Zwei österreichische Parallelhandlungen

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Der eine Roman spielt in der Prominentenloge, der andere beim Fußvolk der Geschichte.

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Der eine Roman spielt in der Prominentenloge, der andere beim Fußvolk der Geschichte.

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Österreichische Geschichte aus zwei Perspektiven: einmal aus der Vogelperspektive der Abgeklärtheit betrachtet, das anderemal mit der Wut angesichts der gerade in Gang gekommenen Ereignisse, deren Tödlichkeit bereits abzuschätzen ist. Das sind die Blickwinkel zweier Bücher, die Österreich vor dem Ersten Weltkrieg und Österreich vor dem Einmarsch der Deutschen, dem Anschluß und dem Zweiten Weltkrieg schildern. Literarischer Geschichtsunterricht, erteilt von zwei Autoren, einem Mann mit einem klingenden Namen und einem mehr oder weniger Unbekannten.

Es liegen vor die Neuauflage des Romans "Wetterleuchten" von Frederic Morton und die Erstausgabe von "Fair play oder es kommt nicht zum Krieg" von Rudolf Frank. Der gebürtige Wiener Morton ist im Genre literarischer Ausflüge in die Historie bewandert. Was nach dem Wetterleuchten kam, die Ergänzung und Weiterführung der Geschichte, erzählt Rudolf Frank aus unmittelbarer Anschauung, noch unter dem Eindruck des frischen Geschehens. Frank emigrierte 1936 aus Deutschland nach Wien und ist Ende der siebziger Jahre in Basel gestorben.

Über das Wien vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges einen abgeklärten Roman zu schreiben, ist grundsätzlich einfach. Die Distanz schärft den Blick und Parteinahme erfolgt, wenn überhaupt, dann zugunsten einer Stadt und eines Lebensgefühls, das geradezu mit nostalgischer Wehmut ausgebreitet wird. Aus der Perspektive ferner Vergangenheit arrangiert Frederic Morton die nicht ganz unbekannten Hauptpersonen, wie Kaiser Franz Joseph, den ewigen Thronfolger Franz Ferdinand, die Herren Lenin, Stalin und Hitler, aber auch den Spion Alfred Redl, den Zaren Nikolaus II. und den deutschen Kaiser Wilhelm II. Der Autor arrangiert Personenkonstellationen wie Blumengestecke, und wenn das Ergebnis trotz des Wissens um die Künstlichkeit natürlich wirkt, wurden die Kunstgriffe wohl geschickt angewandt. So geschehen bei "Wetterleuchten".

Daß Morton nicht phantasiert, sollen die Belegstellen und Verweise am Ende des Buches zeigen. Dadurch entsteht beim Leser fast der Eindruck, dem Autor bei der Arbeit über die Schulter schauen zu können. Obwohl seit 1913 so viel Zeit verflossen ist, schafft es Morton, Betroffenheit zu erzeugen. Er läßt historische Figuren wie in Momentaufnahmen ins Bild kommen. Parallelhandlungen sind unter anderem der Streit zwischen den Psychoanalytikern Sigmund Freud und C. G. Jung und die Auseinandersetzungen zwischen Franz Joseph und Franz Ferdinand, der mit seinem Verständnis für den Balkan und seiner Wut auf das Kaiserhaus angesichts der protokollarischen Kränkungen wegen seiner nicht standesgemäßen Frau als positive Figur erscheint.

Für den Arrangeur Morton ist alles erklärbar: "Das Wien der Jahrhundertwende hatte es verstanden, die Feindseligkeit der Arbeitswelt hinter Ornamenten und graziösen Gesten zu verdecken. Aber 1913 schien das Leben mehr und mehr nur noch die krasse Wirklichkeit zu tolerieren". Der Leser wird über nichts im unklaren gelassen, alles ist erklärbar, alles wird erklärt. Wenn die Erklärungsmaschine läuft, kann man auch nur schwer aufhören zu lesen. Geschichte kann auch spannend sein. Und wenn man über Sätze wie jene stolpert, in denen des Kriegsministers Aktivitäten rund um das Ultimatum an die Serben charakterisiert wird, wird man Zeuge einer Grenzüberschreitung - ein abgegriffener journalistischer Stil feiert mehrmals fröhliche Urständ: "Das war genug, um Berchtolds Szenario in Gang zu setzen. Es machte sich auf Zehenspitzen auf den Weg, während Europa noch döste". Oder wenn der Thronfolger bei der Abfahrt nach Konopischt, seinem Familiensitz, nichts als eine große dunkle Staubwolke in Wien zurückläßt. Trotz solch rußiger Satzpartikel hinterläßt der Roman aber keinen schlechten Nachgeschmack und es bleiben doch einige ungewohnt scharfe Bilder der Geschichte in Erinnerung.

Um zu erzählen, wie es mit der österreichischen Geschichte weiterging, hatte Rudolf Frank nicht viel Zeit. Wenig Zeit, zu ordnen, an der Struktur seines Romans zu feilen. Das erst jetzt erschienene Buch entstand 1938 innerhalb weniger Monate nach der Flucht aus Österreich, wurde noch in selben Jahr abgeschlossen und blieb 60 Jahre liegen, obwohl es bei einem literarischen Wettbwerb für das beste freie Buch in deutscher Sprache den zweiten Preis bekam. In der Jury saßen damals unter anderen Thomas Mann, Bruno Frank und Lion Feuchtwanger.

Die unmittelbare Zeitnähe und der Verzicht auf Glättung machen auch seinen Reiz aus. Der gehetzte Stil, das erzählerische Stakkato läßt eine ungefilterte Wut auf die Nazis spüren, so als würde das erstemal über sie geschrieben, und das will etwas heißen in einer Zeit, in der jährlich noch immer mehrere Dutzend Publikationen zum Thema erscheinen: "Die SS-Kavaliere waren geteppt: Donnerwetter, so etwas brachten selbst ihre Häuptlinge Daraube, Damorde, Dalüge nicht fertig."

Wie Frank bewegen sich auch seine Protagonisten, die adelige Lili von Crailing und Konrad Holler, im Theatermilieu. Im Wien der späten dreißiger Jahre, verzweifelt auf der Suche nach Arbeit, sind sie bemüht, ein Arbeitertheater aufzubauen. Die Hauptpersonen sind im Gegensatz zu Frederic Morton Arrangements nicht jene der ersten Reihe, sondern das politische Fußvolk, das sich zum Widerstand formiert. Eine Ausname in diesem Kreis stellt Kurt Schuschnigg dar, der zu literarischen Ehren kommt, wenn Frank sich in einer literarischen Parallelhandlung versucht, gedanklich im Kopf des Bundeskanzlers Platz nimmt und die ebenso schicksalhafte wie erniedrigende Begegnung Schuschniggs mit Hitler in dessen "Berghof" auf dem Obersalzberg zu verarbeiten sucht: "Wie wenn Säcke mit Erdäpfeln auf eine Tenne geschüttet dahinrollen, breit bullernd, hohl und ohne Bedacht und fern von jedem Prinzip des Geistes: So klingt in den Ohren des zuhörenden Kanzlers von Österreich die Stimme seines Kollegen vom Obersalzberg ..."

In der politischen Einschätzung hat der Autor wohl damals schon richtig gelegen, wenn er Schuschnigg zwar persönlichen Mut, aber politische Angst bescheinigt. Als die Bemühungen um ein neues Theater Früchte zu tragen scheinen und der Verband der Gemeindemieter Aufführungen unterstützt und die Zensoren im Rathaus nachsichtig werden, stehen die Deutschen bereits an der Grenze und die illegalen Nazis Gewehr bei Fuß. Kein aufrüttelndes, revolutionäres Theater mehr, sondern der letzte Akt für Österreich.

Das Pathos des Widerstandes mag heute - auch angesichts der Vergeblichkeit - vielleicht antiquiert erscheinen, und ist doch angebracht, um zum Denken anzuregen. Von seinem Unterschlupf aus hat Konrad Holler einen direkten Blick auf den Judenplatz und das Lessingdenkmal, und rund um diesen Platz wurde in den letzten Monaten ein anderes Stück österreichischer Zeitgeschichte gespielt, bei dem sogar so etwas Ungewöhliches wie ein Happy End möglich ist.

WETTERLEUCHTEN Wien 1913/14 Roman von Frederic Morton Deuticke Verlag, Wien 1998 331 Seiten, geb., öS 285, FAIR PLAY oder ES KOMMT NICHT ZUM KRIEG Roman einer Emigration in Wien Von Rudolf Frank Aufbau-Verlag, Berlin 1998 360 Seiten, geb., öS 291,

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