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Wirtschaft im Politbüro

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Ministerpräsident Jozef Cyrankie-wicz hat kurz vor Weihnachten im polnischen Ministerrat Vorschläge unterbreitet, die praktisch den Auftakt zu tiefgreifenden Personaländerungen in der Wirtschaftsführung, sowohl im Rahmen der Regierung und des Politbüros als auch bei anderen Körperschaften bildeten.

Die ersten Überraschungssäuberungen waren die Enthebungen des Stellvertretenden Ministerpräsidenten Zenon Nowak und Franciszek Wani-ölka. Nowak wurde zum Vorsitzenden der Zentralkontrollkommission der Partei ernannt. Bei Waniolka begnügte man sich mit einer lakonischen Berufung auf seinen „Gesundheitszustand“, ebenso wie beim ausgebooteten Außenminister, Adam Rapacki, dessen Nachfolger das Politbüromitglied Stefan Jedry-chowski wurde, der bisher Chef der Plamungskommiission war und sich niemals mit der Außenpolitik beschäftigt hatte. Der neue Chefplaner heißt Josef Kulesza, der Stellvertretender Vorsitzender im Zentralrat der Gewerkschaften und Vorsitzender im Sejm-Wirtschaftskomitee war, wo er als Experte für Budgetprobleme, Wirtschaftspläne und Finanizfragen galt.

Der Vorsitzende des Arbeits- und Lahnkomitees, Aleksander Burski, wurde ebenfalls gefeuert, um Michal Krukowski Platz zu machen. Auch der Leiter des Wissenschaftlichen und Technolagischen Komitees mußte das Feld räumen. Gleichzeitig wurde beschlossen, diese Stellung von der eines Stellvertretenden Ministerpräsidenten zu trennen. Dazu mußte, aber vom Sejm drin-gendst ein neues Gesetz bezüglich des genannten Komitees verabschiedet werden.

Jugend ist Trumpf

Eine ganz große Überraschung: Außenhandelsminister Witold

Trampczynski wurde abgelöst und gleichzeitig zum Stellvertretenden Vorsitzenden der Planungskommission ernannt. Tranupczynsfci ist zweifellos für diese Aufgabe qualifiziert. Dennoch wird behauptet, daß er

mir zum ,,geschiäftsführenden“ ersten Stellvertreter des Vorsitzenden ernannt wurde.

Die Absicht der Verjüngung und der Stärkung des Planungskomitees ist auffallend. Der Direktor des Planungsinstituts der Planungskommission, Professor Jozef Pajestka, wurde zum Vollmitglied des Zentralkomitees gewählt, offensichtlich deswegen, daß seine Position auch politisch besser untermauert wird. Man ist überzeugt davon, daß der Professor bald noch weitere wichtigere Aufgaben erhalten wird. Sowohl Prof. Pajestka als auch der Direktor der Investitionsbank, Janusz Anuszewski, wurden zu Stellvertretenden Vorsitzenden der Planungskommission ernannt. Über Olszewskis Zukunft ist gar nichts sicheres bebannt. Er ist nur 52 Jahre alt, viel zu jung und aktiv, um pensioniert zu werden, immerhin ein Jude, was heute keine Empfehlung in Warschau ist, abgesehen davon, daß er in früheren Jahren von den nationalistischen „Partisanen“ auch als „Moskowiter“ wiederholt angegriffen wurde, da er während des Krieges in der UdSSR gelebt hatte. Über seinem Kopf zogen die ersten Gewitterwolken zusammen, als Olszewski seine Mitgliedschaft im ZK verlor Und zum 5. Parteikongreß nicht einmal als Delegierter nominiert wurde.

Bei dieser Wachablöse in der Wirt-s<aftisführung und Planung scheint das Vorrücken des jungen Professor Pajestkas, 44, das wichtigste zu sein. Er gilt als ein Wirtschaftsfachmann internationalen Formats, ein Pragmatiker par excellence, von dem man die baldige Lösung zahlreicher heikler Fragen erwartet. Anuszewski gehört ebenfalls zur „jungen Garde“, 43, hat eine gute wissenschaftliche Grundlage, war ursprünglich beim zivilen Straßenbau in der Konstruktionsabteilung beschäftigt, vor allem auf dem Gebiet der Finanzgebarung und Konstruktion, bis er Mitte 1965 zum Direktor der Investitionsbank befördert wurde.

Noch eine nennenswerte, jedoch eher ehrenhallbe, Ernennung ist, daß

der frühere ZK-Sekretär, Witold Jarosinski, zum Mitglied des Staatsrats berufen wurde. Die Leitung des Außenhandelsministeriums wurde vorübergehend von einem Staatssekretär übernommen.

Stärkung des Politbüros

Die Tatsache, daß Jedrychowski von der Wirtschaft in die Außenpolitik hinüberwechseln mußte, deutet darauf hin, daß in Zukunft die großen Entscheidunigen über die ökonomischen Schlüsselfragen nicht mehr bei der Regierung, sondern im Politbüro fallen werden. Dies war im übrigen schon während des 5. Parteikongresses erkennbar, als die Politbüromitglieder: Boleslaw Jaszczuk und Jozef Tejchma, Agrarwirtschaft, in allen wichtigen Wirschaftsfragen das letzte, entscheidende Wort ausgesprochen haben. Es wird in Warschau damit gerechnet, daß der neue Planungschef Kulesza in Kürze die Vollmitgliedschaft im Politbüro bekommen werde. Vorläufig übt die Planungskommission nur Exekutivfunktionen aus und arbeitet an neuen Projekten, Entscheidungen trifft sie keine! In Zukunft soll sie als „Regierungskörperschaft“ die verschiedensten wirtschaftlichen Tätigkeiten mit einander koordinieren.

Jaszczuks Einfluß auf die Wirtschaftspolitik ist enorm gewachsen und steht ohne Präzedenz in der polnischen Nachkriegspolitik da. Nachdem Jedrychowski seinen Überblick in Wirtschaftsfragen notgedrungen immer mehr verlieren wird, blieb Jaszczuk als Alleinherrscher, sozusagen als Wirtschaftszar Polens auf der Bühne. Um so mehr, da Gomulka immer weniger Lust zur Intervention in wichtigen Wirtschaftsfragen zeigt. Politbüro und Planungskomimission werden die langfristigen Pläne und Projekte gemeinsam ausarbeiten. Die Koordinierung der Ausführung der angenommenen Pläne wird mehr als bisher in die Kompetenz der zuständigen Industrieministerlen falen, wobei natürlich die Planungskommission für die Plankoordinierung zu sorgen hat.

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