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Autorität der reinen Lehre

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Nach einer Reihe von Aufsätzen über die wichtigsten Unterscheidungen zwischen dem Christentum der Kirche Christi und dem esoterischen Christentum der neugnostischen Theosophie und Anthroposophie steht noch die Frage offen nach den Lehrautoritäten beider. Es ist subjektiv für jede Lehrgefolgschaft von höchster Bedeutung, wem sie ihre Gefolgschaft leistet; ob der Verkünder einer Lehre sein Lehramt aus einer göttlichen Vollmacht nachweisen kann, oder ob er sich nur selbst zum Künder bestellt hat und diese Selbstbestellung durch eine geheimnisvolle Berufung durch okkulte Geister zu rechtfertigen sucht.

Als Madame Blavatsky, die Gründerin der Theosophischen Gesellschaft (1875), und Dr. Rudolf Steiner, der Gründer der Anthroposophischen Gesellschaft (1913), sich zur Gründung ihrer Gesellschaften gerufen fühlten, waren es eben diese Geister der „Okkulten Hierarchie“ (auch Adeptbrüder, Eingeweihte, Mahatmas genannt), die sie dazu inspiriert hatten und unter deren geheimem Befehl sie standen. In der entstehungsgeschichtlich sehr informativen Schrift der verstorbenen Präsidentin der Theosophischen Gesellschaft, Frau Doktor Annie Besant, „H. P. Blavatsky und die Meister der Weisheit“, erfahren wir von der ersten Begegnung der Gründerin (1851) mit jenem Adepten, der für ihr persönliches Leben wie für die Gründung der Gesellschaft entscheidend wurde. Es war Mahatma Kut Humi (Tibet), der seiner Schülerin eröffnete, daß er sie auserwählt habe, die Gründerin einer Gesellschaft zu werden, die sich über die ganze Welt ausbreiten sollte. Madame Blavatsky stand von da ab ganz im Banne dieser Berufung und setzte unter diesem Einfluß all die Einzel werke, die schließlich zur Gründung der Gesellschaft führten. Neu bestätigt finden wir die Tatsache, daß die Weisheitsquelle der Theosophie aus

““Furche“ vom 5. III., 11. VI., 17. IX., 22. X. und 5. XI. 1949. dem Wissen jener geheimnisvollen Adeptbrüder fließt, in den Literaturdokumenten der jüngeren Zeit, so zum Beispiel in den „Grundlagen der Theosophie“ von C. Jinarajadasa (Präsident der Gesellschaft).

Da die Theosophie kein geoffenbartes Glaubensgut, sondern nur ein erforschtes Wissen zur Grundlage hat und dieses Wissen nur durch die Adeptbrüder vermittelt wird, ist es wichtig zu erfahren, welcher Geist diese Geister eigentlich beseelt. Sie geben ja auch heute noch von Zeit zu Zeit der Gesellschaft Weisungen, wie die Gesellschaft zu führen sei; sie inspirieren sie und bilden so ihr geistiges Rückgrat. — Der Geist der Adeptbrüder wird eindeutig erkennbar am Kern ihres Verlangens, das aus den Weisungen spricht. Uberdenken wir zum Beispiel jene Weisung schärfer, die in der Nummer 5 des theosophischen Organs, „Adyar“, 1947, festgehalten ist. Da heißt es:

„Niemand braucht oder sollte die Gesellschaft verlassen, weil er mit anderen Mitgliedern, wer sie auch sein mögen, nicht übereinstimmen kann. Laßt keine Orthodoxie in unserer Gesellschaft aufkommen! Gute Mitglieder unserer Gesellschaft, Mitglieder, die wenigstens wir (I) schätzen, sind alle, die sich bestreben, brüderlich zu leben, was auch ihre Meinung über uns oder über etwas anderes (!) sei. Wir verlangen von den Mitgliedern der Gesellschaft als solcher nicht, an etwas gemeinsam festzuhalten, mit Ausnahme des ersten großen Zieles, auf Grund dessen wir sie in den Vorhof unseres Tempels zulassen... (Logen).

Laßt keine Orthodoxie aufkommen! Das ist der Kernpunkt. Unter Orthodoxie versteht die Theosophie jede konfessionell gebundene Religionsgemeinschaft. Im übertragenen Sinne versteht sie unter „Orthodoxie“ jene Geisteshaltung, die durch Verpflichtung auf bestimmte Lehrsätze innerhalb der Theosophischen Gesellschaft den Weg bereiten würde für eine dem Christentum ähnliche Geisteshaltung, nämlich für den Geist der Unterwerfung- und des Gehorsams gegenüber einer lehramtlichen Autorität, wie sie die katholische Kirche in ihrem Oberhaupte, dem Papst, hat. Die gegebene Weisung bedeutet also soviel wie: Flieht den Geist des Gehorsams, denn ihr sollt ein autonomes System sein, da ihr ja selbst göttlicher Natur und daher eure eigenen Gesetzgeber seid.

Auf gleicher Linie verlaufen die Anfänge der Anthroposophie. Auch hier wird der Gründer von einem „Eingeweihten“ oder „Meister“ inspiriert und zur Gründung seiner Gesellschaft bewogen. In seiner Initiation oder Einweihung, über die uns Ed. Schure einigermaßen Aufschluß gibt, sehen wir, wie die geistige Macht des großen geheimnisvollen Lehrers auf seinen Schüler übergreift und seinen an die okkulte Welt hingegebenen Geist erfaßt, in „Strenge“ erfaßt, als „herrischer Geist“ von „wahrhafter Kampfnatur“, für den „die einzelnen Menschen kaum existieren“, der keine Schonung kennt, sondern „alles hinwegfegt“, was sich zu ihm in geistigem Gegensatz stellt, und der den bezeichnenden Rat gibt: „Geh und bleibe du selber!“

Und Schürt legt Wert darauf, sie als geheime Kräfte am Werk besonders zu betonen, denn er fügt hinzu: „Sie greifen nicht in offensichtlicher Weise in die menschlichen Ereignisse ein. Das Inkognito ist die Bedingung ihrer Stärke, aber ihre Wirksamkeit ist deshalb nur um so bedeutender. Denn sie geben die Impulse, bereiten und'lenken diejenigen, die vor die Öffentlichkeit treten ...“

Es ist also in bezug auf die lehramtliche Autorität im theosophischen wie im anthroposophischen Neugnostizismus ein Zweifaches festzustellen: erstens, daß es Geister der „Okkulten Hierarchie“ sind, welche auf die Gründer Einfluß nahmen, und zweitens, daß ihr Wirken ein geheimes Ist. Damit sehen wir das „esoterische Christentum“ des Neugnostizismus im vollen Gegensatz zum Christentum der Kirche Christi stehen. Hier liegt alles offen: Lehre und Lehrer. Es gibt keine Unterscheidung in Esoteriker und Exo-teriker (Eingeweihte und Nichteinge-weihte), sondern die Lehrinhalte des Offenbarungsgutes sind allen verkündet; jeder kann sie aufnehmen nach dem Maße seines Wahrheitsverlangens, nach dem Grade seiner Liebe und nach den Kräften seiner geistigen Kapazität. Hirten und Könige kamen, um anzubeten, das heißt das einfache Volk, wie die gebildeten Stände waren grundsätzlich gerufen. Die frühchristliche Arkandisziplin — sollte man diese ins Treffen führen wollen — ist kein Gegenbeweis. Denn die Arkandisziplin war keine grundsätzliche Zurückhaltung der Lehre, die nur für Eingeweihte bestimmt gewesen wäre, sondern sie war eine rein disziplinare und nur vorläufige Zurückhaltung vor noch nicht genügend Unterrichteten (Kate-chumenen), vor allem aber war sie eine Schutzmaßnahme gegen Profanierung durch die Heiden.

Was aber Christus selbst und seine Lehrautorität betrifft, bedarf es weder einer Erklärung noch einer Rechtfertigung. Er ist der einzige verheißene und absolute Lehrer der Völker, nicht einer unter anderen, sondern der Lehrer katexochen, dessen Berufscharakter es ist, der die Grundvoraussetzung auch für das kirchliche Lehramt, das mit ihm steht und fällt, abgibt.

Erkennbare Merkmale und geoffenbartes Wort! Alles liegt klar, alles liegt gesichert, alles ist für alle da. Die Kirche bricht allen das Brot des Lebens im Leib (Eucharistie) und im Wort (Evangelium) Gottes und läßt keinen außerhalb eines Kreises stehen, in den nur Wissende eintreten dürfen. Sie ist ja die eine bestellte Vermittlerin des Heils und nicht eines Wissens, das hochmutgesättigt dem Heil nur im Wege steht, da es seine Höhe nicht aus der Offenbarung, sondern aus dem vorbehaltenden Geheimnis (Esoterik), das es von anderen unterscheiden soll, herleitet. Es ist der größte Vorzug der Kirche, eine „Massenkirche“ zu sein und keine Exklusivgesellschaft, die für einen relativ kleinen Kreis in einer grandiosen Phantasmagorie von unüberprüfbaren Hypothesen ein Weltbild entrollt, das zwar den Geist in das Spiel esoterisch ausgedeuteter kosmischer Perspektiven verstrickt, ihn aber vom Quell göttlicher Offenbarung abdrängt. Niemals kann das „höhere Wissen“ Madame Blavatskys oder Dr. R. Steiners, das sie von ihrem „Meister“, einem Eingeweihten der „Okkulten Hierarchie“, empfangen haben wollen, ein Garant sein für die Wahrheit ihrer Lehre. Ganz im Gegenteil: es gibt Anlaß zu ernsten Zweifeln und schwersten Bedenken. Denn eine Weltanschauung kann nicht auf der Genialität eines Menschen gründen und schon gar nicht aus den Einflüsterungen fragwürdiger Geister hervorgehen, sondern muß, wenn sie auf objektive Gültigkeit Anspruch erhebt, auf der göttlichen Offenbarung aufruhen und in der Autorität der Kirche. Christi gesichert sein. Nur dann kann sie im Gewissen verpflichten. Der autonome Neugnostizis-mus ist naturgemäß im höchsten Grade interessiert, die autoritären Grundlagen für eine Gewissensbindung nicht anzuerkennen. Seine autonomistischen Bestrebungen werden so zum unfreiwilligen Bekenntnis, daß seine Systeme nicht göttlichen Ursprungs sein können, das „Non serviam“, ich diene nicht, liegt ihm sozusagen im Blut. Letzten Endes ist es ja dieser Kern sittlicher Widersetzlichkeit, der den kühnen Uberbau kosmisch-esoterischer Spekulationen notwendig macht, um den inneren Bruch mit Gott nicht aufscheinen zu lassen. Es ist dieser Bruch, der den menschlichen Geist in solche Unordnung stürzt, daß er sich selbst zur Strafe wird, wie Peter Wust in seinem Abschiedswort an seine Schüler zitierte: „Jussisti enim, Deus, ut sibi ipse sit sua poena omnis inordinatus animus“, „Du hast es so geordnet, o Gott, daß sich selbst zur Strafe wird ein jeder ungeordneter Geist.“ (Augustinus.)

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