschaftsautor Florian Aigner letzte Woche im Ö1-Mittagsjournal. „Aber damit ist es nicht getan, weil Wissenschaftsskepsis tief in alle Bereiche der Gesellschaft eingesickert ist.“ Es gehe vor allem darum, Wissenschaft als Prozess zu erklären, an dem weltweit Menschen beteiligt sind, die sich gegenseitig kontrollieren und auf Fehler aufmerksam machen. „Wichtig ist die Unterscheidung zwischen verlässlichem Wissen und vorläufigen Erkenntnissen, die weiter zu überprüfen sind. In der Coronakrise haben wir gesehen, dass es gefährlich ist, wenn man etwas bereits als ‚wahr‘ darstellt und die Welt nach drei Wochen wieder anders aussieht.“
Astrologie im Rundfunk
Für den Politikwissenschafter Laurenz Ennser-Jedenastik greift die aktuelle Debatte zu kurz: „Verortet wird das Problem momentan stark in der Bevölkerung (...). Das ist logisch, weil man sich dem Thema derzeit stark mit Bevölkerungsumfragen nähert. Aber der Ansatz blendet aus, welcher Humbug sich teilweise in Institutionen festsetzt“, schrieb der Forscher der Uni Wien auf Twitter: „Warum sendet der öffentlich-rechtliche Rundfunk (!) jeden Sonntagabend eine zweistündige Astrologiesendung? Warum drucken fast alle Tageszeitungen in Österreich Horoskope? Warum erreicht die MFG im Frühjahr 2022 bei den Ärztekammerwahlen in Wien und Niederösterreich bei niedergelassenen Allgemeinmediziner(inne)n
zwölf bzw. elf Prozent der Stimmen? Und die Österreichische Ärztekammer ist sich nicht zu blöd, ein Diplom für Homöopathie anzubieten.“ Sein Fazit: „Indem wir die Wissenschaft implizit als homogen darstellen und unsere Diagnose hauptsächlich in Richtung Bevölkerung lenken, betreiben wir unzulässige Vereinfachung und blenden Probleme in (mächtigen) Institutionen aus. Beides erscheint mir höchst problematisch.“
Dass dem Wissenschaftsjournalismus eine zentrale Rolle in der Vermittlungsarbeit zukommt, ist in dieser Debatte unumstritten. Kaum zu glauben: Bei den Plänen zur neuen Medienförderung bleibt er als Förderkriterium bislang ausgespart.
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