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Volkswirtschaftlicher Teufelskreis

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Die soziale Stellung, die sich die europäischen Arbeiter hart erkämpfen mußten, wurde ihren ägyptischen Kollegen vom Staat geschenkt, noch ehe sie richtiggehend zu Arbeitern wurden. Das Regime zahlt dafür einen hohen Preis. Die staatlichen Mindestlöhne und Sozialleistungen basieren ja nicht auf echtem Verdienst, sondern auf der Notwendigkeit, wachsende Menschenmassen für den Industriearbeiterberuf zu gewinnen und eine bestimmte soziale Schicht dem Regime zu verpflichten. Das Ergebnis sind wachsende Staatsausgaben und größere Kaufkraft. Während das eine zur Geldentwertung führt, ruft das andere Warenmangel hervor. Mit anderen Worten: Weil der Arbeiter mehr kaufen kann, bilden sich vor den Läden Schlangen. Weil sein Mehrverdienst volkswirtschaftliche Reserven aufzehrt, schwindet gleichzeitig die Kaufkraft. Beides führt zur Unzufriedenheit.

FellachenmentalHät

Araber glauben leicht, einmal gewährte Geschenke immer beanspruchen zu können. Man gebe einem Zeitungsjunigen ein Meines

Trinkgeld; vom gleichen Tag an wird er es ungefragt vom Wechselgeld abziehen. Das ist eine Mentalitätsfrage, die in der Wirtechafts-und Sozialpolitik groteske Ergebnisse hervorruft. Experten haben errechnet, daß die Fellachen die infolge Landreform, verbesserter Bewirtschaftungsmethoden, niedrigerer Finanzlasten und staatlicher Anbauplanung erzielten Emteüber-schüsse keineswegs der Vplkswirt-schaft zufuhren, sondern sie größtenteils aufessen. Auf die Arbeiter angewendet, erklärt das, warum durch die großzügigen Lohn- und Sozialleistungen keine spürbaren Produktionssteigerungen und Qualitätsverbesserungen entstanden. Höherer Verdienst heißt für den ägyptischen Arbeiter meistens nur, daß er weniger zu arbeiten braucht, um sein Existenzminimum zu erlangen.

Die geringfügigen Produktionsziffern der ägyptischen Industrie machen sich bis jetzt nur in den Bilanzen bemerkbar, weil es für ihre Erzeugnisse noch keinen aufnähmefähigen inländischen Markt gibt. Die Qualität aber läßt gleichfalls so sehr zu wünschen übrig,

daß auch dem Export, etwa in afrikanische Länder, noch große Hindernisse gegenüberstehen. Der ägyptische Arbeiter ist nur schwer an geregelte Arbeitsleistung, Disziplin und Sorgfalt zu gewöhnen. Er ist wenig ausdauernd und läßt gern „alle fünf gerade sein“. Nichts steht dem industriellen Fortschritt mehr im Weg als die Charaktereigenschaften, die von den arabischen Begriffen „Malesch“ (es ist gleichgültig). „Bukra“ (morgen) und „Inschallah“ (so Gott will) umrissen werden. Der Maschinen- und Geräteverschleiß ist infolgedessen erschreckend hoch und der Produktionsausfall manchmal größer als das Produktionsergebnis. Zwar bemühen sich staatliche Einrichtungen (so das mit deutscher Hilfe errichtete und geleitete technische Ausbildungsinstitut in Kairo) darum, qualifizierte Facharbeiter heranzubilden. Die Regierung entsendet laufend Praktikanten ins Ausland. Doch die Ausbildungszeiten sind zu kurz. Araber sind im Umgang mit Maschinen nicht begabt. Und sia sind oft arrogant. Als einmal ein Absolvent des Kairoer Institutes ein schlechtes Werkstück ablieferte und daraufhin vom deutschen Ausbilder gerügt wurde, erwiderte er, er brauche so einfache Arbeiten nicht zu erlernen, er wolle ja nur — einen Betrieb leiten!

Fünf Millionen Bequeme

Industrialisierung ist der einzige Ausweg aus der Not Ägyptens, das in knapp 20 Jahren mehr als doppelt so viele Menschen ernähren muß wie heute. Die Heranbildung einer qualifizierten Facharbeiterschicht ist daher eiserner Zwang. Um die zur Bequemlichkeit neigenden Ägypter dafür zu interessieren und „bei der Stange“ zu halten, bedarf es wahrscheinlich wirtschaftlicher und politischer Vorleistungen, die vom volkswirtschaftlichen Standpunkt kaum vertretbar scheinen. Es gibt am Nil noch immer rund fünf Millionen Arbeitslose bei einer Bevölkerungszahl von 27 Millionen Menschen und einer wesentlich größeren Prokopfzahl der Familien als in Europa, Und das nicht etwa, weil 'die Regierung

nichts gegen die Arbeitslosigkeit täte, sondern weil viele lieber betteln und von drei Piastern am Tag leben, als durch geregelte Arbeit das Zehnfache zu verdienen.

Die ägyptische soziale Revolution krankt daran, daß sie künstlich — „dirigiert“ — ist. Aber sie ist unzweifelhaft notwendig. Was wird geschehen, wenn die Volkswirtschaft die Sozialforderungen nicht mehr erfüllen kann? Werden die Arbeiter schon diann empfänglich für den Kommunismus? Wer diese Frage stellt, kann nur wünschen, daß dem Regime das ebenso gefährliche wie unumgängliche soziale Experiment gelingt, ehe dieser Zeitpunkt erreicht ist!

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