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Ein Schlüssel zur Musikwissenschaft

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DIE MUSIK IN GESCHICHTE UND GEGENWART. Allgemeine Enzyklopädie der Musik. Unter Mitarbeit zahlreicher Musikforscher des In- und Auslandes herausgegeben von Friedrich Blume. Band 9: Del Mel bis Onslow. X Seiten Verzeichnis der Abkürzungen, 1940 Spalten Text und XXII Seiten Register. Bärenreiter-Verlag, Kassel-Basel-London-New York. Leinen. Preis 864 S.

Bärenreiters große Musikenzyklopädie, ein wahrhaft idealistisch geplantes und tapfer weitergeführtes Unternehmen — das größte auf diesem Gebiet im deutschen Sprachraum übrigens —, nähert sich der Vollendung. Auf die Grundlinien und die Arbeitsmethoden wurde an dieser Stelle wiederholt hingewiesen. Der vorliegende Band ist besonders reich an Länder- und Städtemonographien, von denen wir hervorheben: Mittelamerika, Mongolei, Niederlande, Nordafrika, München und Nürnberg. Auch Österreich ist ein umfassender Beitrag gewidmet (Spalte 1857 bis 1890), was um so erfreulicher ist, als auch heute noch, nicht nur zwischen 1938 und 1945, die österreichische Musik von der deutschen Wissenschaft glatt annektiert wurde. Die Beiträge stammen durchweg von österreichischen Autoren. Nach einer knappen allgemeinen Übersicht (von Fe'derhofer) wird die Musikentwicklung und Situation der einzelnen Bundesländer dargestellt (von Grasberger, Wessely, Federhofer, Senn und Schneider). Eine besonders schöne, mit eindrucksvollen Bildern geschmückte Monographie ist dem Stift Melk (von Adolf Trittniger) gewidmet; die lebende Komponistengeneration ist mit Kurzporträts von Melichar und Meßner nicht sehr glorios vertreten. Da muß man sich schon an die große Vergangenheit halten, zum Beispiel an den gründlichen und instruktiven Mozart-Artikel von Friedrich Lippmann (Spalte 699 bis 839).

Doch genug des Lokalen. Heben wir einige der großen und bedeutenden Sachartikel hervor: „Melodie“ (von Hüscher und Dahlhaus, Spalte 19 bis 55), mit einem sehr anregenden Literaturverzeichnis über einschlägige Werke von Ehrenfels (1890) bis Georgiades (1954). Ferner „Messe“ (Spalte 147 bis 218, von mehreren Autoren), „Minnesang“, „Militärmusik“ (mit mehreren interessanten Tabellen, Spalte 305 bis 335), „Motette“ (Spalte 637 bis 669, von Finscher), „Musik“ und „Musikästhetik“, sehr instruktiv und wichtig „Notation“ (Spalte 1595 bis 1666, mit abenteuerlich aussehenden Kryptogrammen der Allerjüngsten, etwas zu knapp!), die

aus England und Amerika, ihrer eigentlichen Heimat, die der Diogenes-Verlag, Zürich, in repräsentativer Auswahl dem deutschsprachigen Leser soeben vorlegt, sind — so wie die Einleitung des Bandes von gewissen Schuljugendstreichen vermerkt — „nicht mehr spaßig zu nennen, denn sie treffen zu tief. Sie sind .jenseits des Körperlichen “. Die Autorin der einleitenden Meinen Studie, Mary Hotttnger, unterscheidet genau zwischen der Geschichte des Schreckens und der Geschichte des Grauens und bezeichnet die erstere als weit „hinterlistiger und tödlicher“. Denn es fängt immer so harmlos an.,. Das junge Paar etwa im tiefen Wald fühlt sich vom Anblick eines kleinen Vogels fasziniert und merkt erst zu spät, daß es von einer Riesenzahl solcher kleiner Vögel umzingelt ist, die es schließlich vernichten.

Im Band („Panik“, 456 Seife , Preis 19,80 sFr.) sind 20 der glänzendsten Namen einer literarischen Gattung, deren Thema — der Schrecken — von älterer Herkunft ist als die Literatur selbst, mit Meisternovellen vertreten, von R. I. Stevenson bis Hemingway. Der Österreicher Paul Flora schmückte den Band mit 13 Zeichnungen, die dem Gegenstand noch eine zusätzliche Dimension abgewinnen, die des erlösenden Humors. (Die hier abgebildeten Zeichnungen heißen: „Grauenhafte Erscheinung“ und „Gespenstisches Schiff“.)

Ladislaus Rosdy

„Notre-Dame-Schule“, „Ode“ und „Offer-torium“.

Von Kurzmonographien zeitgenössischer Komponisten seien genannt: Messiaen, Mieg, Mihalovici, Milhaud, Menotti (hier vermissen wir die Rangbestimmung) und andere. Besonders fesselnd sind die Darstellungen von Offenbach, Felix Mendelssohn und Meyerbeer. Zu letzterem eine Glosse, die zugleich auch die Schwierigkeiten beleuchtet, mit denen die heutige Musikwissenschaft fertigzuwerden hat: Meyerbeers umfangreicher Nachlaß wurde von den Erben des Komponisten im Jahr 1915 der Preußischen Staatsbibliothek übergeben, wo er bis zum Jahr 1935 gesperrt war (durch Verfügung der Nachlaß-

walter). Darnach blieb er aus „rassischen Gründen“ unbeachtet, und seit 1945, als man wieder anfing, sich für Meyerbeer zu interessieren, ist er verschollen___

Eine Randbemerkung: Bereits in den vorausgegangenen Bänden konnte man bemerken, daß die Spezialisten für einzelne Instrumente und Instrumentengruppen schwer das richtige Maß finden. So erscheint uns auch in dem vorliegenden 9. Band der Beitrag „Oboe“ mit 42 Spalten ein wenig überdimensioniert, angesichts anderer wichtiger Beiträge, wo offensichtlich an Zeilen gespart wurde.

Mit Illustrationen ist auch der vorliegende Band wieder verschwenderisch, aber keineswegs planlos und unsystematisch ausgestattet. Er enthält 119 Bildtafeln, 3 Farbtafeln, 320 Textabbildungen, 92 Notenbeispiele und 28 Tabellen. Dem Herausgeber Friedrich Blume wünscht man vom Herzen, daß es ihm vergönnt sein möge, dieses eigentlich über eines einzelnen Menschen Kraft gehende Werk zu vollenden.

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