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Rustplatz des Geistes

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In einem zusammenfassenden Werke und sechs Sonderabhandlungen liegt gegenwärtig das Ergebnis der dreijährigen Arbeiten einer amerikanischen Kommission über die Pressefreiheit vor. Der Initiative eines führenden amerikanischen Publizisten entsprungen, sollte die Untersuchung den philosophischen Grundlagen der Pressefreiheit und ihrer praktischen Nützlichkeit gelten, nicht sosehr deshalb, weil sie etwa in den Vereinigten Staaten als bedroht anzusehen, sondern weil sie häufig bis zur Unkenntlichkeit mißdeutet sei. Zwölf Persönlichkeiten von Rang, Wissenschaftler, Sozial- und Wirtschafts-politiker, unter ihnen John M. Clark, der führende Economist der Vereinigten Staaten, der Philosoph Reinhold Niebuhr und der gewesene Unterstaatssekretär A. MacLeith, bildeten die Kommission. Hervorragende Berater aus anderen Erdteilen — Jacques Maritain unter ihnen — wurden herangezogen. Bedeutende Geldmittel standen zur Verfügung. Ein Apparat war aufgebaut, wie er bisher noch kaum der Erforschung eines einzelnen Ausschnitts aus dem Lebensgrund des Zeitungswesens zugewendet worden war.

Der Urheber des Planes und seine Mitarbeiter wußten, was sie wollten. Sie hatten einen der Wesensbestandteile der modernen Demokratie, die Gesetze seiner Existenz und die Wirkung seines Gesundseins oder seiner Verkümmerung zu erforschen. Die gesetzte Aufgabe, überstaatlich gesehen, war fast so bunt und vielgestaltig wie die Staats- und Völkerkarte der Erde. Um so bedeutsamer war sie, als von der Wichtigkeit des Gegenstandes landläufig wenige Menschen sich ein klares Bild machen, obwohl knapp hinter uns ein Anschauungsunterricht liegt, der maßlos unbarmherzig war. Hitler wäre nichts gewe-ren, hätte er nicht neben sich einen Mann dämonischer Begabungen, Goebbels, gehabt, einen Meister der Propaganda durch das gedruckte Wort, in dessen Hand sich die Zeitung, das Buch, das Radio und Kino zu einem einzigen infernalischen Kunstwerk der Massenirreführung gestalteten. Die amerikanische Kommission hat denn auch, ausgehend i von der Presse, diese Träger der „Massenmitteilung“ als zusammengehörig behandelt, auf sie alle seien die Grundsätze der Pressefreiheit anzuwenden.

Die Frucht der dreijährigen Arbeit ist eine große Menge erhobenen Materials und die Formulierung wertvoller Erkenntnisse, die allerdings nicht neu sind. Die Kommission, die, wie gesagt wird, an ihre Arbeit mit einem betonten Vorurteil gegen die wachsenden Konzentrationen der Zeitungsmacht und ihre Freiheit heranging, kam im Wesen zu keinem anderen Urteil, als es schon vor fast anderthalb hundert Jahren Thomas Jeffersqn, der dritte Präsident der Vereinigten Staaten, mit den Worten gefällt hatte: „Die Grundlage unserer Regierung ist die freie Meinungsäußerung des Volkes, und es sollte unser Hauptziel sein, dieses Recht zu erhalten. Wenn ich zu entscheiden hätte, ob wir eine Regierung ohne Zeitungen oder Zeitungen ohne Regierung haben sollten, so würde ich ohne Zögern das letztere wählen.“ Die eigenen Eindrücke veranlaßten die Forscherrunde zu dem Schluß: „Die Freiheit der Presse ist ein notwendiger Bestandteil der politischen Freiheit. Dort, wo die Menschen ihre Gedanken nicht aussprechen und wiedergeben dürfen, ist die Freiheit an sich bedroht. Die freie Meinungsäußerung stellt daher eine einzigartige Freiheit dar: sie fördert und schützt alle übrigen.“ Deshalb seien alle staatlichen Einschränkungen. Reglementierungen und Kontrollen der Pressefreiheit abzulehnen und die bestehenden Übel nur von der Presse her und der ihr verwandten Träger der Massenmitteilung zu bekämpfen.

Seit es ein Pressewesen gibt, ist sein An spruch auf Freiheit von dem Streit der Meinungen umrungen worden. Die Anklagen ob des Mißbrauches der Freiheit haben sich zu Zeiten bis zu größter Heftigkeit gesteigert. Noch ist die glühende und vielfältig abgedruckte Rede nicht vergessen, die vor vierzig Jahren Viktor Kolb im Wiener Sofiensaale hielt, ihr Vergleich einer gewissenlosen Presse mit dem siebenköpfigen, dem Meere entstiegenen apokalyptischen Tier. Eine verderbliche, nichtswürdige Presse rief einst den Zorn Lassalles hervor und noch verbissener hat Nietzsche seinen Zarathustra sprechen lassen: „Sie erbrechen Galle und nennen es Zeitung.“ Häufiger haben Staatsmänner der Macht der Presse gehuldigt, als daß sie ihr überzeugendes uneigennütziges Lob gespendet hätten. Würde man in der Geschichte des Zeitungswesens nach einer Bilanz des bezeugten Dankes, der Anerkennung und des Ruhms gegenüber der Kritik, dem Tadel und Mißtrauen forschen, so Würden die vorliegenden schönen Bezeugungen gegenüber den strengen und harten ein Minus aufweisen. Diese Kritiken haben nicht restlos Wandel zu schaffen vermocht. Bis zum heutigen Tage nicht. Die Gazetten sind auch heute nicht verschwunden, die die persönliche Herabsetzung des Gegners und die Mißdeutung seiner Absichten nicht verschmähen. So bleibt es eine verdrießliche Wahrheit, daß die wirklichen Widersacher der Pressefreiheit zu Zeiten sich in der Presse selbst verbergen, indem sie die Freiheit des ihnen nicht genehmen Wortes unter den Terror ihrer Feindseligkeiten zu stellen suchen. Solche Zustände haben in der Vergangenheit oft die Pressefreiheit diskreditiert und Grund oder Vorwand zu ihrer Einschränkung gegeben, wie denn auch in unruhigen Zeiten die meisten Staaten Störungen und Mißartungen der öffentlichen Meinung durch die Presse unterbanden. Die Sowjetunion hält gegenwärtig, zwei Jahre nach Kriegsende, ihre Presse in der Zucht strenger Vor-schriften^ Im allgemeinen wird die Pressefreiheit um so nützlicher sein und um so größerer Schätzimg sich erfreuen, je größer die politische Reife einer Demokratie ist.

Könnte also der Mißbrauch der Pressefreiheit, die Verrottung innerhalb des Zeitungswesens eines Landes, der Schaden, den eine bewußte Brunnenvergiftung der Presse anrichtet, dazu verführen, Maßregeln des Staates zu veranlassen? Die amerikanische Studienkommission hat ganz recht: Nichts wäre verkehrter, nichts wäre schädlicher. Die Nachteile, die dem Gemeinwohl aus dem Mißbrauch der Pressefreiheit erwachsen, können nie so groß sein, als wenn man der ganzen Preise das Siegel des Nachtwächterstaates aufprägt, der sich gegen geistige Übel nur mit der Polizei helfen zu können glaubt. Lassen wir diejenigen, die der Pressefreiheit nicht würdig sein wollen, dies weiter beweisen, und lassen wir dem schlechten Argument das bessere, dem bösen Willen den guten für Staat und Gemeinschaft entgegensetzen. In allen Lagen aber wird der Grundsatz gelten: Daß der Staat sich selbst des wichtigsten Erziehungsmittels zur Demokratie beraubt, der seiner Presse durch ihre Gebundenheit Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Würde nimmt. Aus solchen Gedankengängen ist die amerikanische Erforschung der psychologischen Lebensgrundlagen der Presse zu dem Schlüsse gelangt, eine Sanierung, wo sie notwendig ist, könne nur aus der Mitte der Presse selbst kommen. Die Berufserziehung im Zeitungswesen, das Wirken der Standesorganisationen für ein die politischen und weltanschaulichen Verschiedenheiten überwölbendes, kräftiges, gemeinsam Berufsethos — das sind die Korrelate, die der Stand für sein kostbares Recht auf die Pressefreiheit zu pflegen hat. In dieser Richtung ist das Votum der amerikanischen Kommission ergänzungsbedürftig: denn es sucht die Verpflichtung in trefflichen äußeren Maßregeln, aber nicht im Wesen der geistigen Welt. Und Presse bedeutet doch öffentlichen Rüstplatz des Geistes.

Je weniger Erfolge durch bloße äußere Macht und je mehr Erfolg durch Aufklärung und moralische Eroberung, um so mehr wirkliche Demokratie ist in der Welt realisiert.

F. W. Foerster - „Christentum und Klassenkampf“

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