Die Friedensdenker und der Kosovo

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Die Frage, ob wir in Österreich Intellektuelle haben, stellte sich lange Zeit überhaupt nicht, weil sie unser Staats- und Gemeinwesen gar nicht vermißte. Was man nicht braucht, vermißt man nicht. Und da Österreich ohne Intellektuelle ganz gut funktionierte, weil wir ohnehin genug gescheite Leute haben, stellte sich auch die andere entscheidende Frage nicht: Wer oder was ist ein Intellektueller?

Das Unklare der Definition rächt sich nunmehr als unverzeihliches historisches Versäumnis. Intellektuelle lassen sich nicht so ohne weiteres aus dem Boden stampfen, wenn man sie plötzlich braucht. Ein wenig ist das mit den Intellektuellen so ähnlich wie mit den Linkskatholiken oder den Fundamentalisten. Jedermann weiß zwar, was gemeint ist und als Gesinnungsstolz oder Vorwurf gebraucht werden kann, aber die Nahaufnahme wird doch regelmäßig unscharf und es kommt immer auf den Hintergrund an.

Der neue Bedarf an Intellektuellen entsteht aus dem Erklärungs- und Protestnotstand des Krieges um den Kosovo. Nicht daß wir etwa zu wenig Information über die Grausamkeiten hätten, zu wenig emotionelle Teilnahme zeigten, nicht über historische Zusammenhänge von Amselfeld bis Ustascha unterrichtet wären! Aber es fehlen uns die messerscharfen Feindbilder. Daß der Slobodan Milosevic' ein Unhold ist und daß die UCK eine wüste Truppe ist, das haben uns die Medien beigebracht. Und daß die Bombenflieger der NATO ferngesteuerte Feiglinge sind, das können wir uns auch vorstellen. Aber so richtig Partei ergreifen, so richtig Schuld und Rache zuweisen, das ist diesmal nicht so leicht wie in früheren Kriegen.

Der Peter Handke ist uns da mit dichterischer Intuition voraus, aber sein Nachteil ist, daß die Österreicher die Dichter immer schon für Dichter und nicht für Intellektuelle gehalten haben. Bei uns zählen die Experten und Gutachter mehr, die mit irgendwelchen Tabellen und Kurven die reine Wahrheit beweisen.

Mittlerweile haben die Experten längst ihre Show abgezogen. Das Publikum ist enttäuscht, denn es hätte eine Rezeptur des Friedens erwartet. Doch die ganz einfache Lösung, wie man einen balkanesischen Dickschädel zur Räson bringt, wurde nicht geboten. Die Versuche der Politiker sind vielleicht erfolgreicher. Aber so lange der Pulvervorrat so groß ist, haben sie Schwierigkeiten mit dem Konsumverzicht der Bomber. In diese vertrackte Situation gellt nun der Aufschrei: Wo sind denn die Intellektuellen?

Die Medien bemühen sich sogleich, welche aufzutreiben. Die zu Wort getrieben werden erklären gleich einleitend, daß sie eigentlich keine Intellektuellen seien, daß sie gewissermaßen nur als Stellvertreter agieren und gar nicht wüßten, was ein Intellektueller sei. Im Ausland, ja, da gäbe es Intellektuelle, da erhöben sie auch ihre Stimme, aber in Österreich sei die Exposition fragwürdig.

So erscheint denn auch hierzulande die bekannte Revue aus Wissenschaft, Kunst, Entertainment und Journalistik. Ohne mitreißenden Effekt. Österreich hat dem Intellektualismus den Humus entzogen. An die Stelle der scharfgeistigen Argumentation und Diskussion ist hierzulande die Talkshow mit den Statements einiger wohlbekannter Namen getreten. Ein paar blitzende Pointen schmücken das Gerede. Es ist schon ein Kunststück, überhaupt zur Sache zu kommen. Die anerkennenswerte Hilfsbereitschaft dieses Landes hat die intellektuelle Analyse weit überholt. Der Triumph der Tatkraft, der karitativen Macher, ist überzeugender. Der Trauerfall eines zugeklebten Schubhäftlings hat mittlerweile bewiesen, daß bei uns die "Praktiker" das Sagen haben.

Wahrscheinlich ist österreichischer Intellektualismus ein Widerspruch in sich. Es ist uns das nur im Laufe der seligen Inseljahre nicht bewußt geworden. Und momentan, wie immer wenn der Hut brennt, ist es ja auch egal.

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