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Klassenjustiz?

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Die Annahme, daß alle Bürger vor dem Gesetz gleich seien, wird leider nicht immer durch die Wirklichkeit gedeckt. Auch nicht in Österreich. Freilich wird jeder Bürger, der einmal mit seinen Richtern konfrontiert wird, ohne Ansehen der Person und auch ohne Bedachtnahme auf die Höhe seines Bankkontos behandelt, wenn es sich auch ein vermögender Mann leisten kann, in seine Verteidigung erhebliche Mittel zu investieren, die sich dann in einer qualitativ anderen Beweisführung niederschlagen, als sie der Arme zu bieten vermag, der oft mit einem Pflichtverteidiger sein Auslangen finden muß.

Nun kommt es aber nicht so sehr auf die Behandlung der Bürger vor dem Richter an, sondern darauf, welche Chancen einem Beschuldigten vor der Verhandlung geboten werden beziehungsweise ob ein Staatsbürger überhaupt Richtern zur Aburteilung vorgeführt wird: • Die Enthaltung eines Beschuldigten gegen Stellung einer Kaution stellt eine Privilegierung jener Personen dar, die es sich leisten können, ihre Freiheit zu kaufen. Nicht selten sind die Kautionsbeträge aus dem gleichen Fonds, dessen behauptete ungerechtfertigte Aneignung Gegenstand eines Verfahrens ist. Die Privilegierung ist nun eine doppelte. Wer in Freiheit seinen Prozeß vorbereiten kann, hat erheblich andere Instrumente zur Verfügung als der arme Teufel, der von seiner Zelle aus auf dürftige Kontakte mit der Außenwelt beschränkt ist. Dazu kommt noch, daß eine längere Untersuchungshaft den Häftling aus der Gesellschaft der feinen Leute ausschließt, es sei denn er hat den Staat betrogen. In diesem Fall handelt es sich bei den feinen Leuten um ein Kavaliersdelikt. Geht nun der Prozeß zugunsten des Beschuldigten aus, wird ein lange Zeit inhaftiert Gewesener trotzdem in seinem Milieu abgewertet sein.

• Nicht selten wird ein Gerichtsverfahren mit einem großen Aufwand von Publizität begonnen und verläuft dann mangels Schuldbeweisen im Sand. Die gleichen Blätter, die dankbar eine Straftat registriert haben, verschweigen die Einstellung des Verfahrens oder sie publizieren es in einer Weise, die von der Mehrheit der Leser nicht beachtet wird. Niemand kann die Blätter verhalten, in der gleichen Art, in der sie zur Minderung der Ehre eines Staatsbürgers beigetragen haben, dessen Ehre wiederherstellen zu helfen. Auf diese Weise bleiben Menschen wegen voreiliger Inhaftierung ihr ganzes Leben sozial abgeurteilt.

Nicht wenige Verfahren verlaufen aber in einem Sand, den gute Beziehungen, die oft sehr merkwürdige Ausmaße annehmen, aufgeschüttet haben. Es wäre gut, wenn die Tagespresse sich einen Terminkalender anlegen und in Abständen den Fortgang gewisser Verfahren prüfen würde. Sie käme dann zum erstaunlichen Ergebnis, daß nicht wenige der großen Affairen anscheinend keine Sühne erfahren konnten.

Wie ist es etwa mit dem Skandal um die Stickstoff werke? Wenn ein kleiner Staatsbeamter wegen eines scheinbaren Vergehens sofort Ruf und auch Freiheit verliert, große Herren aber Millionenbeträge auf eine ungeklärte Weise ohne Rechtsfolge transferieren, ist die Behandlung eine sehr unterschiedliche. Die Klasse der Staatsmanager hat offenkundig den Genuß einer Vorzugsbehandlung, die im Widerspruch zur Verfassung, nicht allein zu ihrem Geist, sondern auch zu ihren Buchstaben steht. Nicht wenige jener Herren, die sogenanntes „Volksvermögen“ verwalten, erhalten nach vollzogener und bewiesener Tat sogar noch eine Abfertigung und bleiben jedenfalls Mitglied jener Gesellschaftsschichte, der sie vordem angehört hatten.

• Wenn es eine funktionierende Pressestelle der Justizbehörden gibt, dann wäre es an der Zeit, daß nicht nur der Beginn, sondern auch die Erledigung aller Verfahren mitgeteilt wird. Nach der bisherigen Praxis muß man den Eindruck ge-Winnen — und er verstärkt sich —> daß man die Kleinen erheblich schlechter als die Großen'''behandelt.

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