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Zwei Herren der Welt

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TIBERIUS. Von Wilhelm G o11ub. Verlag G. D. W. Callwey, München 1959. Preis 22 DM.

Kein Wunder, wenn heute dieses Buch erscheint. — Man braucht kein unbedingter Anhänger von Oswald Spengler zu sein, um zu sehen, wieviel Aehn- lichkeit die heutige Zeit und das Jahrhundert um die Zeitwende haben. Wieviel Aehnlichkeit hatten das 19. Jahrhundert und die Endzeit der römischen Republik! Die Herrschaft der Patrizier, des historischen Adels, ging zur Neige; demokratische Zustande können — wir hören es ja immer wieder — ohne organisierte Parteikämpfe nicht existieren; im Klima der demokratischen Freiheit und, man darf es ruhig sagen, unter dem belebenden Hauch der Parteikämpfe, entfaltete sich ein geistiges Leben von unerreichter Intensität. Das Zeitalter des Cicero und das Jahrhundert Mommsens und Bebels — Literarhistoriker werden sie immer als die goldenen Zeiten der freien Kultur hochpreisen.

Was kommt hernach? Nach Gracchus und Clodius. nach Marius und Sulla kommen Pompeius und Cäsar, Augustus und Tiberius. Dann Caligula, Nero . .. Auf Classen folgt Hitler, auf Bebel Stalin. Was Wunder, wenn wir die Leben der zwölf Cäsaren von Sueton zur Hand nehmen … würden, wenn wir alle Latein könnten wie unsere Väter. So aber freuen wir uns, wenn jemand aus den alten Büchern neue Geschichten über die Führer des römischen Weltreichs macht. Bücher wie „Ich, Claudius, Kaiser und Gott" werden zu Bestsellern; um so mehr Erfolg darf man einem Band Vorhersagen, der sich von Fiktionen freihält und eine wirkliche Information vorlegt.

Gollub schreibt leicht und interessant, mit sympathischen kleinen preziösen Eigenheiten der Sprache und Rechtschreibung Er weiß sehr wohl, was er an den Texten von Tacitus hat, und zitiert sie gern — in alten Uebersetzungen, in gutem Deutsch also! Wir hätten nur gewünscht, daß er sich auf die Zitierung des unübertrefflichen Tacitus im 2. Kapitel beschränkt hätte: das handelt von der Sitzung, da nach Augustus’ Tod der Senat über die Wiederherstellung des kollektiven Prinzips in der Regierung zu beschließen hatte. Der neue Staatsführer betonte mit leidenschaftlichem Nachdruck, wie sehr ihm dieses kollektive Prinzip der Führung am Herzen lag; und zu den Worten des Tacitus ist eigentlich nichts hinzuzüfügen.

Uebrigens gehört Gollub zu jenen Historikern, denen die Rechtfertigung des Tiberius liebgeworden ist. Er mißtraut daher den adelsfreundlichen, republi- kanisch-legitimistischen Zeitgenossen und dem späteren Tacitus und weigert sich auch, an die Orgien in Capri zu glauben. Das mag nun jeder nach seiner Ansicht beurteilen.

Das vorliegende Buch ist natürlich nicht so amüsant wie das unvergleichliche „Bubi Caligula”, welches den Nachfolger des Tiberius vor einem Vierteljahrhundert schilderte. Aber als einen ausgezeichneten Beitrag zur Geschichte der ersten Kaiser wird man es jedenfalls bezeichnen müssen.

DIE WELT MIT DSCHINGIZ-CHAN. Von Julius Overhoff. Verlag Glock und Lutz, Nürnberg.

„Es macht nichts aus, ob das heutige Europa Welthistorie außerhalb seiner eigenen Dynastien und Nationen zur Kenntnis nehmen will oder dafür zu träge ist. Die kommenden Jahrhunderte werden sie ihm einpeitschen." — So verheißt der Schutzumschlag. Der Rezensent hat eine empfindliche Allergie gegen Kraftmeierei — sei sie nun turnerisch oder sprachlich; und diese Verpackung belastet ihn also mit einem ganz bedeutenden Vorurteil gegen den Inhalt. Nun wäre es ja schade, wenn man ungerechterweise ein gutes Buch zurückweisen wollte — ein Buch über ein Thema, das uns freilich interessieren soll.

Der Autor hat, zum Unterschied vom vorhergehenden, nicht Geschichte geschrieben. Er hat — nach der Methode von Gobineaus „Renaissance" — Szenen in dramatischer Form, doch ohne Zusammenhang, aneinandergereiht. Da sehen wir denn China und Schlesien, den sibirischen Urwald und Epirus, Rußland und Indien, Georgien und Venedig — all die Länder, die vom großen Chan unterworfen wurden oder mit ihm zu tun hatten. Die Größe der geschichtlichen Erscheinung des Kaisers aller Menschen und der kulturelle Zusammenhang all dieser Länder des Mittelalters — das kommt dabei sehr schön heraus.

Und dennoch will der unangenehme Beigeschmack nicht weichen, den jene Verpackung dem Inhalt mitgeteilt hat. Nicht als ob sich der Autor jener Kraftmeierei hemmungslos hingegeben hätte, welche in der heutigen deutschsprachigen Literatur so unerfreuliche Erzeugnisse hervorbringt. Ich glaube nicht, daß er im ganzen Buch das Wort „Kerl“ benützt. mit dem gewisse Autoren ihre ekelhaften Helden zu bezeichnen gewohnt sind. Und dennoch, und dennoch — es ist da etwas Krampfhaftes, das uns nicht munden will. Irgendwo scheint der Autor eben doch zu glauben, daß Gewalt und Grausamkeit und Scheußlichkeit den heutigen Leser um ihrer selbst interessieren müssen .. . Und dann: das letzte Kapitel „Himalaja — Sonnenaufgang" — man weiß nicht, stammt dieses Indien von -Hanns Heinz Ewers oder von Gustav Meyrink?

Zum Lobe des Buches sei indes gesagt, daß Literaturangaben und Landkarten angefügt sind. Die Landkarten sind allerdings s o reproduziert, wie sie der Autor selbst aufs Papier gekritzelt hat. Wir erklären dem Verleger hiermit bündig, daß man sich in solchen Fällen einen Mann kommen zu lassen hat, der technisch zeichnen kann; oder einen geschickten Setzer, der die Ortsnamen in die Zeichnung setzt. Solche Karten sind bei einem „Führer durch Hinterziegendorf und Umgebung" erträglich — nicht aber in einem Buch für den Gabentisch. Und ein solches soll es doch wohl sein, denn der Einband ist gut!

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