"Biographie ist ein Bastard"

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Erzähltes Leben zwischen Entblößung und Verhüllung.

Vieles kann gegen die Biographie vorgebracht werden: Sie verschleiert, sie verheimlicht, sie lügt. "It is always Judas who writes the biography", hat Oscar Wilde die Rolle der Biographinnen und Biographen wenig schmeichelhaft umschrieben. Mitunter werden sie aber auch zu Komplizen und vertuschen, wovon die Nachwelt nichts erfahren soll. Die Biographie kann ein Leben zur Heldengeschichte verklären, und sie kann Privates und Intimes ins Rampenlicht zerren - nicht nur um der "biographischen Wahrheit" willen, sondern um des Verkaufserfolges oder des Voyeurismus der Leserinnen und Leser willen. Zudem ist die Biographie, zumindest historisch gesehen, ein männliches Genre: Männer haben mit ihren Biographien über so genannte große Männer den Kanon der Literatur, der Kunst, der Geschichte mitgeschrieben und Frauen in den meisten Fällen nicht für biographiewürdig erachtet. Schließlich lässt sich gegen jene Biographien, die nicht geschrieben werden, vorbringen, dass sie sich der Beihilfe zum Vergessen schuldig machen.

Realität des Alltäglichen

Und dennoch: Die Biographie entreißt vergangene Leben dem Vergessen, gerade auch jene, die in totalitären Regimen ausgelöscht wurden. Sie hält dem Nimbus eines als genial stilisierten literarischen oder künstlerischen Werkes die Realität des Alltäglichen entgegen, die auch das Leben scheinbar großer Persönlichkeiten bestimmt. Sie macht den mühsamen und oft langwierigen Weg sichtbar, der zu bedeutenden Texten, künstlerischen Werken oder bedeutsamen Taten geführt hat, ohne dadurch dem Rang des Erreichten die Anerkennung zu verwehren. Mit Biographien über marginalisierte Figuren oder über so genannte "Durchschnittsmenschen" wird zudem eine alternative Geschichtsschreibung betrieben; sie stellen in Frage, dass nur biographiewürdig ist, wer ein bedeutendes Werk hinterlassen hat oder wer als öffentliche Figur in Erscheinung getreten ist.

Die Biographie steht zwischen Literatur und Wissenschaft, sie ist ein "bastard, an impure art" (Virginia Woolf). Sie erzählt eine Lebensgeschichte als Erfolgsgeschichte, als Geschichte der Unterdrückung und Ausbeutung, als intimes Beziehungsdrama oder als Resultat einer vertrackten Eltern-Kind-Beziehung, um nur einige wenige Schemata aus dem Fundus von Biographinnen und Biographen zu nennen. Die Biographie kann gar nicht anders als zu fiktionalisieren. Der Soziologe Pierre Bourdieu hat pointiert formuliert, was die Crux jeder Biographie ist: Er spricht von der biographischen Illusion, "ein Leben als eine einmalige und sich selbst genügende Abfolge von Ereignissen zu verstehen", was "ungefähr so absurd ist wie der Versuch, eine Fahrt mit der U-Bahn zu erklären, ohne die Struktur des Netzes zu berücksichtigen"

In der Biographik des 20. Jahrhunderts finden sich zahlreiche Versuche, die traditionelle Form der Biographie, die ein Leben von seinem Anfang bis zu seinem Ende unter Aufbietung allen erzählerischen Geschicks schildert, zu durchbrechen. Roland Barthes hat eine Autobiographie in Stichwörtern verfasst, und der ungarische Kulturwissenschafter László Földényi hat für die Darstellung von Leben und Werk Heinrich von Kleists die Form lexikalischer Einträge gewählt. In ihrer Ingeborg Bachmann-Biographie ist die feministische Kulturwissenschafterin Sigrid Weigel nicht an der privaten Seite der Autorin interessiert, sondern am "geistigen Prozess", der Bachmanns Texten zugrunde liegt. Eine Biographie ist nie die Darstellung des Lebens selbst, betont Weigel völlig zu Recht, sondern immer eine der Hinterlassenschaften, der Lebensüberreste. Eine der wirksamsten Formen der Biographie, den Vorwurf der Lüge zumindest partiell zu entkräften, ist den Blick in die biographische Werkstatt freizugeben sowie das Verhältnis zwischen dem Biographen und dem biographischen Subjekt selbst zum Gegenstand der biographischen Befragung zu machen.

Inszenierung des Privaten

Die Biographie unterliegt einem "Wechselspiel zwischen dem Bedürfnis nach völliger Entblößung und dem (oft unbeabsichtigten) Drang, sich zu verstecken und zu verhüllen" (László Földényi). Die gegenwärtige Konjunktur der Biographie ist auch der medial inszenierten Zurschaustellung des Privaten geschuldet. Die Grenze zwischen privat und öffentlich verschwimmt zusehends und der Wunsch, sich selbst auszustellen und das ausgestellte Leben anderer zu verfolgen, weist Anzeichen einer kollektiven Sucht auf. Das Private und Persönliche ist gerade in autobiographischen Texten nur vermeintlich authentisch, es ist vielmehr Ergebnis einer Inszenierung. Doris Lessing zufolge ist die Autobiographie auch Selbstschutz, sie schützt vor dem Suchscheinwerfer der Biographen. In jedem Fall muss es eine zentrale Aufgabe jeder Biographie sein, den Funktionen der Selbst-und Fremdinszenierungen einer Figur nachzuspüren. Es müssen die Strategien deutlich werden, die der Kunst der Verschleierung dienen und es ist die Frage zu beantworten, was sich möglicherweise hinter diesem Schleier, hinter der autobiographischen Maske verbirgt - auch wenn eine letztgültige Antwort ausbleiben muss.

Die Gründe für Verhüllungen, für biographische und autobiographische Lügen sind vielfältig. Im Rahmen des Symposiums "Spiegel und Maske. Konstruktionen biographischer Wahrheit" des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte und Theorie der Biographie (siehe Kasten) werden unterschiedliche Fälle von Verschleierung und Lüge in Biographien und Autobiographien diskutiert. Leerstellen in Biographien können ideologisch oder politisch bedingt sein, wie etwa im Fall des Schriftstellers Ernst Jünger oder des rumänischen Religionswissenschafters Mircea Eliade. Von Letzterem existieren Texte, die seine Nähe zur faschistischen Bewegung "Eiserne Garde" kurz vor dem Zweiten Weltkrieg belegen. Auf diesbezügliche Vorwürfe reagierte Eliade stets mit Schweigen oder Verschleierung und es stellt sich die Frage, inwieweit sein Biograph Ioan Petru Culianu Eliades Darstellung folgte und der Lüge zu biographischer Autorität verhalf. Culianu wurde kurz nach dem Sturz Ceaus¸escus ermordet.

Lüge und Wahrheit

Der Biograph macht sich mitunter mitschuldig an der Manipulation des öffentlichen Bildes einer Person; so etwa wenn die Ernst Jünger-Biographen Armin Mohler und Karl O. Paetel zum Teil in Absprache mit Jünger selbst dessen zweifelhafte Rolle in der Weimarer Republik als jemand, der faschistischen Kampfverbänden nahe stand, übertünchen. Durch gezieltes Verschweigen kann so nach 1945 das Bild eines Ernst Jünger entstehen, der mit dem Faschismus nichts zu schaffen hatte.

Die biographischen Bilder und Selbstbilder sind immer in Relation zur vorherrschenden politischen Mentalität zu sehen. Sie sind in Diktaturen den ideologischen Vorgaben der Machthaber ausgesetzt. Fraglich ist, wie sich durch das Sichtbarwerden eines verschwiegenen Aspekts einer Lebensgeschichte auch die Einschätzung des literarischen oder künstlerischen Werkes ändert.

Das erzählte Leben ist immer nur eines von vielen möglichen Leben. Gerade weil ein Leben nie zur Darstellung gebracht werden kann, fasziniert jeder erneute Versuch, einer "biographischen Wahrheit" auf die Spur zu kommen. Denn trotz aller Skepsis halten wir hartnäckig an der Vorstellung von der Erzählbarkeit von Lebensgeschichten fest.

Die Autoren arbeiten am Ludwig-Boltzmann-Institut für Geschichte und Theorie der Biographie.

Biographie-Symposium

Spiegel und Maske.

Konstruktionen biographischer Wahrheit

Ein Symposium des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte und Theorie der Biographie in Kooperation mit der Österreichischen Nationalbibliothek und der Österreichischen Gesellschaft für Literatur.

Mit Beiträgen von Bernhard Fetz (Wien), László Földényi (Budapest), Hiltrud Häntzschel (München), Deborah Holmes (Wien), Ann Jefferson (Oxford), Wolfgang Kreutzer (Wien), Hermione Lee (Oxford), Esther Marian (Wien), Manfred Mittermayer (Salzburg), Caitríona Ní Dhúill (Wien), Annette Runte (Siegen), Hannes Schweiger (Wien), Sigrid Weigel (Berlin).

Montag, 24. April, Oratorium der Österreichischen Nationalbibliothek, Josefspl. 1, 1010 Wien

Dienstag, 25. April, Österreichische Gesellschaft für Literatur, Herrengasse 5, 1010 Wien

Beginn jeweils 9.30 Uhr

Detailliertes Programm: http://gtb.lbg.ac.at

Der Eintritt ist frei.

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