Der Reiz des Luxus
Er stellt keine objektive Messgröße dar, seine Definition ist abhängig von den kulturellen und wirtschaftlichen Standards einer Gesellschaft: Luxus. Über Geschichte und Zukunft eines Phänomens.
Er stellt keine objektive Messgröße dar, seine Definition ist abhängig von den kulturellen und wirtschaftlichen Standards einer Gesellschaft: Luxus. Über Geschichte und Zukunft eines Phänomens.
Es ist eine sehr alte Geschichte: Am Thema Luxus scheiden sich die Geister. Sein Reiz liegt in dem Gefälle, das er offenbart, in der frappanten Diskrepanz von Konsum- und Daseinsweisen innerhalb einer Gesellschaft. Was für die einen erstrebte Lebensform oder Segen des Kapitalismus, gilt anderen als schändliche Prasserei. Der Volkswirt und Soziologe Werner Sombart hat vor hundert Jahren die neutrale Formel geprägt: „Luxus ist jeder Aufwand, der über das Notwendige hinausgeht.“ Mit anderen Worten: Luxus ist ein relativer Begriff, fassbar im Verhältnis zum üblichen Grundbedarf des Menschen – und mithin abhängig von den kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Standards einer Gesellschaft.
Luxus oder Protz
Luxus ist keine objektive Messgröße. Nirgendwo steht in Stein gemeißelt, wie viele und welche Lebensmittel, Kleidungsstücke und Möbel beziehungsweise Bücher, Reisen oder Konzertbesuche angemessen sind. Luxus manifestiert sich auch keineswegs bloß in Quantität, sondern vor allem auch in Qualität. Wo die jeweilige Trennlinie zum Notwendigen verläuft und wie dieses beschaffen sein soll, unterliegt letztlich auch der individuellen Wertung. Das Überflüssige soll Genuss, ein sinnliches, ästhetisches Erlebnis bieten. Doch nicht jeder genießt im Stillen. Luxus wird auch gezeigt, aus sozialem Distinktionsbedürfnis. Die „feinen Unterschiede“ in dieser symbolischen Selbstdarstellung zeigen sich, mit dem Soziologen Pierre Bourdieu gesprochen, aber im erlesenen Stil und guten Geschmack, nicht im ostentativen Zurschaustellen von Fülle. Das ist bloß Protz.
Lambert Wiesing, Philosoph an der Universität Jena, differenziert: Mit Protz stelle man sich innerhalb der Gesellschaft dar, aber „durch Luxus bringt man sich auf Distanz zu den Üblichkeiten und insbesondere zum Leben im Einklang mit einer Zweckrationalität. [...] Die Erfahrung, dass etwas Luxus ist, entsteht durch ein freches, verweigerndes Verhalten gegenüber den eigenen Angemessenheitsvorstellungen.“ (Essay „Orchideenzucht“, erschienen in brand eins, 11/2019). Nach diesem Verständnis wäre Luxus also auch eine Form von Rebellion und Eskapismus.
Die sozialethische Verurteilung von Luxus aber entzündet sich an seinen Exzessen. Der lateinische Begriff „luxuria“ stand ursprünglich für üppige Fruchtbarkeit, ehe eine Bedeutungsübertragung von der (verschwenderischen) Natur auf den Lebensstil erfolgte. Wer sein Vermögen nicht maßvoll oder für das Gemeinwohl einsetzt, gerät seit der Antike in die Kritik religiöser und philosophischer Sittenwächter. Ausschweifung ist auch erotisch konnotiert – und nach christlicher Ethik eine Sünde. Doch bei aller moralischen Breitfront: Die Entfaltung des Luxus trieb immer wildere Blüten. Kein Gesetz, keine Steuer vermochte dieses Verlangen zu zügeln. Der feudale Pomp überdauerte viele Zeitalter (und wird auch von manch heutigen Potentaten betrieben). Legende sind die Extravaganzen der alten Römer, die Prunksucht der Renaissancefürsten oder der Aufwand Ludwigs XIV. für Architektur, Hofgepränge und Maitressen. Solch royale Verschwendungssucht war immer auch Demonstration von Macht. Nicht selten führte sie an den Rand des oder direkt in den Staatsbankrott. Dass der alte imperiale Glanz heute Touristenmassen lockt, ist eine andere Geschichte.
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