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Das „restliche“ Afrika

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Mit der Unabhängigkeitserklärung Algeriens ist ein Kapitel der kolonialen Ära, die Kolonialzeit Nord- und Mittelafrikas, im großen und ganzen zu Ende gegangen. Flächen- wie bevölkerungsmäßig gering ist'die Bedeutung der noch von europäischen „Mutterländern“ abhängigen Gebiete und Enklaven in diesen Teilen des afrikanischen Kontinents: die spanischen „Presidios“ an der Nordküste Marokkos sowie die Enklave von Ifni und Spanisch-Westsahara, die letzteren in ihrem Geschick wohl eng mit dem des unabhängigen Mauretanien verknüpft; das britische Protektorat Gambia, das bereits die, Selbstregierung erhalten hat, und die portugiesische „Überseeprovinz“ Guinea; schließlich, südlich von Kamerun, das spanische Territorium von Rio Muni und in Nordostafrika Französisch-Somaliland. In Ostafrika erhält das britische Protektorat Uganda am 9. Oktober 1962 die Unabhängigkeit; die Kenias ist lediglich eine Frage der Zeit. Die Grenze zwischen dem „entkolonisierten“ und dem noch kolonialen Afrika verläuft also in der Hauptsache bereits südlich des achten Grades südlicher Breite.

Auch die Situation der noch kolonialen oder halbkolonialen Territorien beiderseits dieser Linie ist eine ziemlich verschiedene und wirft Fragen sehr verschiedener Ordnung auf. Spaniens Verbleiben auf nord- und westafrikänischem Boden scheint geradezu ausschließlich eine Frage zwischen ihm und Marokko zu sein, das ja Grenzkorrekturen nicht unbeträchtlichen Ausmaßes auch gegenüber dem jetzt unabhängigen Algerien anstrebt. Man möchte erwarten, daß die Bereinigung dieser Frage noch geraume Zeit beanspruchen wird. Unbekannte sind in dieser Rechnung vor allem die innenpolitische Entwicklung in den Ländern des Maghreb wie auch die auf eine Teilung der einmal möglichen mauretanischen Beute angelegte Verbindung Marokkos mit dem Obernigerstaat Mali. Den wichtigsten Stabilisierungsfaktor bildet das immer noch mit Frankreich in vielem verbundene Senegal, das sich durch ein Vordringen beider Mächte in seiner Existenz gefährdet fühlen müßte.Portugiesisch-Guinea. Während in den Jahren 1959 bis 1961 viel von subversiver, namentlich vom Gebiete des unabhängigen Guinea her unterstützter Tätigkeit, Waffenschmuggel und aufwiegelnder Radiosendungen aus Conakry die Rede war und 1961 auch Tagungen von Exilpolitikern, unter anderem in Dakar, stattfanden, ist es seit einiger Zeit um all das verhältnismäßig still geworden. Wie diese Stille zu bewerten ist, werden wohl erst spätere Ereignisse zeigen. Wahrscheinlich bleibt, daß für den Aufstandsfall mit einer ungleich schlagkräftigeren und besseren Organisation zu rechnen sein dürfte als in Angola; doch bildet die Zukunft dieses Gebietes zwischen dem Senegal und der Republik Guinea, mit denen beiden größere Teile der Bevölkerung enger zusammenhängen, auch dann ein Fragezeichen. Am wenigsten problematisch erscheint gegenwärtig so noch das Geschick der spanischen Urwaldkolonie Rio Muni, etwas ähnlich dem des vormals französischen Gabun, das 1960 seine „Unabhängigkeit“, mehr der Not gehorchend und dem von Brazzaville ausgehenden politischen Druck, gewählt hat.

Südlich der Linie schwelt im nördlichen Angola, trotz der militärischen „Befriedungsaktion“ Portugals, weiterhin ein Guerillakrieg, dessen dem Gegenstoß entzogene Basis jenseits der Grenze im Kongo liegt. Von der Rücksichtslosigkeit der Repressionsmaßnahmen spricht indes die weiterhin steigende Zahl der von Angola nach dem Kongo übergetretenen Flüchtlinge; aller gegenteiligen Propaganda zum Trotz ist so auf eine wirkliche Beilegung des Krieges der Ba-kongo gegen Portugal in absehbarer Zeit nicht zu hoffen. Damit erscheint die weitere Entwicklung eine Frage der Zeit zu sein. Die Zentralafrikanische Föderation steht weniger vom Kongo, von dem sie durch Katanga abgeschirmt ist, als vom britischen Ostafrika her unter wachsendem Druck. Auf einem außerordentlichen Kongreß in Mbeya in Tanganjika hat die panafrikanische Freiheitsbewegung Ost- und Zentralafrikas beschlossen, bei der Unterstützung der Nationalisten beider Rhodesien künftig das bisher beobachtete Prinzip der Gewalt-losigkeit aufzugeben. Njassaland hat seit dem Vorjahr eine autonome afrikanische Regierung und hat die jüngsten Bundeswahlen einfach boykottiert, so daß Sir Roy W e 1 e n s k y mit 729 (!).zu seinen Gunsten abgegebenen Stimmen alle fünf Mandate im Bundesparlament erhalten konnte. In Rhodesien wird das Lager der Nationalisten gegenwärtig durch mehrfache Spaltungen geteilt; die Möglichkeiten eines allmählichen Ausgleichs scheinen aber noch nicht gänzlich-^vertan zu sein. Ein Projekt gilt sogar der Einbeziehung des bisher gesonderten Betschuanalandes in eine nach dem Verlust Njassalands umgestaltete Föderation.

Großbritannien hat in Gambia, wie anderswo der Zeit vorauszuarbeiten gesucht. So natürlich die Rückkehr dieses Gebietes zum Senegal wäre, scheinen sich die heimischen Führer diesbezüglich im übrigen Zeit zu lassen. Auch ist ungewiß, ob die eigentliche Kronkolonie Gambia, mit dem Hafen Bathurst, nicht auch dann eine ganz andersartige Entwicklung nehmen und der Unterordnung unter die Regierung von Dakar eine halbe Selbständigkeit unter britischer Oberhoheit, als eine Art „westafrikanisches Hongkong“, vorziehen könnte.

Paradox wie dieses mögliche und nicht ganz unwahrscheinliche Verbleiben Englands in einem sonst gänzlich außerhalb seiner traditionellen Einflußsphäre liegenden Bereich ist das Frankreichs in Djibuti am Roten Meer. Französisch-Somaliland, übrigens nur zur knappen Hälfte von Somal bewohnt, bildet den Hauptumschlagplatz für den Handelsverkehr nach dem Inneren Äthiopiens und ist Ausgangspunkt der einzigen nach Addis Abeba führenden Bahn. Es ist wohl undenkbar, daß das letztere diesen Platz jemals freiwillig der unabhängigen Somalirepublik überantworten wird.

Ein merkwürdiges, manchmal etwas unheimliches Stillschweigen umgibt

Südafrika endlich hat der Entwicklung in seinem nördlichen Vorfeld in mehrfacher Hinsicht Rechnung getragen. Es hat nicht nur zwei („farbigen“) Persönlichkeiten des UN-Sonderausschusses für Südwestafrika die Einreise sowie auch einen Besuch im ersten „Bantustan“ der Republik selbst, dem Transkei, gestattet, sondern scheint gerade in der Frage des Mandatsgebietes stärker zu Konzessionen geneigt zu sein als bisher. Eventuell soll auch Südwestafrika in einen „schwarzen“ und einen „weißen“ Staat geteilt werden.

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