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China will die Zeit nützen

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Nach den Wirren der Kulturrevolution trat bekanntlich eine gewisse Beruhigung der innenpolitischen Lage Chinas ein. Inzwischen vollzieht sich auch eine langsame Rückkehr auf das internationale Parkett. Nun scheint ein von der „Schreibgruppe des Revolutionskomitees der Stadt Peking“ verfaßter und in der letzten Ausgabe der „Peking Rundschau“ unter dem Titel „Der Weg der sozialistischen Industrialisierung Chinas“ veröffentlichter Aufsatz eine gewisse Ernüchterung auch in der Wirtschaftspolitik anzukünden.

Die Unantastbarkeit des Vorranges der Politik gegenüber der Wirtschaft wird natürlich nicht in Frage gestellt. Die Bevölkerung wird jedoch aufgefordert, nach den Richtlinien Maos den Sozialismus „mehr, schneller, besser und wirtschaftlicher“ aufzubauen.

Autarkie mit Vorbehalt

Die erstrebte höhere Wirtschaftlichkeit bedeutet theoretisch eine Einstellung ähnlich der der sowjetischen „Revisionisten“. Die Chinesen lehnen jedoch weiterhin „Profit“ und „materiellen Anreiz“ ab, nicht nur wegen der „kapitalistischen Färbung" dieser Begriffe, sondern auch, weil diese Methoden keineswegs die Probleme der Sowjetwirtschaft zu lösen vermochten. Peking setzt indes die Hoffnungen auf die „revolutionierten“ Kader, die keine privilegierte Stellung mehr haben dürfen, sondern „unter die Massen gehen“ müssen, d. h. selbst an der Produktion unmittelbar tedlnehmen. Die eingangs erwähnte Ernüchterung zeigt sich auch in einer anderen Hinsicht. Als der Konflikt mit Moskau ausbrach, erließ Mao die Direktive: „Unabhängigkeit und Selbständigkeit, Vertrauen auf die eigene Kraft“, die in der Praxis eine autarke Wirtschaftspolitik bedeutete. Sie erhält nun eine gewisse Korrektur. „Während wir an der Richtlinie Unabhängigkeit und Selbständigkeit, Vertrauen auf die eigene Kraft festhalten, lehnen wir es nicht ab, von anderen Ländern zu lernen“ — heißt es.

Das Gespenst

Eine schlechte Erfahrung, die es zu vermeiden gelte, sei die in der Sowjetunion betriebene einseitige

Entwicklung der Schwerindustrie. Interessanterweise scheinen diese neuen Gedanken mit dem Blick auf einen möglichen Krieg mit den Sowjets entstanden zu sein. Nach einer Richtlinie von Mao sollen sich die örtlichen Stellen im Hinblick auf einen Kriegsfall bemühen, ein unabhängiges Industriesystem aufzubauen.

Die Forderung nach einem „schnelleren“ und wirtschaftlicheren Aufbau des Sozialismus, von der eingangs die Rede war, scheint somit aus dem Bedürfnis, die Zeit zu nützen, zu stammen. Die Schüsse am Ussuri- fluß und die sowjetischen Drohungen mit der Bombe wurden von den Chinesen dahin ausgelegt, daß die Sowjets den ideologischen Kampf als verloren betrachten und ihre Vorherrschaft mit Waffengewalt durchsetzen wollen. Im Gegensatz zu den amerikanischen Experten, die Im August an einen unmittelbar bevorstehenden Krieg glaubten, rechnet Peking mit einer längeren Frist, bis es so weit ist.. .

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