zack bumm - © Illustration: Helga Bansch / Jungbrunnen Verlag

Heinz Janisch: Wer bin ich?

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Autor Heinz Janisch über das Schreiben von Kinderbüchern, über das Schreiben von Krimis, Identitätswechsel und das Öffnen von Türen.

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Autor Heinz Janisch über das Schreiben von Kinderbüchern, über das Schreiben von Krimis, Identitätswechsel und das Öffnen von Türen.

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Teil 1: Wer bin ich? oder Wie flüchte ich aus einer Schublade?

Ich habe es getan.

Ich habe unter einem falschen Namen einen Tisch reserviert – und es hat funktioniert! Und das ist erst der Anfang.

Ich werde jetzt öfter ein anderer sein, obwohl dieser andere eigentlich ich bin. Es ist mein Training. Ich übe.

Was in der Pizzeria funktioniert hat, muss auch am Buchmarkt funktionieren.

Ich werde ein Buch unter einem anderen Namen veröffentlichen. Das Buch wird von mir sein, aber doch zu einem anderen Ich von mir gehören, meinem zweiten Ich.

Es ist kompliziert, aber machbar

Ein Buch von mir wird erscheinen, und die geschätzten Buchhändlerinnen und Buchhändler werden es nicht sofort in dieKinderbuchabteilung tragen.

Das Buch meines zweiten Ichs wird ganz vorn auf einem Tisch liegen, nahe der Kassa, bei den Krimis und Bestsellern.

Oder zumindest in der Nähe. Jedenfalls nicht zwischen bunten Plastikwindrädern, gepunkteten Fahrradklingeln und Plüschtieren.

Auf dem Buch wird ein Name stehen, der nach Heimweh und Fernweh klingt, nach Provence und Bretagne, nach Capri, Kreta und Mallorca. Die Fotografie auf dem Cover wird eine Küste, eine Klippe, eine Brandung zeigen, ein Segelboot und einen Leuchtturm.

Dieses Buch wird in den Bestsellerlisten stehen. Ich werde die Listen sehen und dem klingenden Autorennamen heimlich zunicken – gut gemacht, zweites Ich!

„Hast Du kein Pseudonym? Nicht einmal ein offenes? Ich hab sogar zwei geschlossene.“

Solche Gespräche mit Autorinnenkolleginnen und Autorenkollegen bei Lesereisen haben mich ins Grübeln gebracht.

Warum sollte ich in einer einzigen Schublade steckenbleiben?

Warum das Schild „Kinderbuchautor“ nicht einfach akzeptieren – und dafür zwei, drei weitere Schilder in Anspruch nehmen?

Ich habe gelernt, dass es offene Pseudonyme gibt – man bekennt sich dazu, dass man unter einem italienischen oder französischen Namen Krimis schreibt, die in Italien oder Frankreich spielen, am besten in Gegenden, in denen man zumindest einmal seinen Urlaub verbracht hat.

Und es gibt geschlossene Pseudonyme, die auf keinen Fall verraten werden dürfen. Niemand soll wissen, dass das dritte oder vierte Ich Erotikromane schreibt oder Science-Fiction-Romane, in denen die Erdkugel explodiert.

Seit diesen Gesprächen denke ich über neue schöne, aufregende Namen nach. Ich erfinde geheimnisvolle Lebensläufe. Unter meinem Namen einen Krimi anzubieten – ich habe es versucht.

„Sie sind doch Kinderbuchautor!“ war mit Entrüstung zu hören. „Warum wollen Sie plötzlich Leute umbringen?“

Ein tadelnder Blick.

„Ich an Ihrer Stelle würde die Finger davon lassen. Sie ruinieren sich noch Ihren guten Ruf.“

Ruinieren ist schlecht. Das will man nicht.

Man will nur zwischendurch so richtig Erfolg mit einemKrimi haben, am liebsten gleich mit einer Reihe, damit man dann wieder in Ruhe Kinderbücher schreiben kann.

Also doch ein zweites Ich?

Die Namensliste wird von Tag zu Tag größer.

Irgendwann muss ich mich entscheiden. Bin ich eher ein Italiener oder ein Spanier? Ein Grieche oder ein Portugiese?

Ein Franzose oder gar ein Amerikaner? Wer bin ich?

Der Südburgenländer in mir tut sich schwer. Dieses Spiel mit der Lüge sorgt für Unbehagen. Darf man ein Buch mit einem Täuschungsmanöver beginnen?

„Warum nicht?“, sagen die Freunde und erfinden ein Abendessen lang die wunderbarsten Namen. Da müssen viele Bücher von vielen Ichs geschrieben werden.

Ich gerate am Ende des Abends in Streit mit mir selbst.

Ist mir mein erstes Ich nicht genug?

Ist es so schlimm, in einer bestimmten Schublade zu stecken?

Kinderliteratur, da geht es um Kinder und um Literatur, beides liebe ich – also ist sie doppelt kostbar, diese Literatur, die auch für Kinder gedacht ist.

Nimm es als Spiel“, sagen die Freunde. „Es macht auch Spaß, in andere Ichs zu schlüpfen. Warum nicht zwischendurch einen Mordfall lösen?“

Das klingt jetzt vielleicht so, als würde ich nicht brennen für das, was ich tue. Als würde ich sie geringschätzen, diese Schublade Kinderliteratur.

Das Gegenteil ist der Fall. Es wäre nur schön, wenn wir nicht für alles Schubladen brauchen würden.

Ich liebe das Schreiben für Kinder. Und dass ich nicht dafür brenne?

Mehr dazu unten, da regnet es ein paar Funken aus der Schublade.

Aber bleiben wir bei der Sehnsucht nach den anderen Büchern, die man auch schreiben will. Romane, Krimis, Novellen – was auch immer.

Wobei – ehrlich gesagt – geschrieben sind sie schon. Zumindest manche davon.

Nur: Wie flüchte ich aus der Schublade?

Vielleicht muss man es einfach riskieren.

So wie ich heute. Das Üben hat geholfen. Ich habe es getan.

Ich habe einen Krimi weggeschickt, auf dem Manuskript steht ein wunderschöner Name.

Ich habe ein Baguette eingekauft, dazu Käse und Rotwein. Mir ist nach Feiern zumute.

Ich weiß jetzt, wer ich bin. Ich bin ein Franzose.

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