Wenn der Berg wankt

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Nein, es ist keine Neuauflage von Lassing. Der Felssturz in Schwaz weckt allerdings manche Erinnerung an das Grubenunglück, das Österreich vor einem Jahr in Atem hielt.

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Nein, es ist keine Neuauflage von Lassing. Der Felssturz in Schwaz weckt allerdings manche Erinnerung an das Grubenunglück, das Österreich vor einem Jahr in Atem hielt.

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Zur Erinnerung: Samstag vor einer Woche stürzen gegen 15 Uhr Tausende Kubikmeter Felsmasse vom Eiblschrofen, einem Berg nahe von Schwaz in Tirol. Bürgermeister Hans Lintner wendet sich um Hilfe an die zuständige Wiener Bergbaubehörde. 20 Stunden lang vergebens. Beraten von Tiroler Landesgeologen entscheidet er im Alleingang, den Ortsteil Ried zu räumen. 250 Menschen werden evakuiert.

Der Berg wird ins Visier der Meßgeräte genommen. Kommt der Felsen in Brocken herunter? Oder im Ganzen? Die Experten wissen es nicht. Sicher ist nur, daß in letzterem Fall Hunderttausende Kubikmeter Gestein ins Tal stürzen würden.

Bis zuletzt wachsen Risse und Sprünge. Die Medien bleiben am Ball, die Beobachtung vor Ort wird aber eingeschränkt. Schließlich geht es nur um Hab und Gut. "Menschlich gesehen", gibt die Sache lang nicht so viel her wie Lassing. Daß die 250 Ausquartierten jetzt in den Notquartieren mit ihren Verwandten, die ihnen eben doch nicht so nahestehen, auskommen lernen müssen - so die Diagnose des psychiatrischen Betreuungsteams -, gibt zwar eine Meldung her, reißt aber niemanden vom Stockerl. Und das millimeterweise Wachsen der Sprünge ist auch kein Sujet für einen Thriller.

Also doch kein neues Lassing? Was das Ausmaß des Schadens und die Medienhysterie betrifft - nein. Aber was die Reaktion des zuständigen Wirtschaftsministers Johannes Farnleitner anbelangt und die seiner Behörde - beide hatten vor einem Jahr recht fragwürdig agiert - vielleicht doch. Haben sie aus den Erfahrungen gelernt? Kaum. Wieder wird abgeblockt. Dabei mußte jedem klar sein, daß auch im Fall Eiblschrofen die Frage nach der Verantwortung der Behörde auf der Hand lag. Für die Tiroler Experten kam der Felssturz keineswegs überraschend. 1993 gab es nämlich in einem Waldstück im Vorfeld des Berges einen flächenmäßig größeren Erdeinbruch als in Lassing. Ein Zusammenhang mit dem unteriridschen Abbau von Dolomit in Schwaz sei keinesfalls auszuschließen, sondern eher naheliegend, hieß es.

Eva Lichtenberger, Ex-Umweltlandesrätin in Tirol, verlangte damals die Erstellung einer Georisiko-Studie: Abgelehnt, zu teuer. Keine Hinweise auf eine Gefährdung, so die Experten der Betreiberfirma - so auch die Bergbaubehörde (ein Einklang der Sichtweisen, der an Lassing erinnert).

Klar, daß es jetzt nach dem Felssturz im Nationalrat "Watschen" für den Wirtschaftsminister regnete - von allen Seiten und nicht nur weil Vorwahlzeiten sind. Ob ihm damit unrecht getan wird, ist schwer zu sagen. Aber daß seine Reaktion jedes Fingerspitzengefühl für die Behandlung einer so heiklen Frage vermissen ließ, bescheinigen ihm alle Kommentatoren.

Für Farnleitner stand sofort fest, er jedenfalls sei aus dem Schneider. Erstaunlich rasch war ein Gutachten zur Hand, das jeden Zusammenhang mit dem aktiven Bergbau und damit seine Zuständigkeit für das Geschehen ausschloß. Eine Woche nach dem Ereignis bescheinigte ihm dies eine Expertenkommission, die schon vor den Ereignissen mit der Frage befaßt war. Möglicherweise, so das Urteil, spielten die alten Stollen des Silberbergbaus (er erlebte im 15. Jahrhundert seinen Höhepunkt in Schwaz und wurde im 19. Jahrhundert eingestellt) und die starken Regenfälle heuer im Mai ein Rolle.

Expertenmeinung gegen Expertenmeinung. Ein bekanntes Muster, nicht wahr?

Unwillkürlich erinnert man sich an die widersprüchlichen Gutachten, wenn es etwa um den Bau von Atomkraftwerken oder die Freisetzung gentechnisch veränderter Lebewesen ging. Auch da standen stets Experten, die das wirtschaftlich und politisch motivierte Handeln absicherten, mit dezidierten Stellungnahmen parat.

Damit kommen wir zu grundsätzlichen Lehren, die man aus dem Geschehen ziehen könnte. Sie gehen über die Fragen hinaus, ob sich Farnleitner richtig oder präpotent verhalten hat, ob die Bergbehörde effizient organisiert ist oder nicht, ob es eines wirksameren Krisenmanagements bedarf oder nicht ...

Da ist zunächst der Verdacht (wie er sich in Lassing zu bestätigen scheint), daß die Unternehmen unter wirtschaftlichem Erfolgsdruck ihre Möglichkeiten bis über die Grenzen des Vertretbaren "pushen". Das überzogene Effizienzdenken verführt systematisch dazu, bei der Sicherheit zu sparen und die Ressourcen maximal auszubeuten.

Das ist kein Spezifikum der Bergbaubetriebe, bitte schön. Dasselbe Spiel wird im großen Stil mit der Unzahl von chemischen Produkten betrieben, die auf die Umwelt losgelassen werden, dasselbe geschieht bei der Freisetzung genmanipulierter Organismen ... Wer vor Nebenwirkungen warnt, wird mit den Hinweis auf das aktuelle Fehlen unmittelbar nachweisbaren Schadens abgeschmettert.

Erst wenn Schäden offenkundig werden, reagiert man, zunächst hinhaltend. Dann wird nach Schuldigen gesucht, denen man alles in die Schuhe schiebt. Ein großes Lamento setzt ein, ein vermeidbares Mißgeschick des an sich gut funktionierenden Systems wird beklagt - und man tut weiter wie bisher. Keiner fragt, ob die Pannen nicht System haben.

Übersehen wird, daß der Mensch an der Schöpfung, die er nicht durchschaut, herumpfuscht, als wäre sie sein Werk. Und dabei ist es selbst im scheinbar einfach gelagerten Fall des Felsens bei Schwaz offensichtlich gar nicht leicht, die Zusammenhänge zwischen Ursachen und möglichen verheerenden Folgen festzumachen.

Um wieviel schwieriger ist es bei der Unzahl nicht so leicht zurechenbarer Einwirkungen! Wenn jetzt Vorwürfe gegen die Bergbaubetreiber und deren Aufsichtsbehörde laut werden, um wieviel massiver müßten die Vorwürfe gegen den vorherrschenden ausbeuterischen Wirtschaftsstil, seine Verfechter und Manager sein? Unser Lebensraum ist nicht beliebig manipulierbar. Das Wanken des Felsens könnte als Mahnung verstanden werden.

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