Verhüllen und Erwachen

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Die Fastenverhüllungsaktion der Katholischen Kirche hat durch die aktuellen Ereignisse eine Deutungserweiterung erfahren: Die Zeit ist reif für eine Neuaufstellung. Ein Zwischenruf.

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Die Fastenverhüllungsaktion der Katholischen Kirche hat durch die aktuellen Ereignisse eine Deutungserweiterung erfahren: Die Zeit ist reif für eine Neuaufstellung. Ein Zwischenruf.

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Sie haben der groß angelegten "Aktion Glaube" in Österreich die Show gestohlen: der Rücktritt des Papstes am Rosenmontag, die abschließende Himmelfahrt dann mit dem weißen Hubschrauber und die zurückgelassenen roten Kardinäle. Entschwand so der Herr einst den Blicken seiner Jünger?

Die Katholische Kirche ist seit Papst Johannes Paul II., vielleicht schon seit dem II. Vatikanischen Konzil, gekonnt wie keine andere im Medienzeitalter angekommen: Personalisierung und Rituale kommen der medialen Welt entgegen, denn diese braucht symbolisierbare Bilder. Die Kirche braucht keine Flugzeuge, die in Wolkenkratzer rasen, wohl aber schickt sie Bilder von einem levitierenden Hubschrauber neben der Peterskuppel um die Welt, die vor wenigen Wochen noch, in der Nacht nach der Rücktrittserklärung des Papstes, vom Blitz getroffen worden war. Sie kommt nicht an Bildern vorbei, die sie selbst in ihrer 2000-jährigen Geschichte hervorgebracht hat, und sie kann sich dabei subtil kleine Verschiebungen leisten, wenn sie auch mitunter selbst von ihnen getroffen wird. Papst Benedikt XVI., der sich als Lehrer verstand, wurde zu Beginn seines Pontifikates am Weltjugendtag in Köln als ein solcher im Schiff am Rhein strahlend in Weiß ins Bild gesetzt, zur Menge am Ufer predigend. Und ausgerechnet mit der Metapher des Schiffes beendete er sein Pontifikat: Zu sehr werde das Schifflein Petri heute hin und her geworfen, weshalb es einen Jüngeren brauche, der es steuere, so der Papst in seiner berühmten Rücktrittsrede auf Latein. Ein kühner Satz. Wir erinnern uns an das Evangelium und seine Bootserzählung, als Jesus schlief, und daran, was er sagte, als er aufwachte.

Gelb - Kirche - Vatikan

Österreich liegt nicht am Meer. Auch wenn Ingeborg Bachmann selbiges immerhin von Böhmen sagte. Doch dieses Land liefert in diesen Tagen, in denen die Kameras auf die Benediktionsloggia am Petersplatz gerichtet sind, längst einen wichtigen Beitrag: Es präsentiert gelb verpackte Objekte mitten in der Landschaft, Boten des erwachenden Frühlings in Narzissengelb, und wie bereit für einen Umzug, wissend um die Zäsur, die in diesen Tagen durch die Weltkirche geht. Hinter den gelb verpackten Objekten befinden sich Gipfel- und Wegkreuze, Heiligenstatuen, Dorfkapellen. Anlässlich der dramatischen Momente für die Katholische Kirche in den letzten Wochen hat die "Aktion Glaube" eine radikale Deutungserweiterung erfahren: Die Zeit ist reif für eine Neuaufstellung. Dabei war mir anfänglich vor allem die Farbwahl dieser Tücher wie eine Schulanwendung in puncto corporate design frisch abgegangener FH-Absolventen erschienen: gelb, Kirche, Vatikan. Aber nun will es mir als ein schöner Gruß nach Rom aus Österreich erscheinen, das in der Weltkirche gerne mit dem Epitheton "aufmüpfig" in Verbindung gebracht wird. Schließlich erinnert man sich an Sätze: "Keine Sonderwege im Großverband der Weltkirche!", "Die Kirche lebt - vor allem auf der Südhalbkugel!","Europa ist des Glaubens müde!"

Alles wird (einmal) gut

Blickwechsel: Wie soll man ein "Jahr des Glaubens", zu dem der Papst vor einem halben Jahr anlässlich des 50. Jahrestages der Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils geladen hat, in der Öffentlichkeit begehen? Man kennt ja die Probleme. Man kennt die Wassertöpfe, deren Deckel jahrzehntelang nieder gehalten wurden. Man kennt das Drängen auf Reformen. Man kennt das fast aberwitzige Aufschreien derer, die geblieben sind, immer mehr übernehmen müssen und immer müder werden. Und das noch aberwitzigere Abstrafen derselben. Wie kann ein solches Jahr einladend wirken? Man ließ Profis ans Werk. Kein Sud, kein Restkalk verkochten Wassers, keine heißen Eisen, keine Kritik, sondern ein umgekehrter Blick muss her: Glaube ist schön. Es wird (einmal) alles gut. Schließlich hätten sich die Menschen vom kirchlichen Leben bereits so entfremdet, das man diese Message zu positionieren hat. Gibt es überhaupt noch einen Minimalkonsens von Kirche in den Dörfern? Ist es die Armenhilfe? Der Messbesuch am Sonntag? Gemeinsames Beten? Die Integration der Ausgegrenzten? Beistand für Gestrandete? Eine solidarische Ökonomie? Hilfe für junges und altgewordenes Leben? Man wird Schnittmengen finden, nur hat man dorthin nicht die Fühler ausgestreckt. Vielmehr fühlt man sich an den zweiten Teil eines klugen Satzes des letzten Papstes erinnert, der 2007 in der Hofburg fiel, und hier seine mediale Umsetzung zu erfahren schien: "Wir müssen alles tun, dass eines Tages nicht nur die Steine vom Christentum hierzulande reden."

Die Steine! Immerhin. Diese nun wurden eingepackt und leuchten als gelber Hingucker durch das Land. An einer gemeinsamen Sache zu arbeiten, die einen symbolischen Wert hat: das verbindet Menschen unterschiedlichster Couleur. So viele machten mit. Wer vermag in diesem Land sonst noch so viele Menschen zu mobilisieren? Es wird Awards für Öffentlichkeitsarbeit, mediales Management, social networking etc. regnen.

Identifikation geschieht durch Partizipation. Das ist das Wissen von Institutionen, die mit Menschenmengen zu tun haben. Und es ist die helle Seite dieser "Aktion Glaube". Dieses Land ist voll von religiösen Zeichen, in einer Weise, wie es nirgendwo sonst in der Welt vorkommt. Wegkreuze, Dorfkapellen, Marterln sind zudem weniger als Ausdruck kirchlichen Repräsentationsanspruchs entstanden, sondern als Zeichen ungebrochener und tief empfundener Frömmigkeit. Als Markierungen der Landschaft sind sie Orte der Alterität, die, auch wenn sie nicht beachtet werden, Zonen des Heiligen markieren. Sie wieder sichtbar zu machen, adelt die Idee, ohne Zweifel.

Die Steine reden trotzdem

Doch Aktionen wie diese haben auch ihre Tücken. Nicht nur, dass sie des Aktionismus arg verdächtig ist. Schwappt die Identifikation auch auf das Verpackte über? Wie steht es mit der Verheutigung des Dahinterliegenden? Mit dem Verpacken von Objekten in der Landschaft hat man zwar eine Marke zeitgenössischer Kunst (des Ehepaars Christo) geklaut, sie aber auch mit der liturgischen Praxis des Bilderfastens und Kreuzverhüllens in der Katholischen Kirche erklärt. Diese aber ist kein fröhlich' Ding, sondern eingebunden in einen Prozess voller Trauer und Berührung: Stück für Stück wird da der Heiland am Kreuz am Karfreitag entkleidet, begleitet von der dreimal wiederholten, stählernen Melodie in der schmucklosen, kahlen Kirche, die immer eine Terz höher (oder ein bisschen weniger) geht: "Kommt, lasset uns anbeten!" Doch das wüssten nur mehr vier Prozent, sagte mir knallhart ein hoher Funktionär auf meinen Einwand hin, eben jene, die am Karfreitag in die Kirche gingen. Seither bin ich still, doch will das Fremdschämen nicht von mir weichen.

Was ist nun mit den gelben Dingern? Sind sie bereit für eine Reise via Schiff auf die Südhalbkugel, wo der Glaube lebt? Sind sie ein Eingeständnis des Verschwindens, ein gefährliches Spiel der Auslöschung? Ideen zur Neugestaltung gäbe es durchaus. An der Bereitschaft mitzumachen liegt es offenbar nicht, auch wenn die Frage des "Dahinter" noch zu klären ist. Entwarnung: sie bleiben da. Auch wenn das Schifflein wankt, die Steine reden trotzdem. Notfalls gibt es die Antwort Jesu, oder jene der Bachmann von "Böhmen liegt am Meer". Dem Zugrunderichten folgt ein ruhiges Erwachen.

Der Autor ist Leiter des Kulturzentrums bei den Minoriten in Graz

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