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Gefangen in Mailand

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In der ehemals „königlich“ genannten Villa Comunale zu Mailand hat nicht nur Napoleons Stiefsohn Eugen Beauharnais, der juristisch für das Todesurteil an Andreas Hofer mitverantwortlich war, als Vizekönig residiert. Ein halbes Jahrhundert darnach repräsentierte dort Feldmarschall Radetzky die österreichische Militärherrschaft. Und genau hundert Jahre ist es her, seit von eben diesem Milano aus der Savoyer-Herrscher mit der Annahme des Titels eines „Königs von Italien“ jenen nationalen Herrschaftsanspruch formulierte, der der Annexion Südtirols 1919 als historischmoralisches Fundament dienen sollte.

Aber nicht nur die schweren Schatten dieser entfernten Vergangenheit lasteten über dem Tagungsort des österreichisch-italienischen Direktgesprächs über Südtirol. Auch die unmittelbare Gegenwart wirkte gerade in Mailand als ein düsterer, fast tragisch zu nennender Hintergrund mit. Die weit über den Rahmen einer lokalen Entscheidung hinausgehenden Vorgänge um die Wahl des neuen Bürgermeisters der norditalienischen Metropole haben die labile Kräfteverteilung der italienischen Innenpolitik schwer belastet. Die regierenden und somit auch in der Außenpolitik allein federführenden christlichdemokratischen Kräfte mußten und müssen täglich damit rechnen, daß die wegen der in Mailand zum erstenmal praktizierten „Öffnung nach links“ ergrimmten Partner der Rechten ihre parlamentarische Unterstützung aufkündigen und damit wie im Vorjahr zur gleichen Zeit eine Krise hervorrufen. In dieser Stimmung fuhren Segni und seine Begleiter zu den Verhandlungen. Sie waren in Mailand von „Mailand“ gefangen.

Wir stellen diese nähere und fernere Vorgeschichte deswegen so ausführlich dar, weil wir als christliche Demokraten und Europäer auch jetzt noch

willens sind, uns in die Schwierigkeiten und Verstrickungen unserer Gesprächspartner südlich des Brenners hineinzudenken. Aber gerade diese Bereitschaft und Gesinnung gibt uns vielleicht mehr als manchen anderen in Österreich, die das eklatante Scheitern der Gespräche mit kaum verhohlener Schadenfreude kommentieren, das Recht zu einem klaren Wort:

Wir sind enttäuscht, ja nicht nur enttäuscht, sondern, zusammen mit der großen Mehrheit unserer österreichischen Mitbürger, im tiefsten Herzen erschüttert und betroffen über eine italienische Haltung, die wir wirklich nicht erwartet haben. Und wir empfinden den Freitag von Mailand als einen schwarzen Tag, nicht nur für Österreich, sondern nicht zuletzt für Europa und jene gemeinsame Freie Welt, die just in diesen Tagen durch J :

den jungen amerikanischen Präsidenten zur Bereinigung ihrer internen Zwistigkeiten aufgerufen wurde. Wir verkennen nicht, daß auch die österreichische Politik — vor allem in ihrer zuweilen mangelnden oder nur ungenügenden Distanzierung von radikalistischen Kräften des Inlands oder einer gewissen ungebetenen randalierenden Nachbarschaft des keineswegs offiziellen oder auch nur offiziösen Deutschland — eine gewisse Schuld an der nun wirklich tragisch gewordenen Entwicklung trägt, daß auch von unserer Seite aus Chancen und Sternstunden nicht wahrgenommen wurden, die es vielleicht sogar in den letzten

fünfzehn Jahren gegeben hat. Aber wir müssen auch nach härtester Selbstprüfung feststellen, daß die objektive Hauptschuld am Scheitern des Mailänder Gesprächs vor aller Welt nicht Österreich, sondern Italien trifft.

Was soll aber nun geschehen? Wir sind mit keiner der nervösen Augenblicksreaktionen einverstanden: weder mit der Tendenz, die Lage zu dramati-

sieren und in die bei der heutigen europäischen Kräftekonstellation tragische Sackgasse der Gewalt hineinzusteuern, noch mit dem allzu hofrötlichen Versuch, die Dinge zu kalmieren und alle Hoffnungen auf ein neuerliches Gespräch, diesmal in der mozartischen Atmosphäre Salzburgs zu setzen. Wenn es etwas zu besprechen, und zwar dringend zu besprechen gibt, dann nur, welche der anderen, von der UNO ausdrücklich erwähnten friedlichen Mittel zu ergreifen sind. Rom drängt auf die Haager Gerichtsbarkeit. Unsere Anstrengungen müßten sich auf die Schiedsgerichtbarkeit konzentrieren, weil diese nicht nur Paragraphen, sondern konkrete Menschen und Situationen beachten kann. Europäische Instanzen wären — ohne fraktionelle Eifersüchtelei — nun als nächste anzurufen. Der neuerliche schwere Gang zur UNO bleibt uns als letzter Ausweg ja noch immer.

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