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Unerwünschte Fremdarbeiter

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Die Schweiz erlebt gegenwärtig eine ihrer schwierigsten Phasen der letzten zweieinhalb Jahrzehnte: Am 7. Juni werden die' stimmberechtigten Schweizer Bürger (zu denen die Frauen noch immer nicht gehören!) über eine Verfassungsänderung zu befinden haben, die der Parlamentsabgeordnete Dr. James Schwarzenbach beantragt hat. Seine Initiative, die er mit den nötigen 50.000 Unterschriften zur Abstimmung bringen kann, verlangt von der Bundesregierung Maßnahmen „gegen die bevölkerungsmäßige und wirtschaftliche Überfremdung der Schweiz“. Die Zahl der Ausländer dürfte dann in keinem Kanton die zehn Prozent der Wohnbevölkerung überschreiten, mit Ausnahme von Genf, wo dieser Anteil auf 25 Prozent limitiert würde. Dieser Beschränkung nicht unterliegen würden: Saisonarbeiter (welche jährlich nicht länger als 9 Monate und ohne Familie in der Schweiz leben), Grenzgänger, Hochschulstudenten, Touristen, Funktionäre internationaler Organisationen, Angehörige diplomatischer und konsularischer Vertretungen, qualifizierte Wissenschaftler und Künstler, Alternsrenter, Kranke und Erholungsbedürftige, Pflege- und Spitalpersonal, Personen internationaler karitativer und kirchlicher Organisationen.

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Die Schweiz erlebt gegenwärtig eine ihrer schwierigsten Phasen der letzten zweieinhalb Jahrzehnte: Am 7. Juni werden die' stimmberechtigten Schweizer Bürger (zu denen die Frauen noch immer nicht gehören!) über eine Verfassungsänderung zu befinden haben, die der Parlamentsabgeordnete Dr. James Schwarzenbach beantragt hat. Seine Initiative, die er mit den nötigen 50.000 Unterschriften zur Abstimmung bringen kann, verlangt von der Bundesregierung Maßnahmen „gegen die bevölkerungsmäßige und wirtschaftliche Überfremdung der Schweiz“. Die Zahl der Ausländer dürfte dann in keinem Kanton die zehn Prozent der Wohnbevölkerung überschreiten, mit Ausnahme von Genf, wo dieser Anteil auf 25 Prozent limitiert würde. Dieser Beschränkung nicht unterliegen würden: Saisonarbeiter (welche jährlich nicht länger als 9 Monate und ohne Familie in der Schweiz leben), Grenzgänger, Hochschulstudenten, Touristen, Funktionäre internationaler Organisationen, Angehörige diplomatischer und konsularischer Vertretungen, qualifizierte Wissenschaftler und Künstler, Alternsrenter, Kranke und Erholungsbedürftige, Pflege- und Spitalpersonal, Personen internationaler karitativer und kirchlicher Organisationen.

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Alle Parteien, von rechts bis ganz links, haben einmütig dieser Initiative den Kampf angesagt. Die verlangten Maßnahmen werden als politisch und wirtschaftlich gefährlich, vor allem aber als unmenschlich verurteilt. Niemand bestreitet zwar die Notwendigkeit einer gewissen Einschränkung der immer noch ansteigenden Ausländerflut, aber eine sture Begrenzung, wie sie Schwarzenbach will, erscheint all jenen, die mit Vernunftgründen an das Problem herangehen, absurd. Wieder einmal aber zeigt sich das gefährliche Phänomen, daß die öffentliche Meinung sich in gefährlicher Stärke von den Trägern der politischen Willensbildung, nämlich den Parteien, entfernt. Im Augenblick ist die Stimmung im Volk auf seifen Schwarzenbachs, wobei nicht gründliche Überlegungen, sondern hauptsächlich emotionale Gründe den Ausschlag geben.

In Wirklichkeit dreht sich das ganze Problem um die Frage der Integration.

Als die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte noch relativ gering war, wäre eine Integration leicht gewesen, vor allem weil diese damaligen Ausländer — zur Hauptsache Norditaliener — Qualitätsarbeiter waren und sich auch politisch ohne Schwierigkeiten hätten eingliedern lassen. Die Regierung hat durch eine falsche Ausländerpolitik diesen Schritt verhindert. Man ging von der Vorstellung aus, in Kürze werde ohnehin eine Wirtschaftskrise ausbrechen, so daß man die Fremdarbeiter im Sinne eines Notventils dann von einem Tag auf den anderen auszuweisen vorsah. Die Krise fand — glücklicherweise — nicht statt, die guten Ausländer aber wanderten zum großen Teil in Länder ab, die sich aufgeschlossener zeigten und die ihnen nicht mit Sonderstatut, Verbot des Familiennachzuges und ständigen fremdenpolizeilichen Einschränkungen das Leben erschwerten. Die schweizerische Wirtschaft, weiterhin in voller Expansion, mußte diese ausreisenden Arbeiter ersetzen und suchte zudem noch neue Arbeits-

kräfte. Süditaliener, Spanier, Jugoslawen, Griechen, Türken und viele andere, die qualitätsmäßig kaum noch den Ansprüchen gerecht wurden und die sich auch menschlich und politisch nv noch schwer integrieren ließen, folgten nach. Heute sind es — bei einer Wohnbevölkerung von rund sechs Millionen — bereits 940.000 Ausländer. Das Problem ist kaum noch zu meistern, und die Ungerechtigkeit gegenüber den Ausländern wächst von Tag zu Tag: Man wirft ihnen vor, sich nicht an die Verhältnisse des Gastlandes zu akklimatisieren, und man verbietet ihnen gleichzeitig, sich gleichberechtigt zu integrieren. Hierin wird die ganze Problematik augenfällig.

Tatsächlich sind ja unterschwellig noch Gründe maßgebend, die man nach außen entschieden abstreitet. So bangen gewisse protestantische oder auch glaubenslose Kreise vor einem allzu starken Anwachsen des katholischen Bevölkerungsteiles, wenn mehr und mehr Italiener und Spanier einwandern. Das relativ subtile Gleichgewicht zwischen den konfessionellen Gruppen, aber auch die linguistische Ausg^lichenhr't zwischen „Germanen“ und „Lateinern“ scheinen vielen Uberängstlichen gefährdet, und schon ist wieder ein Element da, um entgegen allen Vernunftgründen für Schwarzenbach zu stimmen.

Dazu kommt eine Krankheit, die in den letzten drei Jahrzehnten schwelte und die jetzt anläßlich der bevorstehenden Abstimmung zum Ausbruch heranzureifen scheint: die schweizerische Überheblichkeit. Das mag ein hartes Urteil sein, aber tatsächlich gibt es allzu viele Schweizer, die sich und ihr Land zum internationalen Vorbild erheben möchten. Gerade weil die Hintergründe, die den Ausgang der Abstimmung vom 7. Juni beeinflussen werden, so vielfältig sind, konnte sich die öffentliche Meinung so sehr von allen vernunftgebundenen Organisationen entfremden. Gerade deshalb aber droht die Gefahr, daß das Ansehen der Schweiz so oder so Schaden nimmt., Daß der Anteil der fremden-hasserischen Ja-Stimmen groß sein wird, scheint im Augenblick sicher zu sein, und das Ausland wird an dieser Prozentzahl über die Schweiz und ihr Volk urteilen. Die Gefahr, daß das Ja sogar eine Mehrheit erbringt, ist nicht ausgeschlossen.

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