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Bonn zwischen Brüssel und Paris

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Deutsche Diskussionen nach dem deutschfranzösischen Freundschaftspakt: Die Diskussion um die Nachfolge Adenauaers ist eröffnet.

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Deutsche Diskussionen nach dem deutschfranzösischen Freundschaftspakt: Die Diskussion um die Nachfolge Adenauaers ist eröffnet.

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Während Frankreichs Staatspräsident General de Gaulle die westliche Welt durch starres Festhalten an seinen eigenen, sowohl die amerikanischen wie insbesondere die englischen Interessen kaum beachtenden Kurs schockiert, ist das Rätselraten über die Rolle Deutschlands dabei noch in vollem Gange. Die enge Verbindung, die Konrad Adenauer überraschend 14 Tage vor dem dramatischen Scheitern der Brüsseler EWG-Konferenz über die Aufnahme Großbritanniens bei seinem Staatsbesuch in Paris mit Frankreich einging, hat trotz des unverfänglichen Textes dieses Abkommens zu vielen Spekulationen über die wahren Ziele dieser Allianz geführt. Deutschlands vergebliche Bemühungen um ein Kompromiß in Brüssel standen und stehen in einem merkwürdigen Gegensatz zur Entente cor-ediale zwischen Bonn und Paris. Daß nicht Deutschland, sondern Frankreich hier der- führende Partner ist. zeigten nicht zuletzt diese Verhandlungen, auf denen es Deutschland, vertreten durch Bundeswirtschaftsminister Professor Erhard und Außenminister Gerhard Schröder, trotz intensiver Bemühungen nicht gelang, Frankreich von seinem ganz bewußt auf das Scheitern der Verhandlungen angelegten Kurs abzubringen. Prof. Erhard und Gerhard Schröder erwiesen sich dabei als ehrliche Makler, aber es ist eine seither innerhalb und außerhalb Deutschland vieldiskutierte Frage, bis zu welchem Grad die neue Allianz Deutschland von seinem bisher engsten Verbündeten, Amerika, abziehen und damit eine völlige Umwandlung der politischen Verhältnisse in Europa einleiten wird.

Adenauer und die Ära Kennedy

Daß die deutsch-französische Verbrüderung ganz in der von Konrad Adenauer seit der Wahl Kennedys vertretenen Linie liegt, ist ein offenes Geheimnis. War seine Stellung bis 1960 ungefährdet, weil er mit Recht auf sein großes Ansehen in Amerika hinweisen konnte, so ist seit der Ära Kennedy und insbesondere seit den Ereignissen des letzten Jahres unverkennbar, daß sein Außenminister Schröder ihm in Amerika den Rang abgelaufen hat. Demgegenüber ist die deutsch-französische Freundschaft so sehr auf die Persönlichkeiten de Gaulle und Adenauer zugeschnitten, daß ein Kanzlerwechsel nicht ohne Rückwirkungen bleiben würde. Schröders Prestigeerfolge in Amerika sind damit ausmanövriert, und mit sichtlicher Befriedigung konnte Adenauer vergangene Woche in einem Interview mit der amerikanischen Fernsehgesellschaft CBS feststellen, daß seine Zusage, sich im Herbst 1963 zurückzuziehen, selbstverständlich von der Voraussetzung abhänge, daß ein geeigneter Nachfolger zu finden sei. Dieser aber sei zur Zeit noch nicht zu erblicken, und in der Tat scheint Adenauer innerhalb der deutschfranzösischen Allianz nicht ersetzbar. Springt der selbstherrliche Mann an der Seine schon mit dem nicht gerade als bequemer Partner bekannten Konrad Adenauer so um wie in Brüssel, so läßt sich leicht vorhersagen, wo die Kommandostelle künftig sein wird, wenn ein Nachfolger Adenauers die deutschen Interessen zu vertreten hat. So hat diese Frage auch eine sehr starke innenpolitische Seite, die vielleicht daran besonders deutlich wird, daß selbst Adenauers treuester Paladin, der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU von Brentano, die Erklärung Adenauers mit der Bemerkung quittierte, es lägen keine Anzeichen dafür vor, daß der Herbsttermin von Adenauers Rücktritt nicht eingehalten würde.

Europa der Vaterländer?

Von da her erklärt sich das tiefgreifende Unbehagen, das politische Kreise in Bonn über das deutschfranzösische Abkommen beschlichen hat. Es ist seit Brüssel nicht mehr zu verkennen, daß sich de Gaulle hier ein Europa der Vaterländer zu gründen anschickt, in dem die politische, Führerrolle Frankreichs unbestritten ist. Erregt schon das wegen des überdeutlichen antiamerikanischen und antienglischen Kurses Unbehagen, so zeigen die verärgerten Kommentare aus Washington, was für Bonn hier auf dem Spiel steht. Dem zu Kennedy entsandten Staatssekretär Prof. Carstens vom Auswärtigen Amt wurde vom Präsidenten in unverhüllter Deutlichkeit zu verstehen gegeben, für wie gefährlich man dort die deutsche Unterstützung der französischen Pläne ansieht und wie enttäuscht man über die Haltung der Bundesrepublik ist.

In Bonn häufen sich daher die Stimmen, die den überraschenden Abschluß des deutsch-französischen Freundschaftspaktes wenige Tage vor dem vorhersehbaren Scheitern der Brüsseler Konferenz für einen schweren Fehler ansehen. Der Abschluß hat durch sein zeitliches, keinesfalls zufälliges Zusammentreffen das von de Gaulle sicher beabsichtigte Aussehen gewonnen, als sollte damit die künftige Bedeutung des von Frankreich geführten Europas mit großem Aplomb demonstriert werden. Bei aller Freude über die, in Westdeutschland übrigens durchaus populäre, deutschfranzösische Aussöhnung zeigt sich quer durch die Parteien in Bonn die Sorge, diese von Adenauer forcierte Außenpolitik sei einesteils dazu angetan, dessen Kanzlerschaft weiter auszudehnen, und würde anderseits Westdeutschland mit Frankreich in eine gefährliche, bei der geographischen Lage Deutschlands geradezu halsbrecherische Isolierung treiben. Man sieht sich bei der Ratifizierung dieses Vertrages in ein böses Dilemma gebracht. Einerseits gibt der Text des Vertrages kaum Anhaltspunkte für Bedenken, anderseits sind dessen Folgen bei der Vitalität de Gaulies kaum abzusehen. Man kennt Adenauers Reserven gegen England, weiß, daß er zu Kennedy trotz aller gegenteiligen Beteuerungen kein rechtes Verhältnis finden konnte, und fürchtet daher, durch seine Vorliebe für de Gaulle vorzeitig auf eine Weise festgelegt zu werden, die zu schweren Komplikationen führen kann. Anderseits wäre das Hinauszögern oder gar die Verweigerung oder Verklausulierung der Ratifikation eine Unfreundlichkeit, die das deutsch-französische Verhältnis auf Jahre hinaus entscheidend verschlechtern müßte. Man fühlt sich von Adenauer mit diesem Vertrag überspielt, ohne den die Situation für Bonn in jeder Hinsicht einfacher wäre.

Erhard und die Unzufriedenen

Zum Sprecher dieser Unzufriedenen machte sich am 4. Februar Vizekanzler und Wirtschaftsminister Professor Erhard in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Erhard wurde durch das Scheitern der Brüsseler Verhandlungen persönlich am meisten getroffen. Ist doch seine Wirtschaftspolitik ganz auf den Beitritt Großbritanniens abgestellt. Auch hatte er in Brüssel vergeblich mit seiner ganzen Autorität das Scheitern der Verhandlungen zu verhindern versucht. In seinem Interview mit der Süddeutschen Zeitung klang deutlich sein Verdacht an, von Adenauer über die zu erwartende Haltung Frankreichs nicht genügend aufgeklärt worden zu sein. Ebenso kam darin der Wille Erhards zum Ausdruck, sich nicht von Frankreich in einen anti-angelsächsischen, allein-europäischen Kurs zwingen zu lassen. Erhards Energie war nicht zuletzt durch Vorgänge in seinem Ministerium angefacht worden, wo es zu einem offenen Aufstand gegen die neue Politik Adenauers gekommen zu sein scheint. Erhards langjähriger Mitarbeiter, Staatssekretär Prof. Alfred Müller-Armack, einer der fähigsten Männer in Bonn, der die deutsche Wirtschaftspolitik der Ära Erhard entscheidend mitbestimmte und als ein zielbewußter, allgemein großes Ansehen genießender Verfechter der Einigung Europas bekannt ist, hat seinen Rücktritt erklärt. In einem langen Gespräch mit Erhard wurde die Entscheidung darüber zwar um acht Tage vertagt, doch ist man sich in Bonn im klaren, daß Müller-Armack kaum von seinem Entschluß abzubringen sein wird. Über die Gründe ist zwar offiziell nichts bekannt geworden, doch ist es mit der Hand zu greifen, daß sich Müller-Armack gegen eine Politik des „Auf zwei Schultern-Tragens“ wendet, wie sein Chef Erhard in kaum verhüllter Kritik an Adenauer die Gefahren der neu eingeleiteten Politik in seinem Interview bezeichnete. Dieses Interview hat zu einem sowohl von Abgeordneten der SPD wie von der CDU/ CSU unterstützten Vorstoß von FDP-Abgeordneten bei Erhard geführt, die an ihn die Frage herantrugen, ob er bereit sei, sich für ein konstruktives Mißtrauensvotum gegen Adenauer zur Verfügung zu stellen. Allerdings konnte sich auch diesmal Erhard im letzten Augenblick nicht entschließen, so daß der Vorstoß ergebnislos blieb. Dazu hat sicher beigetragen, daß sich Erhard auf der vorhergehenden Kabinettsitzung mit seinem Vorschlag, mit Frankreich wegen des Beitritts Englands zur EWG unverzüglich neue Verhandlungen aufzunehmen, eine Niederlage zugezogen hatte. Nur die FDP-Minister stimmten mit ihm!

Damit ist jedoch offenbar geworden, daß die Diskussion um die Ratifizierung des deutsch-französischen Freundschaftspaktes eine schwere innere Krise heraufbeschworen hat, die gleichzeitig eine neue Krise um Konrad Adenauer, den Kanzler auf Zeit, ist. Seine Lage ist nicht ganz leicht, zumal sein Ansehen in den letzten Wochen durch die Winkelzüge um die Veröffentlichung des Berichts der vier Ministerien (Verteidigung, Äußeres, Innen, und Justiz) über die Spiegel-Affäre und ihre Beteiligung daran und schließlich durch dessen Veröffentlichung an jenem gleichen 4. Februar auch innerhalb der CDU/CSU-Fraktion Schaden erlitten hat. Adenauer ist hier besonders von dem Bericht des Auswärtigen Amtes belastet worden. Dies alles spielt zusammen, um in Bonn eine ständige Krisenstimmung zu erzeugen. Ludwig Erhards Versuch, sich an die Spitze der Unzufriedenen zu stellen, ist durch sein Zaudern viel von seiner Stoßkraft genommen worden.-

So spricht vieles dafür, daß in den kommenden Wochen die Würfel um das fünfte Kabinett Adenauer fallen werden. Er hat damit, ohne zu wollen, die Diskussion um seine Nachfolge eröffnet.

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