Was heißt hier minderwertig?

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Manche haben zu viel davon, mehr zu wenig - und allzu vielen fehlt es ganz: ein starkes Selbstwertgefühl. Wie man Minderwertigkeitsgefühle überwinden kann, stand im Zentrum einer GLOBArt-Tagung.

Josef Schönberger ist ein Freund klarer Worte: "Das Thema ist mir eigentlich zuwider!" Was soll das schon heißen: Minderwertigkeit? "Das ist ein Wort, das eigentlich der Humanität widerspricht", ist der klinische Psychologe, Psychotherapeut, Coach, politische Erwachsenenbildner und Leiter der "Schule für Gesundsein" im niederbayerischen Julbach überzeugt. Entsprechend leidenschaftlich lehnt er das Konzept des Individualpsychologen Alfred Adler ab, wonach sich Kinder, sobald sie geboren sind, stets als mangelhaft, unfertig, minderwertig empfinden würden und dieses Minderwertigkeitsgefühl erst "kompensieren" müssten. "Das entspricht nicht meiner Erfahrung", stellt er klar. "Wenn ich in die Augen eines Kindes schaue, dann kann ich einfach kein Mängelwesen entdecken."

Menschlicher "Marktwert"

Es ist tatsächlich ein kontroverser Begriff, mit dem sich Donnerstag vergangener Woche die zweite GLOBArt Kompass-Tagung im St. Pöltener Landhaus beschäftigt hat: "Von der Minderwertigkeit zur Selbstbewusstheit - Ermutigung zum Ich" lautete der Titel der Veranstaltung, in der es näherhin darum ging, Konzepte zur Überwindung sozialer, körperlicher oder auch ethnischer Minderwertigkeit(sgefühle) zu entwickeln. Ein hoher Anspruch, wie Josef Schönberger, der in St. Pölten referierte, aus seiner Beratungs-und Begleitungspraxis weiß: Schließlich ist in einer Welt ständigen Wettbewerbs und Leistungsdrucks, die den Menschen vor allem nach seinem "Marktwert" bemisst, beinahe jeder zeitweise - oder auch chronisch - von einem schwachen Selbstwertgefühl betroffen.

Umso notwendiger sei es, so Schönberger, zwischen dem Menschen an sich, also seinem Wesen, und seinen Eigenschaften - etwa seinem Aussehen, seinem "Charakter", seinem Verhalten oder seinen Leistungen - strikt zu unterscheiden. "Einen Menschen selbst kann und darf man nicht bewerten, seine Eigenschaften schon", erklärt Schönberger, der die strikte Trennung dieser Ebenen für unabdingbar hält.

Eine Sicht, die der Medizinethiker Matthias Beck nur unterschreiben kann. "Das Wertvoll-Sein des Menschen kommt ihm nicht von außen als Zuschreibung der anderen Menschen zu, sondern der Mensch ist wertvoll auf Grund seiner menschlichen Existenz - unabhängig von Rasse, Hautfarbe, Alter, Herkunft, sozialem Status oder Gesundheit", stellt er fest.

Doch was ist das überhaupt, ein Wert? "Die beste Erklärung ist jene, dass ein Wert ein unbefriedigtes Bedürfnis ist", meint der Psychotherapeut Schönberger. Wertvoll ist demnach, was man will. Und das Ich sei "eine einzige, große Bewertungsmaschine". Eine Maschinerie, die nicht ungefährlich sei, schließlich müsse sie sich ständig ihres eigenen Wertes versichern - und zugleich ständig über andere urteilen. "Das ist fatal", weiß Schönberger, "doch das läuft meist unbewusst ab."

Am Ende entlädt sich ein solches Urteil schnell in (abschätzigen) Worten. Katalin Zanin, Bewegungspädagogin und Gründerin der integrativen Tanz-und Theatergruppe "Ich bin O.K.", kennt dieses Phänomen nur zu gut. "Das fängt damit an, dass Menschen mit einer Behinderung von vielen Leuten gleich einmal geduzt werden", erzählt sie. ",Du unterschreiben!' heißt es dann, oder ,Du weitergehen'. Das ist eine Respektlosigkeit." Erst dieser erniedrigende Umgang mache viele Menschen mit Beeinträchtigungen im Wortsinn "behindert", betont die Pädagogin. "Es sind die Worte, die uns kaputt machen."

Das Tanzen, das für die (behinderten und nicht behinderten) Mitglieder der Gruppe "Ich bin O.K." im Zentrum steht, ist hingegen nonverbal. "Tanz macht Freude und lockert auf", weiß Zanin. "Und das ist wichtig, denn mit gesellschaftlichen Behinderungen zu leben macht aggressiv."

Bisweilen konstruieren sich Menschen die Barriere zum Glück aber auch selbst - etwa durch überhöhte Leistungsanforderungen an die eigene Person. Anika Vavic kennt dieses Gefühl ein wenig. "Ich kann mich nicht erinnern, dass ich einmal im Künstlerzimmer nach einem Auftritt völlig zufrieden gewesen wäre", erzählt die junge Pianistin, die 1992 aus ihrer Heimatstadt Belgrad nach Österreich gekommen ist, um an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien zu studieren. Das Streben nach Perfektion sei eben die frustrierende Seite ihres Berufs - der sie aber andererseits völlig ausfüllen würde.

In der Arbeit aufzugehen, ist tatsächlich ein gutes Gefühl. Doch was, wenn der erfüllende Beruf von heute auf morgen verloren geht - etwa bei Arbeitslosigkeit oder Pensionsantritt? Was, wenn sich Niederlagen oder Misserfolge einstellen? "Dann wird es für viele Menschen schlimm", weiß der Psychotherapeut Schönberger aus seiner Praxis. Er diagnostiziert in der modernen Gesellschaft einen "Verlust an innerem Halt", der mit einem äußeren Halt "kompensiert" werde. "Früher gab es die Tradition, die Religion und stabile, familiäre Beziehungen. Das war oft problematisch, hat aber den Menschen doch als Haltepunkt gedient. Weil das vielfach verschwunden ist, schaffen wir uns mittlerweile einen äußeren Halt durch den Beruf, den Ruhm, die Rentenansprüche, den Freundeskreis", erzählt Schönberger im furche-Gespräch. Doch diese Säulen seien brüchig. "Wenn der Begriff ,Altersvorsorge' einen Sinn haben soll, dann sollte man sich also auch rechtzeitig um die inneren Werte kümmern", ist der Psychotherapeut überzeugt.

Einfach weil es dich gibt

Besonders kümmerungswürdig sind indes Eltern von behinderten Kindern: "Ihnen muss man praktisch helfen, sie aber auch psychologisch aufrüsten, damit sie ihrem Kind seinen Selbstwert spiegeln können", wünscht sich Schönberger. "Erst dann können sie ihm sagen: Du kannst vielleicht nicht schreiben oder ins Büro gehen, aber du bist ein wertvoller Mensch - einfach weil es dich gibt."

VERANSTALTUNGSTIPP:

9. GLOBArt Academy:

"Bildung - ein Menschenrecht!"

Von 24. bis 27. August 2006 im Kloster Pernegg (Niederösterreich).

Es referieren u.a. Andrea Breth, Francis D'Sa, Eva Jaeggi, Franzobel, Adolf

Frohner, Arnold Mettnitzer, Freda

Meissner-Blau, Hans-Peter Dürr und Furche-Herausgeber Wilfried Stadler. Programm-Infos: www.globart.at

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