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Eigentum ist Diebstahl

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Die moralischen Verwüstungen, die der zweite Weltkrieg hinterlassen hat, beginnen an die Verwilderung zu mahnen, die nach dem Dreißigjährigen Kriege sich zeigte. Simplizius Simplizissimus hätte heute eine Genugtuung daran. Eine unabsehbare und noch immer uneindämmbare Welle von Raub, Diebstahl und Gewalttat geht über das Land, und es gibt Gegenden und Straßen nicht nur in Österreich, wo es ebenso gefährlich ist, ein Auto zu besitzen, wie auch nur einen guten Rock. Mißverstandene Schlagworte treten hinzu, die die „Expropriation der Proprietäre“ in das trügerische Licht einer verdienstlichen Handlung rücken. Die Eingriffe haben zuweilen etwas industriell Großzügiges an sich, zum Beispiel, wenn man erfährt, daß in Niederösterreich von einer Hochspannungsleitung ein 18.000 Meter langes Kupferseil im Gewichte von 8000 Kilogramm gestohlen wurde. Es muß eine stattliche Zahl sachkundiger Männer gewesen sein, die mit einem ganzen Park von Fahrzeugen, mit Drahttrommeln, Leitern und Aufwinde-masdiinen diese große Demontage voll-bradit haben und — wie seltsam — dabei unerkannt geblieben sind. Denn die Behörden setzen auf die Eruierung dieser so umfangreichen Beute einen Preis aus, als ob es sich um einen kleinen Taschendiebstahl handeln würde. Wird man nicht in jener Gegend mit den Fingern auf die Täter zeigen?

Nun weiß man es freilich aus allen langen Kriegen, wie sehr Monate und Jahre, in denen für die Soldaten, die nicht unter strenger Zucht stehen, die bürgerlidien Gesetze aufgehoben ersdieinen und Mein und Dein für sie den Unterscheidungswert verliert, ihre Wirkungen in die Friedenszeit fortsetzen. Auch der brave russische Musdiik hat diesen demoralisierenden Einflüssen, die er im sddimmsten Maße von Seite der Feindtruppen verspürte, nicht widerstanden. Nun steht die Sowjetunion vor dem schwierigen Problem, gegen die Anwendung jener in Westeuropa geübten Kriegsmoral das eigene Staats- und Privateigentum abzuschirmen. Sie geht dabei mit einer Härte und Entsdilossenheit zu Werke, die Beachtung verdient. Das Moskauer Amtsblatt vom 5. Juni 1947 veröffentlicht einen „Ukas über die kriminelle Verantwortlichkeit für Entwendung von staatlichem und öffentlichem Besitz“. In dieser drakonischen Verfügung heißt es:

„1. Diebstahl, Aneignung, Vergeudung oder eine andere Entwendung von staatlichem Be. sitz —

wird bestraft mit Haft in einem B e 11 e-rungs-Arbeitslager uf die Fri von sieben bis lehn Jahren mit oder ohne Konfiskation des Vermögens.“

“ Wie muß die sinnlose Vergeudung wertvollen Gutes nach Kriegsbrauch noch fortwirken, wenn selbst Vergeudung dem Diebstahl gleichgestellt und mit Zwangsarbeit bestraft wird? Wird die Entwendung von staatlichem Besitz wiederholt oder von einer organisierten Bande begangen, dann steigt die Strafe auf zehn bis zwanzig Jahre Arbeitslager und Vermögenskonfiskation.

Es ist kein Geheimnis, daß sich diese Zwangsverschickungslager in den unwirtlichJten Teilen des Sowjetreiches befinden und daß das Höchstmaß eine indirekte Todesstrafe darstellen mag Ungefähr in gleichem Ausmaße wie das Staatseigentum ist jenes des Kolchosen und Kooperative geschützt. Ja, hier erreicht die Strenge des Gesetzes unter bestimmten erschwerenden Umständen ihre höchsten Sanktionsstufen, heißt es doch im vierten Punkt des Ukas:

„Enteignung von Kolchosen-, Kooperativ, oder anderem öffentlichen Besitz, wiederholt begangen, gleich auch begangen von einer organisierten Gruppe (Bande) oder in großen Maßstäben —

wird bestraft mit Haft in einem Besse-rungs - Arbeit s 1 ager auf eine Frist von acht bis zwanzig Jahren mit Konfiskation des Vermögen s.“

Schließlich wird das Nichtmelden einer in Vorbereitung befindlichen oder bereits vollzogenen Entwendung öffentlichen Besitzes mit offen ausgesprochener „Verschickung“ geahndet.

Immer und überall wird der Schutz des “-taatseigentums nur dort gewährleistet sein,

wo der Staatsbürger die volle Macht der Rechtsprechung auch zur Wahrung seines Privateigentums eingesetzt weiß. Dieser uralten, gleichsam natürlichen Erkenntnis folgt auch der Staat, der die radikalste Beschränkung des persönlichen Eigentums durchgeführt hat. Und so ergibt es sich, daß in einem zweiten Ukas vom gleichen Tage nahezu ebenso strenge Strafen, wie sie für die Verletzung von Staatsgut ausgesprochen werden, jeden Frevel gegen das Privateigentum bedrohen. Man sieht: Proudhons Satz „Eigentum ist Diebstahl“ hat durch seine innere Unmöglichkeit auch in der radikalsten kommunistischen Herrschaft seine Geltung verloren. Kenner Rußlands behaupten sogar: Es wachse auch in diesem System eine neue Herrschaftsklasse heran, die, wenn man wolle, auch schon bourgeoise Formen zeigt.,

Es wird gebeten, während des Monats Juli keine Briefsendungen und Artikel redaktioneller Natur an unseren Chefredakteur Dr. Funder zu richten, der während dieser Zeit auf Erholungsurlaub und nicht erreichbar ist,

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