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Der Wahlkampf wird härter

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Der Wahlkampf hat der CSU bis vor kurzem wenig ernstlichen Kummer bereitet. Im Gegenteil. Seit der Eröffnungskundgebung in Oberammergau, wo Strauss wortgewaltig die Bierzeltatmosphäre in ein volkswirtschaftliches Seminar umfunktionierte, verbuchten die Wahlstrategen, die ihre Kampagne keiner Werbeagentur, sondern einem schon im letzten Wahlkampf bewährten Team aus den eigenen Reihen überlassen hatten, ein beachtliches Crescendo der Zustimmung. Die volksfestartige Goodwilltour Bundeskanzler Kiesingers im Bayrischen Wald, die rhetorischen Blattschüsse Höcherls, der sein noch von Adenauer zuerkanntes Epitheton „Schlitzohr” immer saftiger und volkstümlicher zu bekräftigen weiß, in seinem bäuerlichen Wahlkreis, sowie das wohldosierte Abrücken des Taktikers Stücklen von der NPD in seiner mittelfränkischen Heimat ergaben eine Mischung, die bei einer breiten Bevölkerungsschicht, zumal auf dem Lande, gut angekommen ist. Und da in Bayern immer noch mehr Bürger in Gemeinden unter tausend Einwohnern leben als in allen anderen Gemeinden zusammen, ist damit das größte Wählerpotential des weißblauen Freistaates nach wie vor im Sinne der CSU beeinflußt.

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Der Wahlkampf hat der CSU bis vor kurzem wenig ernstlichen Kummer bereitet. Im Gegenteil. Seit der Eröffnungskundgebung in Oberammergau, wo Strauss wortgewaltig die Bierzeltatmosphäre in ein volkswirtschaftliches Seminar umfunktionierte, verbuchten die Wahlstrategen, die ihre Kampagne keiner Werbeagentur, sondern einem schon im letzten Wahlkampf bewährten Team aus den eigenen Reihen überlassen hatten, ein beachtliches Crescendo der Zustimmung. Die volksfestartige Goodwilltour Bundeskanzler Kiesingers im Bayrischen Wald, die rhetorischen Blattschüsse Höcherls, der sein noch von Adenauer zuerkanntes Epitheton „Schlitzohr” immer saftiger und volkstümlicher zu bekräftigen weiß, in seinem bäuerlichen Wahlkreis, sowie das wohldosierte Abrücken des Taktikers Stücklen von der NPD in seiner mittelfränkischen Heimat ergaben eine Mischung, die bei einer breiten Bevölkerungsschicht, zumal auf dem Lande, gut angekommen ist. Und da in Bayern immer noch mehr Bürger in Gemeinden unter tausend Einwohnern leben als in allen anderen Gemeinden zusammen, ist damit das größte Wählerpotential des weißblauen Freistaates nach wie vor im Sinne der CSU beeinflußt.

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Zwar bestehen auch auf dem Lande durchaus ernstzunehmende, sachliche Hindernisse, der Union die Stimme zu geben. Die Landespolitik wirft gerade hier ihre Schatten, und es ist nicht zu übersehen, daß beispielsweise die Neueiniteilung der Schulsprengel Unruhe und Unzufriedenheit ausgelöst hat. Von den ansteigenden Agrarproblemen und der trotz mancher Initiativen noch immer höchst mangelhaften Industriean- siedlung ganz zu schweigen. Wenn das Zünglein an der Waage trotzdem in breiten Gebieten — allerdings differenziert nach Altbayern und Franken — recht deutlich für die CSU auszuschlagen scheint, dann hängt dies zumeist mit dem in dieser Wahl vielleicht noch mehr als früher zu beobachtenden Primat der Personeowahl vor der Sachwahl zusammen: „Der Franz Josef wird’s eh richt’n.”

Daß freilich dieses Motto nicht immer und nicht unangefochten stimmt, bewies eine Wahlgroßkundgebung, die am ersten Septemberwochenende in der Münchner „Bayemhalle” durchgeführt wurde und die Strauss und seiner Partei aus mehr als einem Grund noch für einige Zeit Kopfzerbrechen bereiten dürfte.

Der 6000 bis 7000 Menschen fassende Saal war schon eine Stunde vor Beginn überfüllt. Draußen standen Lieute von der kommunistisch getönten ADF in Tiermasken mit Plakaten: „Die Tiere, die er rief, wird er nimmer los.” Drinnen in der Halle saßen ihre Genossen, von der APO verstärkt, und hielten ganze Stuhlreihen besetzt. Sie hatten sich — angeblich durch das Drucken von mehr als 1000 gefälschten Eintrittskarten — rechtzeitig Eintritt verschafft. Draußen vor den Eisensperren diskutierten nun empörte CSU- Mitglieder mit Polizeibeamten, denen sie vergeblich ihre gültigen Einlaßkarten vorwiesen.

Kurz nachdem der für seinen harten, energischen Kurs bekannte CSU-Ge- neralsekretär Streibl begonnen hatte, von der „ausgezeichneten Politik” der CSU zu sprechen, von den konstruktiven Beiträgen, die seine Partei gerade auch in den Städten geleistet hatte, wurden Buhrufe laut, die sich schnell zu Sorech Chören verdichteten: „Sieg Heil”. „Nazi raus”. Und nun zeigte sich, daß die CSU bereit ist, ihren Wahlspruch „Entschlossen die Zukunft sichern” ohne viel Federlesens recht extensiv auszulegen. Unter Klängen der Blasmusik wurden die ersten Schreier strampelnd hinausbefördert, allerdings nicht eher, als sie die ohnehin dicke Luft im Saal noch mit Buttersäure angereichert hatten. Da es dabei zu Handgemengen kam, wurde die Polizei gerufen. Zwei Hundertschaften der bayerischen Bereitschaftspolizei marschierten hinten durch den Saal, bildeten eine Gasse und schafften die einzeln bezeichneten Unruhestifter ins Freie — im Polizeigriff, oft aber auch an allen vieren.

Wie in Weimars Zeiten

Strauss war im folgenden Hauptreferait sichtlich erregt. Sein noch immer schmerzender Arm, die vielen An- rempelungen der APO, die er während seiner außerbayerischen Wahlreisen erfahren hatte und die ihn sogar einmal gezwungen hatten, definitiv auf eine Rede zu verzichten, ließen hier in München den Geduldfaden endgültig reißen. Mit der Polizeiräumung sollte wohl ein Exempel statuiert werden. Strauss bezeichnete die Störtrupps als „Spät-Nazis”, die früher bestimmt die beste SS geworden wären. Beifällig von den CSU-Anhängern beklatscht, rief er unter dem Hinweis auf die Weimarer Republik, die an der Schwäche der Parteien zugrunde gegangen sei: „Es ist jetzt Zeit, daß der Staat gegen diese bürgerkriegsähnlichen Vorbereitungen mit aller Kraft einschreitet.” Alle müßten Zusammenhalten, um der Anarchie und dem Spuk ein Ende zu bereiten.

Erst gegen Ende seiner Rede gelang es dann dem CSU-Vorsitzenden wieder, die Leute in seinen Bann zu ziehen. Seine Hiebe gegen die „politische Geschmacklosigkeit” der sozialdemokratischen Moskauwallfahrt, seine Hinweise auf „finstere Pläne” der SPD punkto Erbschaftssteuer und der damit verbundenen Bedrohung von „tausenden und tausenden mittelständischer Existenzen” entsprachen dem, was sich seine Anhänger von ihm erwarteten. Und als unentwegter Europäer, als Verfechter der „vierten Macht” eines europäischen Bundesstaates, dem Willy Brandt nach seinem letzten Interview in „l’Aurore” wohl nur ein sozialistisch regiertes, von den Amerikanern gelöstes, neutralisiertes Europa gegenüberzustellen habe, beschwor Franz Josef Strauss die Münchner Wähler kurz nach elf Uhr nachts, ihr Kreuz auf seiner Parteiliste einzutragen.

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