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Jugend unter Druck?

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Die Soziologie hat allen Schwachen und Mutlosen, allen, die ihre Chancen verpaßt und die Hoffnung auf weitere verloren haben, ein Argument der Selbstrechtfertigung geliefert: der Mensch stehe, so heißt es, unter einem Konformitätsdruck, dem er sich kaum entziehen könne.

Dieses Argument taucht insbesondere dann auf, wenn die Sozialchancen der Jugend zur Diskussion stehen.

Die sich nicht viel zutrauen, beklagen den Konformitätsdruck, der von der älteren Generation ausgehe und ihnen den Weg nach oben versperre. Sie beklagen, gezwungen zu sein, sich den Verhaltensweisen und Spielregeln der Älteren anzupassen. Und sind ungehalten, daß der Weg auf deren Sessel über die Mitarbeit in ihren Zusammenschlüssen führt. Sind ungehalten, wenn sie zur Kasse einer Partei gerufen werden. Als ob politische Ämter nicht in allen Demokratien über politische Parteien vergeben würden.

Ein guter Teil der Presse steht Ihrem Jugendphantom bei diesen Klagen bei: Sie sieht die Wirkmög-lichkeiten junger Idealisten in einengende Schranken verwiesen. Und steigert durch solches Mitleid das Selbstmitleid der Ratlosen und wird gerade damit an dem wenigen, was an dieser Behauptung wahr ist, ursächlich schuldig.

Dabei wird glatt über die Verhältnisse hinweggeschaut: die Jungen, die ausziehen um zu klagen, tragen Krawatten aus dem Schrank ihrer Väter und sind glücklich, wenn sie dieselbe Konfektionsgröße haben — und haben sie nicht selten. Betrachten jene als Sonderlinge und Außenseiter, die um eigenen Stil bemüht sind. Die die junge Moderne repräsentieren, waren größtenteils im letzten Weltkrieg schon Soldaten. Wo die Jungen ihre Chance haben, entstehen Gebilde, die wiederum von der Laune einiger ganz weniger abhängen: wenn der Leiter des Studententheaters sich nicht mehr zu den Studenten zählt, muß man um das Theater bangen: so viele drängen nach vorne, daß kaum Auswahl besteht.

Gibt es denn jugendliche Initiativen? Jedenfalls werfen sich alle studentischen Gruppierungen gegenseitig vor, von ihren jeweiligen „Alten Herren“, wie immer diese auch heißen mögen, abzuhängen, und der Kenner hat keinen Grund, diese Vorwürfe für völlig unbegründet zu halten. Konformitätsdruck? Die wenigen initiativen Selbständigen beweisen, daß nicht Druck, sondern Trägheit die Ursache für die Untätigkeit der übrigen ist.

Ich meine im Gegenteil, die Jugend war noch nie so frei wie heute, sie hat noch nie solche Chancen gehabt und war noch nie so wenig beengt. Noch nie wurden so große Erwartungen in die Jugend gesetzt und noch nie war man so bereit, ihr eine Chance zu geben.

Eine andere Frage ist freilich, ob die Chancen, die zu bieten sind, dies sind alle vorhandenen, auch Herausforderung genug sind. Denn nicht Konformitätsdruck, sondern Mangel an echten großen Chancen mag die Ursache der Abwanderung so vieler junger Menschen aus unserem Lande sein. Die dort aber Chancen suchen — und finden —, die auch den Älteren bei uns nicht offenstehen.

Die Fixierung auf die Jugend ist eine nicht auf unser Land beschränkte Erscheinung: in fast allen westeuropäischen Ländern wurden die Führungsgarnituren in Politik und Wirtschaft drastisch verjüngt. Noch vor einigen Jahren schrieb eine angesehene deutsche Zeitung eine Glosse darüber, daß sich für eine Vorstandsstelle ein noch nicht einmal fünfzigjähriger Mann gemeldet habe. Heute gibt es deren viele, die noch nicht vierzig sind. Und einige Betriebe, die zu den größten der Bundesrepublik Deutschland zählen, verkünden stolz, das Durchschnittsalter ihrer Mitarbeiter liege unter dreißig Jahren, und das sind Betriebe, in denen ein unverhältnismäßig großer Anteil akademisch ausgebildete Mitarbeiter sind.

Dies ist bei uns nicht anders: die großen Parteien haben teils verankerte, teils nur praktizierte Altersklauseln und in den Vorzimmern der Spitzenpolitiker sitzen junge Mitarbeiter, die nur selten das dreißigste Lebensjahr wesentlich überschritten haben. Gerade sie sind die Praktiker des Apparats, sie schreiben die Reden und informieren die Presse. Dort sitzen in den Redaktionsstuben ihnen Gleichaltrige, deren Aufsätze unter den Kommentaren gleichberechtigt neben denen ihrer älteren Kollegen stehen. Wann hat es das gegeben, daß Dreißigjährige die Meinung bestimmend mitformen?

An die Hochschulen werden ordentliche Professoren berufen, die diesen fast gleichaltrig sind, und der Studienbetrieb wird weitgehend Assistenten überlassen, die mitten im „Twen“-Alter stehen.

Keine Chancen für die Jungen? Konformitätsdruck? Das würde bedeuten, daß die Erfolgreichen alle Schlappschwänze sind. Das ist so leicht nicht zu beweisen.

Ich wollte eher von einer erstaunlichen Interesselosigkeit der jungen Generation sprechen als von einem Druck auf sie. Das ist, glaube ich, ein Moment, in dem wir uns von unseren Nachbarn unterscheiden.

Mehr als die Hälfte der deutschen Studenten, ergab eine Untersuchung, lesen täglich die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, sind also über das politische, kulturelle und wirtschaftliche Geschehen weitgehend informiert. Gleiches könnte man hier wohl nur vom sportlichen Geschehen behaupten.

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