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„Spähtrupp“ in Rußland

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In einem mittelgroßen, nüchternen Arbeitszimmer, unter den Bildern von Lenin und Marx saßen wii Österreicher und unsere beiden russischen Dolmetscherinnen Herrn Pjotr Wlassowitsch Makarzew gegenüber, einem der drei stellvertretenden Vorsitzenden dieses Rates für Kirchenfragen. Er sah aus wie der Betriebsratsobmann eines Großbetriebes, mit dem offenen Gesichl des Arbeiters, aber auch mit dem Selbstbewußtsein des Vertreters eines Staates von mehr als 200 Millionen Einwohnern, dem dieser Staat die Aufgabe übertragen hatte, sich mii Fragen zu befassen, die es nach seiner und des Staates Meinung eigentlich gar nicht mehr geben sollte und auch bald nicht mehr geben werde.

Solange es aber in der Sowjetunion noch Menschen gibt, und dieses „noch“ zog sich durch unsere ganze Unterhaltung, die infolge mangelnder „Aufklärung“ oder falscher Erziehung an Gott glauben und diesen Glauben auch in einer Kirche bekennen möchten, müssen die Beziehungen dieser Menschen und der Kirche zum Staat, wie alles andere, gesetzlich geregelt und die Einhaltung dieser gesetzlichen Regelung genau überprüft werden.

Da kommt nun eine kleine Gruppe aus einem sehr kleinen Land in Mitteleuropa, ebenfalls noch Anhänger eines „vorwissenschaftlichen Glaubens“, und wollen den Leiter dieses Amtes interviewen. Daß er immer höflich und sachlich blieb, auch dann, wenn wir ihm mit unseren Fragen hart zusetzten, daß er uns das Gefühl seiner Überlegenheit, daß ihm sicherlich zuzubilligen war, nicht merken ließ, sei Herrn Makarzew auch hier ausdrücklich bestätigt.

Dies sei ein staatliches Amt, sagte er erklärend nach einer kurzen Begrüßung. Seine Hauptaufgabe liege darin, darüber zu wachen, daß Gesetze, die Religion und Kirche betreffen, richtig angewendet und eingehalten werden. Die Kontrollfunktion dieses Amtes beziehe sich ebenso auf Maßnahmen staatlicher Organe als auch auf Handlungen kirchlicher Institutionen und religiöser Sowjetbürger. Das Amt sei aber auf keinen Fall eine Verbindungsstelle zwischen kirchlichen und-staatlichen Instanzen. Erklärend fügte er hinzu, wir wüßten wohl, daß Religion und Kirche in der Sowjetunion von Staat und Gesellschaft streng getrennt seien, daß aller frühere kirchliche Besitz dem Staat gehöre; darunter sind nicht nur die für den religiösen Gebrauch bestimmten Gebäude, also Kirchen, Kapellen, Klöster und dergleichen zu verstehen; sondern auch die Kultgeräte, die Kelche, Meßgewänder, ja schließlich auch das Wachs, aus dem die Kerzen gemacht werden. Was die Kirchen oder Gläubige vom Staat brauchen, müßten sie entweder kaufen oder mieten.

Atheistische Propaganda, so versicherte Herr Makarzew ausdrücklich, sei nicht Sache seines Amtes, sondern werde von der Partei und den Organisationen zur „Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse“, lies Atheismus, betrieben. Vertreter religiöser Gemeinschaften als Fachberater seien in seinem Amt nichl beschäftigt. Ob unter den parteilosen Angestellten religiöse Menschen seien, wisse er nicht. Die Kommunisten jedenfalls, die die Leitung innehaben, sind erklärte Atheisten. Er, als Atheist, habe die Aufgabe, sich in diesem Amt mit den Kirchen zu befassen, denn solange es „noch“ gläubige Menschen gebe, werde es auch Kirchen geben.

Sei der Sowjetstaat der Religion gegenüber neutral eingestellt oder betreibe er selbst atheistische Propaganda? fragen wir. So, meint Herr Makarzew, könne man diese Frage nicht stellen. Man könne nicht sagen, daß der Staat atheistisch sei, weil es in diesem Staat „noch“ gläubige Menschen gebe. Der Staat selbst, so behauptet er, mache keinen Unterschied zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen. Jede Beeinträchtigung des Rechts auf Gewissensfreiheit werde von den Gesetzen geahndet.

„Ist nun der Staat neutral“, wollen wir nochmals wissen. Hier überlegt Herr Makarzew einige Zeit. „Unser Staat achtet jede Überzeugung, man kann aber nicht sagen, daß er neutral sei“. „Warum nicht?“ fragen wir weiter. Nun wird Herr Makarzew leicht ungeduldig. Man müßte die Tatsachen sehen, wie sie sind. Noch gebe es gläubige Menschen. Er selbst sei Atheist und er wünselje, daß es in seinem Lande immer'mehr Atheisten gebe.

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