
Die zunehmende Verschärfung der Lage
Das neuartige Coronavirus macht die Menschen misstrauisch. Durch staatliche Maßnahmen werden sie in einen kollektivpsychologischen Ausnahmezustand versetzt. Ein Gastkommentar von Peter Strasser.
Das neuartige Coronavirus macht die Menschen misstrauisch. Durch staatliche Maßnahmen werden sie in einen kollektivpsychologischen Ausnahmezustand versetzt. Ein Gastkommentar von Peter Strasser.
Ich spüre bei uns eine zunehmende Verschärfung der Lage, weil die Leute einander zusehends misstrauisch beäugen. Schon infiziert? Eine Funktionsautorität an unserer Universität gibt den launigen Minidiktator: Weil Blumengießen eine Arbeitstätigkeit ist und alle Arbeitstätigkeiten an der Universität verboten sind, ist Blumengießen verboten. Macht nichts, sagt er, wenn das Grünzeug eingeht, die Floristen werden es ihm nach der Krise danken (haha).
Die Bauern auf unseren Bauernmärkten dürfen keine Osterbuschen mehr verkaufen, nur Lebensnotwendiges! Dass für man- che die Palmweihe lebensnotwendiger ist als die Illustrierten, die es in Supermärkten und Trafiken zu kaufen gibt, versteht man im katholischen Österreich nicht mehr so recht. (Zigaretten hingegen sind lebensnotwendig, ebenso wie Grußkarten und Einwickelpapier, eben all das, was man in einer Trafik so zu kaufen bekommt.) Jetzt wird hintenherum „angedacht“, ob man die Installierung einer Tracking-App nicht mit Gratifikationen – man darf ein wenig mehr an Grundrechten behalten! – versehen oder eine solche App überhaupt für alle verpflichtend machen soll, die ihre Wohnung verlassen wollen. Derweilen kollabiert die Wirtschaft und gerät der Staat an den Rand des Bankrotts.
Unverzeihliche Nachlässigkeiten
Zwischendurch verlautet aus der EU von höchster Stelle, man wolle Orbáns Aufstieg zum ungarischen Diktator im Moment nicht kommentieren. Diktatoren sind bekanntlich Personen, die unter Ausschaltung des Parlaments den Ausnahmezustand benützen, um das Volk unter die totale Kontrolle ihres Machtwillens zu bringen, und dies ohne zeitliche Begrenzung. Das muss man eben schlucken, sagt die EU-Chefin, wir leben in außergewöhnlichen Zeiten mit außergewöhnlich schlechten Beziehungen zum Osten. Es werden jetzt laufend Überschreitungen der roten Linien toleriert, die in einem liberalen Rechtsstaat, ja sogar in einer „illiberalen“ Demokratie, unverrückbar sein sollten.
Man kann sich ausrechnen, dass solche unverzeihlichen Nachlässigkeiten auf die Zeit nach COVID-19 – die so bald nicht kommen wird – politisch nachhaltig weiterwirken werden, wenn auch in verdünnter Form. Zurück nach Österreich, wo ein Volk durch staatliche Verschärfungen, welche fast im Wochentakt erfolgen, in einen kollektivpsychologischen Ausnahmezustand versetzt wird. Es beginnt damit, dass man die Alten, die Angehörigen der sogenannten Risikogruppe – zu der ich mich bereits zählen darf – vor ihren Enkeln und Kindern und überhaupt vor diesem und jenem schützen will (vom Frische-Luft-Schnappen bis, Gott behüte!, zum Gang in den Supermarkt).
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