6712398-1964_27_07.jpg
Digital In Arbeit

Goldwater ante portas?

Werbung
Werbung
Werbung

Als sich in den Abendstunden des 2. Juni die Umrisse eines Gold- water-Sieges in Kalifornien auf dem Fernsehschirm abzeichneten, wurde der Verfasser dieses von einem Schock erfaßt, ähnlich seinem ersten derartigen in früherer Jugend. Damals hatte die NSDAP 107 Sitze im deutschen Reichstag gewonnen. Dieses Ereignis kündigte wie das Resultat von Kalifornien das Ende der trügerischen Sicherheit an, der man sich so gerne hingegeben hatte. Goldwater ist kein Nazi, aber sein Sieg ist der erste Erdstoß, der ein politisches System erschüttert, wenn nicht eine Welt.

Wie bekannt, retteten die Bewohner des weitausgedehnten Vorortekomplexes von Los Angeles den Senator vor einer Niederlage. Dieses subtropische Gebiet wird von einem wankelmütigen, nach jedem Wechsel begierigen Volk bewohnt. Seine Unruhe wird dadurch gekennzeichnet, daß der Durchschnitt ein und dasselbe Haus nicht länger als vier Jahre bewohnt. Wie der römische Plebs schreit es nach Brot und Spielen. Die letzteren wird sein neues Idol ihm schon geben.

Es sagt viel, daß Goldwater selbst in San Diego, dem südlichsten Ort Kaliforniens, das von einer unver- hältffl großen Zähl von “ Rfitsexlra ten’ bewohht VHrd, nicht so gut wie in Los Angeles ab- schnitt. In Nordkalifornien dagegen, dessen Bevölkerung wesentlich stabiler und kultivierter ist, erzielte Rockefeller eine Majorität. Die Nordkalifornier entsprechen Rocke- fellers Definition der „verantwortungsbewußten Republikaner”. Sie sind dem Süden bevölkerungsmäßig weit unterlegen — so sehr, daß ein republikanischer Kandidat für den Senat es nicht der Mühe wert fand, in Nordkalifomien eine Wahlversammlung abzuhalten.

Die Fragwürdigkeit eines solchen Sieges verführte selbst erfahrene Journalisten, unter ihnen Theodore White, den Verfasser des im In- und Ausland vielgelesenen Buches über die Grundlagen der Kennedy- Strategie, zu weiteren Wunschträumen. Sie meinten, die republikanische Führung werde infolge der ausschlaggebenden Rolle von Los Angeles Goldwaters Erfolg gering bewerten. Nun, die Führung machte zwar den Eindruck eines aufgeschreckten Ameisenhaufens und erging sich in schönen Reden, wie wohl die Nominierung in letzter Minute verhindert werden könnte. Dabei enthüllte sie ihre erschütternde Hilflosigkeit.

Der geschlagene „David”

Die führenden Republikaner haben das Unheil auf sich zukom- men gesehen. Ideenlos fanden sie keine rettende Formel, die Goldwater blockiert hätte, ohne die Partei zu sprengen. Mit Ausnahme Rockefellers legten sie die Hände in den Schoß. In ihrer blinden Hoffnung, daß Rockefeiler ein neuer David sein werde, und in ihrem hilflosen Gestammel, seitdem sich diese Hoffnung nicht erfüllte, weisen sie alle Anzeichen eines -mcien regimes auf.

Rockefeiler, ein umstrittener Mann, bei dem man nicht weiß, ob anfänglich eine durch allzugroßen Reichtum genährte Egozentrik oder Patriotismus den Ansporn gab, warf sich rückhaltlos in die Bresche. Im Verlauf seines wackeren Kampfes, der ihm manche Sympathie ’urück- gewann, entwickelte er sich zum Gewissen der Partei. Welch greller Kontrast zwischen ihm und dem Titularführer Eisenhower, dessen Unentschlossenheit und konstante Widersprüche an Hindenburg erinnerten. Während seiner Amtsperiode als Präsident war er immer wieder von Goldwater herausgefordert worden. Einmal hatte der Senator seine Abneigung mit der Sottise, ein Eisenhower sei für ein Jahrhundert mehr als genug, ausgedrückt. Trotzdem wagte sich der Expräsident nur mit kryptischen Äußerungen hervor. Sobald der Eindruck entstand, diese seien auf Goldwater gemünzt, dementierte sich Eisenhower sofort. Kaum eine Woche nach der Wahl praktizierte er die bedingungslose Übergabe. Der Niedergang dieses Mannes, der schon mit seinem Eintritt in die Politik begann, entbehrt nicht der Tragik.

Richard Nixon lavierte und machte den Eindruck, er sei zufrieden, wenn der Sieger ihn zum Vizepräsidenten machte. Als er an einem Tag erklärte, Goldwater stehe mit Ausnahme der Bürgerrechtsfrage auf dem Boden der Partei, um 24 Stunden später fünf.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung