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Kunstwerk ohne Barrikade

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In der Politik werden vielfach nur die Anliegen jener Gruppen ernst genommen, die auf entsprechende Mitgliederzahlen verweisen können oder die durch die Veranstaltung von Exzessen über die Massenmedien in das Bewußtsein breiterer Bevölkerungsschichten und damit wieder in das Bewußtsein der Politiker eingedrungen sind. Als Beispiel für die Richtigkeit dieser Behauptung kann die gegenwärtige Situation der Studentenschaft angeführt werden. Solange die Hochschüler sachliche Memoranden und Vorschläge zur Reform des Hochschul- und Ausbildungswesens vorlegten, wurden sie wegen ihrer geringen Zahl nicht sehr ernst genommen. Erst als unter dem Einfluß extremer Studentengruppen sowohl die Studenten im Inland als auch im Ausland beinahe wörtlich auf die Barrikaden gingen, hat die Gesellschaft von reformbedürftigen Zuständen im Hochschulsektor Kenntnis erlangt.

Die Künstler stellen in unserer Gesellschaft noch eine viel kleinere Gesellschaftsgruppe als die Hochschüler dar und sind außerdem keineswegs so gut organisiert wie die Studenten. So wenig bedeutend die Künstlergruppe im Hinblick auf die Zahl der Wählerstimmen für die Politiker auch sein mag, so wichtig ist aber die Funktion des Künstlers in der Industriegesellschaft. Der Vermassungstendenz muß die schöpferische Individualität entgegengesetzt werden.

Auch das internationale Ansehen eines Landes wird heute maßgeblich von Künstlern bestimmt, denen es gelungen ist, über die eigenen Landesgrenzen hinaus bekanntzuwerden und die damit auch das Heimatland bekanntgemacht haben.

Wenn man die Situation unter diesen Gesichtspunkten betrachtet, ist es völlig unverständlich, warum man gerade in Österreich, einem Land mit großer künstlerischer Tradition, die keineswegs großen Anliegen der Künstlerschaft durch Jahre hindurch unberücksichtigt läßt. Die Schuld an solchem Verhalten liegt in den meisten Fällen nicht bei den Spitzenpolitikern, sondern bei den Ministerien, die alles nur unter dem Gesichtspunkt der Anrechnung von Vordienstzeiten und mit der Brille der Bürokratie betrachten.

Auch der ÖVP-Regierung, die unter dem Prinzip der Sachlichkeit angetreten ist, ist es bisher nicht gelungen, auch nur geringfügige steuerliche Begünstigungen für die Künstler durchzusetzen. Es geht hierbei keineswegs um bedeutende Mehrausgaben, die zu einem Zeit punkt, in welchem alle Bevölkerungskreise steuerliche Opfer bringen müssen, auch keineswegs für die Künstler gewährt werden können.

Es geht vielmehr nur einfach um die Herstellung eines objektiven Verfahrens bei der steuerlichen Bemessung. Im Bereich gewisser Finanzlandesdirektionen ist es heute noch so, daß Finanzbeamte die Entscheidung darüber treffen, ob das Werk eines Steuerpflichtigen als Kunstwerk anzusehen ist oder nicht. Diese Situation führt dazu, daß irgendwelche bildlichen Darstellungen oder Gebilde von gutwilligen Finanzbeamten ohne Schwierigkeiten als Kunstwerk anerkannt werden, und anderseits hervorragende künstlerische Leistungen vom Finanzbeamten das Prädikat „Kunstwerk” nicht erhalten. Jedermann sieht ein, daß ein Finanzbeamter bei der heutigen Situation in der Kunst einfach überfordert ist, wenn er beurteilen soll, ob es sich um eine künstlerische Leistung handelt oder nicht. Trotz dieser Situation gelingt es den vereinten Bemühungen der verschiedenen Künstlerverbände bisher nicht, das Finanzministerium auch nur zur Herausgabe eines Erlasses zu bewegen, mit welchem den Finanzlandesdirektionen aufgetragen wird, bei der Beurteilung der Künstlereigenschaft das Gutachten einer entsprechenden Fachkommission einzuholen. Selbst die Absolventen der staatlichen Kunstakademien erhalten vom Finanzministerium keineswegs automatisch die mit dem Künstlerbegriff verbundenen Begünstigungen.

Zuerst imüft n in FinaM m-, ter, in den meisten Fallen handėlt es sich um Beamte mit MatyräjJpJi der akademische Bildhauer auch tatsächlich als Künstler einzustufen ist. Die Situation, wie sie heute gegeben ist, stellt eine krasse Benachteiligung der Künstler gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen dar. Kein Finanzbeamter erlaubt sich nämlich ein Urteil über die Frage, ob ein promovierter Arzt doch tatsächlich als Arzt arbeitet, oder ob er zum Beispiel nur ein Laboratorium unterhält. Anders ist die Situation beim graduierten Künstler, der in dem Moment nicht mehr als Künstler angesehen wird, in dem er z. B. ein Atelier für Gebrauchsgraphik unterhält.

Eine generelle Verfügung des Bundesministeriums für Finanzen zur Auslegung der Gesetzesbestimmungen wäre nach der Ansicht erfahrener Juristen und Steuerberater durchaus möglich. Man brauchte gar nicht das Gesetz zu ändern. Und die Verfügung des Finanzministeriums bedeutete für den Bund praktisch überhaupt keinen größeren Ein- nahmeentfall. Warum geschieht es dann nicht? Warum gibt der zuständige Finanzminister den Beamten in der Abgabensektion keine diesbezügliche Anweisung? Noch unklarer wird das Bild, wenn man erfährt, daß eine Finanzlandesdirektion, nämlich die der Steiermark, bereits seit langer Zeit das Gesetz so auslegt, wie es von den Künstlerverbänden vorgeschlagen wird. Was die eine Finanzlandesdirektion tut, muß doch auch die andere Finanzlandesdirektion tun können. Will man in der Regierung so lange zuwarten, bis auch die Künstler in einer verzweifelten Situation zu Protestaktionen schreiten?

Es gibt noch eine Reihe anderer Forderungen, die man leicht erfüllen könnte. So ist zum Beispiel nicht einzusehen, warum die kleinen Staatspreise, die der Bund verleiht, zu einem Teil vom Finanzamt wieder wegbesteuert werden und warum die Richtlinien für die Kunstförderung, die eine Objektivierung des Förderungsverfahrens bringen hätte sollen, bis jetzt nicht veröffentlicht worden sind.

Die Regierung hat nicht mehr lange Zeit, diese Versäumnisse nachzuholen. Wird sie es tun?

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