Dem anderen in Liebe gegenübertreten

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Wer an einer Weiterentwicklung der Menschheit interessiert ist, muß einen Dialog der unterschiedlichen Werthaltungen suchen und führen.

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Wer an einer Weiterentwicklung der Menschheit interessiert ist, muß einen Dialog der unterschiedlichen Werthaltungen suchen und führen.

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In dem Lied "Sei wachsam" von Reinhard Mey findet sich eine Zeile, in der es heißt: "Die guten alten Werte sind fast immer die Verkehrten". Was sind überhaupt Werte, gibt es sie noch in einer Gesellschaft, die gerade alles auf den Kopf stellt, oder gibt es sie schon wieder, ist schon eine neue Ordnung, sind schon neue Werte im Entstehen? Welche Rolle spielen dabei ehemalige Garanten der Werteerhaltung, das Bürgertum, Beamte, das Bundesheer, gibt es neue Werteschaffende?

Viele Fragen stellen sich dem, der sich heute auf Wertediskussionen einläßt, und keine Frage läßt sich eindeutig beantworten. Ist das Menschsein heute noch ein Wert, oder führt uns die Gentechnologie zur Ware Mensch? Sind Grenzen ein Wert, oder sind sie ohne Belang in einem geeinten Europa? Ist Eigentum ein Wert, oder wird es bedeutungslos sein, wenn die um sich greifende Armut vieler Menschen diese alle Regeln vergessen läßt? Sind letztlich Ideale ein Wert, wenn so viele ja doch nur mehr einen skrupellosen Egoismus leben?

Und doch begegnen wir tagtäglich Menschen, sei es im Alltag oder in den Medien, die selbstlos für etwas eintreten, sich für Menschen einsetzen, eine harte Ausbildung auf sich nehmen, um im Fall der Fälle mit der Waffe in der Hand ihr Leben aufs Spiel zu setzen, die im Rechtsleben oder in Wachdiensten konsequent den Schutz des Privateigentums vertreten, oder sogar solche, die für ihre Vorstellung von einer besseren Welt kämpfen und ihr Leben riskieren. Gibt es etwas, was diese Menschen gemeinsam haben? Was könnte diese Menschen verbinden, warum kämpfen sie alle für ihre Sache, warum nehmen sie Mühen auf sich, statt es sich vor dem Fernseher bequem zu machen? Warum riskieren sie ihr Geld, ihre Gesundheit, ihr Ansehen, ihre Familie oder gar ihr Leben?

Vielleicht ist es der Haß, der Haß auf den Feind, der etwas wegzunehmen droht, vielleicht ist es der Neid, der Neid, daß jemand anderer mehr besitzen könnte, vielleicht aber auch ist es die Liebe, die Liebe zu etwas, das einem wert ist. Wenn dir etwas wert ist, wenn es einen Wert für dich hat, dann erst wird es zum Wert. Wenn viele diesen Wert wollen, dann kann daraus ein gesellschaftlicher Wert, einer der Werte werden. Manche verlangen heute, der Jugend müßten Werte vermittelt werden. Sie sollten sich fragen, was ihnen wert ist, wofür sie wirklich kämpfen würden, sich selbst aufopfern würden, wie es die liebende Mutter für ihr Kind täte.

Nur die Liebe kann in der letzten Konsequenz jene Kraft in den Menschen zur Entfaltung bringen, die einem Bemühen um etwas auch einen dauerhaften Sieg bringen wird. Erlahmt die Liebe, gerät sie in den Hintergrund, wird Geld oder Einfluß wichtiger, dann war der Gewinn nur von kurzer Dauer. Wir Menschen sind aufgefordert, diese Liebe immer wieder, jeder für sich, neu zu entwickeln. Dabei können die Alten den Jungen behilflich sein, sie leiten, ihnen helfen, lehren können sie sie nicht. Jede Generation muß die Werte neu lieben lernen, neu annehmen, sonst werden sie verschwinden.

Wer die Menschen nicht liebt, für den werden sie austauschbar, nicht mehr jeder ein einmaliges, schützenswertes Individuum. Wer seine Nachbarn nicht liebt, wem sie ein Feind sind, der wird Grenzen errichten und diese schützen müssen. Wer dem Nachbarn nicht den gleichen Lebensstandard gönnt wie sich selbst, wer ihm nicht in einer Haltung der Nächstenliebe gegenübertritt, der wird um sein Eigentum bangen müssen. Wie aber ist das mit den Idealen? Jeder Mensch hat ein Recht auf seine Meinung, niemand darf einem anderen seine Meinung, seinen Lebensstil, seine Ideale aufzwingen. Trotzdem muß jeder Mensch für seine Ideale kämpfen, will er nicht einen Teil von sich selbst unterdrücken, verleugnen, an seiner Entfaltung hindern. Wie also ist dieser Gegensatz zu überwinden?

Wer dem anderen in Liebe gegenübertritt und ihn als gleichwertigen Partner in einem Dialog respektiert, der wird dabei nicht Schiffbruch erleiden. Wer an einer Weiterentwicklung der Menschheit interessiert ist, der muß diesen Dialog der unterschiedlichen Werthaltungen, der unterschiedlichen Ideale suchen und führen. Ihm auszuweichen, sich abzugrenzen würde einen Rückschritt in der Menschheitsgeschichte bedeuten.

So sollten wir uns langsam, Schritt für Schritt, von einer passiven, vergangenheitsorientierten Verteidigung von Werten zu einem aktiven, zukunftsorientierten Verhalten entwickeln. Wenn wir dieses Prinzip der Liebe leben, mit ganzer Konsequenz zu unserem Ideal machen, dann werden wir, jeder für sich, nicht nur einen persönlichen Fortschritt, sondern auch einen kleinen Beitrag zu einer Weiterentwicklung der Menschheit leisten. Nicht im Gegeneinander, im Verteidigen, sondern im Miteinander, im Gestalten, liegt der Schlüssel dafür, daß die Dinge in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Fangen wir morgen an, das Liebesprinzip zu leben.

Stefan Beschorner Der gebürtige Mödlinger, Jahrgang 1971, "aufgewachsen in Garten, Wiese und Wald", studierte an der TU Wien Bauingenieurwesen, radelte durch fast alle europäischen Länder, leistete soziale Sommereinsätze, liebt gutes Essen, Holzarbeiten, Kunst, Lesen, Nachdenken, Träumen, Volleyball und Wandern und arbeitet seit einem Jahr auf einem Demeterhof in der Steiermark.

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