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Die Meisterpartie

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In diesen vorösterlichen Tagen kündigen plötzlich sich häufende große Ereignisse eine Klärung der internationalen Lage an. Seit Kriegsende zogen sich an allen Stellen, in denen im Sinne der UNO die Zusammenarbeit im Ausgleich widersprechender Interessen sich hätte bewähren sollen, endlose Gefechte hin, die ebenso ergebnislos wie verbitternd waren. Heute dehnt sich vom Mittelmeerraume bis nach Ostasien eine fast ununterbrochene und sich stetig ausbreitende Konfliktszone. Es gibt in der Weltgeschichte kein Zeitalter, das dem jetzigen an derart weltweiten Spannungen gleichgekommen wäre. Nun werden mit einem Schlag Entscheidungen fällig, die eine Wende vorbereiten, weil sie die internationalen Streitpartner zu offener und bestimmter Stellungnahme nötigen. Zu gleicher Zeit in Deutschland, in Triest und in Palästina.

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In diesen vorösterlichen Tagen kündigen plötzlich sich häufende große Ereignisse eine Klärung der internationalen Lage an. Seit Kriegsende zogen sich an allen Stellen, in denen im Sinne der UNO die Zusammenarbeit im Ausgleich widersprechender Interessen sich hätte bewähren sollen, endlose Gefechte hin, die ebenso ergebnislos wie verbitternd waren. Heute dehnt sich vom Mittelmeerraume bis nach Ostasien eine fast ununterbrochene und sich stetig ausbreitende Konfliktszone. Es gibt in der Weltgeschichte kein Zeitalter, das dem jetzigen an derart weltweiten Spannungen gleichgekommen wäre. Nun werden mit einem Schlag Entscheidungen fällig, die eine Wende vorbereiten, weil sie die internationalen Streitpartner zu offener und bestimmter Stellungnahme nötigen. Zu gleicher Zeit in Deutschland, in Triest und in Palästina.

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Gewiß nicht ohne Vorfrage ist der Vorsitzende des deutschen Wirtschaftsrates der Bi-Zone Dr. Hermann Pfünder bei den Signatarmächten des Brüsseler Abkommens um den Anschluß der deut chen Westzonen an den Brüsseler Fünf mächtepakt eingeschritten, ein Akt, dessen Ausreife die völkerrechtliche Rechtspersönlichkeit, die staatliche Selbständigkeit des deutschen Westens, bestätigen und einen wenn auch vorläufigen Verzicht auf ein einheitliches, die Ostzone einschließendes Deutschland darstellen würde. So zwingend offenbar die Gründe sind, die zu einem solchen Entschlüsse nötigten — vor allem sprach die Notwendigkeit mit, endlich die Stimme Deutschlands, und sei es auch ein Teildeutschland, in die völkerrechtlichen Debatten und Vertragsabkommen einzuschalten —, so ist doch gleichzeitig auch ein starker Rückstoß dieses Entschlusses auf die Ostzone zu erwarten. Der Austritt des sowjetischen Oberbefehlshabers in Deutschland aus dem Berliner Aliierten-Kontrollrat zeigt das Übergipfeln aller bisherigen Dissonanzen unter den Alliierten an. Gleichzeitig verändert sich in Triest die politische Szenerie vom Grund aas: zwar wendet sich der Beschluß der Westmächte, der unhaltbaren Lage des kaum geschaffenen und schon zerrissenen Zwergstaates durch Rückgabe des von den westlichen Alliierten besetzten Triester Staatsgebietes an Italien ein Ende zu setzen, an Sowjetrußland um dessen Zustimmung. Aber der Beschluß der Westmächte ist da und wird schwerlich mehr zurückgenommen werden. Von jugoslawischer Seite mag man darin einen Schachzug gegen den Kommunismus angesichts der bevorstehenden italienischen Wahlen erblicken und alle Register stürmischer Gegenpropaganda aufziehen — nicht zu leugnen ist die Lebensunfähigkeit des Gebildes, das bisher von den internationalen Traktaten um diesen Freistaat überblieb. Und jetzt zu allem noch der Rüdetritt der USA von dem Teilungsplan für Palästina, an dessen Stelle eine „zeitweise Treuhänderschaft“ für ganz Palästina treten soll. Eine neue Formel, die ein Dutzend neue Probleme aufrollt, für deren Lösung ės kaum ein Absehen gibt. Schon grollt der Widerspruch Moskaus und droht der zionistische Radikalismus mit der Fortsetzung der blutigen Resistenzpolitik, die jetzt das Land mangels einer internationalen Verständigung vollends, ins Unglück stürzen würde.

Fast drei Jahre dauert das friedlose Hin und Her des Kräftespiels der Großen. Aber jetzt sin ! sie zu der Schachpartie um die Meisterschaft diplomatischer Künstlerschaft und Weisheit berufen. Und das Besondere an dieser waffenlosen Partie ist, daß diesmal" die Spieler, der vom weißen und der vom schwarzen König, beide als Sieger und keiner aus einer Niederlage hervorzugehen haben, wenn sie den kostbaren Preis, den Frieden und den Dank aller Völker erringen wollen.

Freiheit der Kunst

Es hat eine Zeit gegeben, da ein unscheinbarer Bogen Papier in roter Farbe, in dem Abkürzungseifer des verflossenen Regimes, „V. I.“ (Vertrauliche Information) genannt, den Zeitungskritikern eine gebundene Marschroute mitgab. Der Herr X, das Orchester Y, das Theaterstück Z war demnach „besonders eingehend“ zu würdigen oder auch „nur ereignismäßig" oder „ablehnend“, oder es war eine Stellungnahme „zu unterlassen". Die Frage der künstlerischen Leistung war vollständig Neben- sadie, Person und Tendenz „kulturpolitisch“ zu werten —, die hohe Pflicht der Publizistik, zu bilden, zu unterrichten, zu diskutieren, „kam nicht in Frage“. Es war nicht geraten, diese Richtlinien zu verletzen. Ein namhafter Wiener Journalist tat es und bezahlte seinen Mut mit dem sofortigen Verlust seiner Stellung.

Nun ist gelegentlich der Aufführung eines Theaterstückes, das von der Ursprünge lieh geplanten Bühne an eine andere verlegt worden ist, in der Öffentlichkeit ein Meinungsstreit entbrannt, dem über die rein tatsächlidie Lage hinaus prinzipielle Bedeutung zukommt. Es bleibe unbeantwortet, warum Konstantin Simoriows Schauspiel „D ie russische Frage“ in einer Zone Wiens unerträglich, in einer anderen aber überaus begrüßenswert erscheint. Maßgeblich dünkt uns jedoch, ob die Bühne überall, unter welcher Flagge immer, den Idealen der Kunst dienen darf oder nicht.

Und da man im Organ eines Besatzungselements geradezu eine Enquete über die „russische Frage“ startete und im gesinnungsverwandten österreichischen Presseorgan jener Besatzungsmadit eine mächtige Lanze für die Freiheit der Kunst gegen die Unterdrückung des Geistes gebrochen Wurde, ergibt sich die andere interessante „Frage“,

wie bei so ausgezeichneten Grundsätzen und einer so löblichen Anwaltschaft für die Freiheit der Kunst und die Verdammung der Unterdrückungen des Geistes die kürzlich erfolgte Maßregelung eines C h a t- schaturian oder eines Prokofieff zu erklären ist.

Man ist einen Augenblick versucht, zu glauben, daß es Grundsätze gibt, die als Exportartikel, aber nicht für den eigenen Hausgebrauch geschätzt werden. Aber auch mit dieser Annahme findet man nicht ganz das Auslangen. Denn es ist noch unvergessen, daß vor einem Jahr in Wien gegen die Aufführung des „Parzival" ein Veto — schamhaft verhüllt — eingelegt wurde und es heuer aus Vorsicht „nur“ eine konzertante Aufführung desselben „Parzival“ gibt. Bleibt nur noch eine Erklärung, wie und wann und wo jene hervorragenden Grundsätze für die Freiheit der Kunst angewendet' werden: „Wie’s trefft", heißt es in Freytags „Journalisten“.

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