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West-östliche Begegnung

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Im Herbst 1951 lud ein Komitee italieni-tcfaer Kollegen, patronisiert durch angesehenste Vertreter der medizinischen Fakultäten und der Aerzteschaft Italiens, eine Reihe prominenter Aerzte und Akademiker aus allen Ländern zu einer Konferenz nach Rom, die dort Ende November in den Räumen der italienischen Aerztekammer stattfand. Unter den hierzu eingeladenen Oesterreichern war auch ich.

Aufgabe der Konferenz, bei der denn auch ia der Tat hervorragende Mediziner aller Länder und Zungen zu Worte kamen, war es, eine internationale Tagung von A e r z t e n aus West und Ost, Süd und Nord vorzubereiten, die sich mit den aktuellen Lebensbedingungen der Menschen in diesen bitteren Tagen des Nachkrieges und der Spannungen von rein medizinischen Gesichtspunkten aus in Referaten und Diskussionen befassen sollte. Ursprünglich für den September 1952 geplant, sollte sie in dem großen italienischen Weltkurort Monte Catini abgehalten werden, und ihre Vorbereitungen erfreuten sich bis knapp zuvor ersichtlich der Patronanz offizieller italienischer Stellen. Die im Ehrenkomitee figurierenden, zum Teil glänzenden Namen führender Aerzte und Forscher aus der ganzen Welt, so des Nobel-Preisträgers Egas Moniz und noch viele andere, schienen ja in der Tat für ein rein wissenschaftliches Niveau des geplanten Kongresses zu bürgen, und nur wenige Ueberängstliche besorgten von der ersten Stunde an, daß die Wellen der bewegten Gegenwartsatmosphäre auch in diese großzügige Planung eines ersten tastenden Veruches, wenigstens Aerzte aus aller Welt zu einer akademischen Diskussion zusammenzuführen, hineinbranden könnten.

Besorgnisse dieser Art nun aber veranlaß-ten, offenbar angesichts der Weltlage und der delikaten Lage zumal Italiens bis zu einem gewissen Grade verständlich, das offizielle Italien, der in den Händen des bekannten •Pathologen Professor Pietro Verga von der Universität Neapel liegenden Kongreßleitung in letzter Stunde nahezulegen, von der Abhaltung des Kongresses auf italienischem Boden abzusehen. Damit ergab sich zunächst die Notwendigkeit einer zeitlichen Verschiebung, aber auch der Wahl eines anderen Kongreßortes. Einladungen erfolgten sowohl von skandinavischer (dänischer) Seite wie aus Chile; auch an Finnland wurde gedacht. Auf dringenden Wunsch vor allem der darin von den Italienern unterstützten französischen Kollegen entschied man sich indes für die Abhaltung des Kongresses zu Pfingsten dieses Jahres, und zwar auf dem neutralen Boden Wiens, wobei mir als einem der Nestoren im Ehrenkomitee das Ehrenpräsidium angetragen war.

Ich gestehe: ich habe zunächst gezögert, diese mir von Professor Verga eindringlich angebotene auszeichnende Ehrung anzunehmen, und habe mir Bedenkzeit vorbehalten; schließlich habe ich ja gesagt, nachdem ich meine Bedingungen formuliert habe und sie von den Vertretern des Komitees zur Kenntnis genommen worden sind. Und diese Bedingungen gipfelten in der präzisen Forderung: Der Tenor des Kongresses müsse unbedingt und unabdingbar von jeder als politisch selbst nur kommentierbaren Note, welcher Farbe immer, frei gehalten bleiben.

Es m u ß gehen, es m u ß möglich sein, daß wir Aerzte von überallher einmal daran-schreiten, für einige wenige Tage all diese Abhängigkeiten welchen Namens immer, sie mögen äußerer, sie mögen innerer Natur sein, zu vergessen und für eine Spanne Zeit den gewiß kühnen, großzügigen Versuch unternehmen, uns innerlich mit der überstaatlichen Uniform der Aerzte aller Länder und Völker, mit dem Aerztemantel, zu umkleiden und als Aerzte und als nichts als Aerzte zu Aerzten und als Aerzte und als nichts als Aerzte über Dinge zu sprechen, die uns gemeinsam als Thematik aufgegeben sind.

Das Kongreßprogramm verspricht Referate über eine Reihe bedeutsamer Gegenstände Professor Gillman von der Universität in Johannesburg (Südafrika) wird über die Zusammenhänge zwischen Ernährung und Krankheitsentwicklung sprechen; Professor Revoltella von der Universität in Padua über Prophylaxe im Rahmen der Geburtshilfe in Italien. Das Mitglied der französischen Deputiertenkammer Dr. Girard wird über die gesundheitliche und demographische Lage in der französischen Union berichten und Dr. Moumie (Kamerun) über die gesundheitlichen Zustände in den Kolonialländern. Professor Frontali (Universität Rem) wird über den Ernährungszustand der italienischen Kinder nach dem Krieg referieren, Professor Choremis (Universität Athen) über ein ungefähr gleiches Thema, bezogen auf Griechenland. Di. Su Ching-Kwan (Präsident der chinesischen Aerzte-gesellschaft) über die Einwirkung des Krieges auf die physischen Lebensbedingungen der Bevölkerung. Ich selbst habe über gewisse Kriegsfolgen vom Standpunkt der psychischen Hygiene und der angewandten Pathologie zu referieren, und über ein ähnliches Thema wird Professor Baruk, leitender Arzt der öffentlichen Anstalt für Geisteskranke in St. Maurice (Frankreich) vortragen. Die Doktoren Shiotsuki, Kusano und Yamamoto (Japan) werden über die pathologischen Folgeerscheinungen bei der japanischen Bevölkerung, wie sie durch die Atombombenexplosion verursacht wurden, Mitteilung machen. Endlich wird das Mitglied der Medizinischen Akademie in Paris, Professor Weill-Halle, über die Pflichten der Aerzte in Ansehung der Gefahren des Krieges referieren.

Dies das Programm der Tagung. Zugegeben: wer über den heutigen Status der Nachkriegsmenschheit handeln will, läuft leicht Gefahr, in jenes Niemandsland hinein-zustolpern, wo die Medizin oft bedenklich nahe mit aktuellen politischen Losungen und Streitparolen sich berührt. Zu verhüten, daß diese gefährliche Grenze überschritten werde, ist Sache der Tagungsführung, ist in noch höherem Maße aber Sache des „Genius“, der die Tagung beseelen soll. Gelingt es, dann werden vielleicht gerade wir Aerzte — und unser Metier ist ja wohl einer von den hierzu berufenen Berufen — beispielhaft vorangegangen sein, um einen Weg über die Kluft bahnen zu helfen, die heute die Menschheit in gegnerische Lager auseinanderreißt, werden wir eine Plattform zu weisen vermögen, auf der sidi, zum Wohle aller Menschen ohne Unterschied, alle zusammenfinden können, die ohne jedweden Hintergedanken an ein Poli-tikum den Menschen als Menschen und als nichts denn als Menschen dienen wollen. Denn an und für sich haben die Themen der bevorstehenden Tagung notwendigerweise gewiß nichts zu schaffen mit politischen Streitparolen, und letztlich kann es auch noch nicht als Politikum gewertet werden, denn darin sind sich unbeschadet aller sonstigen Meinungsverschiedenheiten West und Ost, Süd und Nord grundsätzlich einig, wenn wir eine Wiederkehr der apokalyptischen Zeiten, die wir Ueberlebende durchstanden haben und mit deren Folgen wir heute konfrontiert sind, nicht wünschen und also auch den Krieg als nichts anderes ansehen, denn als ein Unglück, welches, wenn überhaupt, seine Rechtfertigung nur in einem nicht anders zu behebenden äußersten Verteidigungsnotstand findet und fände. Zu diskutieren aber, w i e man ihm am besten vorbeugt, das wäre schon ein Politikum und nicht mehr unsere Sache in unserer Eigenschaft als Aerzte.

Wer also auch nur um Haaresbreite über diese hier vorgezeichnete Linie hinaus wollte und strebte, der hätte auf diesem Kongreß keinen Platz; wer es dennoch versuchte, dem müßte sofort eindringlich vor Augen geführt werden, daß es sein gutes Recht sei, Politik dort zu machen, wohin Politik gehört, auf gar keinen Fall aber auf dieser Tagung. Es ist klar: jeder Teilnehmer hat seinen weltanschaulichen Standort, so wie er seinen nationalen und staatlichen Standort hat.

Auch ich habe ihn, will sagen: ich stehe, realistisch verstanden, natürlich auf dem Boden der Gegenwart, wurzele aber ideologisch in einer mitteleuropäischen Vergangenheit, die 1918 ihren ersten, für mein österreichisches Vaterland schon damals nahezu vernichtenden Schlag erhalten hat, und 1945, nach furchtbaren, von schrecklichen Täuschungen, Enttäuschungen und Brutalitäten erfüllten Peripetien, auch in ihren letzten Resten zunichte geworden ist. Ich weiß, daß Vergangenes, nicht zuletzt durch eigene tragische Schuld von den ehemaligen Mittelmächten Vertanes nicht mehr beschworen werden kann, aber ich lasse mich nicht davon abbringen, daß es einst besser war als es heute ist, und lasse mjr meine alten Ideale als Ideale nicht aus der Seele reißen. Mein mitteleuropäisches Kulturbewußtsein und Kulturgefühl verharrt, unbeschadet mancher Wandlungen im einzelnen, die wohl von uns ein jeder mitgemacht hat, in sich unverrückbar, ungeachtet heute das Wort, das ich vor ein paar Jahren in einem angesehenen Kreis von Aerzten gesprochen und dann auch niedergeschrieben habe, darnach wir in Mitteleuropa weder Kolchosen noch Wolkenkratzer brauchen, angesichts der Riesenmächte um uns in West und Ost ins Leere gesprochen scheinen mag. Sei's drum, aber gesprochen worden ist es aus dem Herzen und dem Verstand heraus, aus tiefinnerlicher Ueberzeugung.

Diesen Standort, das sei frank und frei herausgesagt, verlasse ich zuinnerst auch nicht als Ehrenpräsident des west-östlichen Aerztekongresses. Nur in dieser Funktion werde ich ihn natürlich nicht im leisesten zur Entäußerung bringen, müßte ich mich selbst doch sonst Lügen strafen; und ebendarum scheint es mir Gewissenspflicht, mein grundsätzliches weltanschauliches Bekenntnis schon vor den Toren desselben vor aller Welt abzulegen. Ich setze von allen Tagungsteilnehmern aus West und Ost, aus Nord und Süd voraus, daß sie mein Beispiel befolgen, darnach handeln und als solche also jede, selbst allerleiseste Bezugnahme auf Gegenwartsprobleme der Welt- und Tagespolitik auf der Tagung selbst gewissenhaft vermeiden werden. Würde es anders gehalten, dann bedeutete dies über das zwangsläufige Erlöschen meiner Ehrenpräsidentschaft, die mich so sehr auszeichnet, hinaus auch das Ende einer schönen, großen und in der Trübsal des Heute gleich einem Fanal leuchtenden ärztlichen Idee. Doch bin ich Optimist genug, fest daran zu glauben, daß diese große Idee über alles hinweg ihrer Zielsetzung gerecht werden wird.

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