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Der Balkan vor großen Ereignissen

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Der stellvertretende Vorsitzende des slawischen Kongresses, der tschechoslowakische Gesandte Maxa, erklärte jüngst in einem Interview, Jugoslawien und Bulgarien seien gewillt, sobald der Friedensvertrag mit Bulgarien diesem freie Hand für politische Entscheidungen gibt, eine Föderation zu bilden.

Diese Nachricht läßt die näheren und weiteren Nachbarn aufhorchen. Sie kündigt für den Balkan eine völlig neue Lage an: die Vorherrschaft einer die Breite der Halbinsel durchziehenden; auf zwei Meere gestützten Macht, man kann ruhig sagen: Vormacht.

Der Gegensatz der beiden Staaten ist fast so alt wie ihre Geschichte seit der Befreiung von der türkischen Herrschaft. Viermal sind sie sich seither mit den Waffen gegenübergestanden, zweimal haben ihre Soldaten Seite an Seite gekämpft — einmal im ersten Balkankrieg —, um sofort darauf zum Kampfe gegeneinander überzugehen.

Der russisch-türkische Krieg 1877 bis 1878 wurde durch den gleichzeitigen Angriff der slawischen Balkanvölker gegen Türkei ausgelöst. Als sie im Erliegen waren, kamen ihnen die Russen zu Hilfe, Kußlands Absicht war, seinen Sieg zu einer mäßigen Vergrößerung Serbiens, vor allem aber zur Schaffung eines bedeutenden bulgarischen Reiches, als Vorposten gegen Konstantinopel, zu benutzen. Der Friedensvertrag von San Stefano stipulierte daher die Unabhängigkeit des um Nisch mäßig vergrößerten Serbien. Vor die Tore von Adrianopel legte er ein --großbulgarisches“ Reich, durch das die europäische Türkei in zwei Teile zerschnitten wurde. Seine Grenzen umfaßten außer dem späteren, historischen Bulgarien die Küsten des Ägäischen Meeres westlich der Mesta, schlössen Saloniki aus und umfingen- in weitem Bogen nach Westen greifend, das Kernland Mazedoniens mit Monastir, Ochrida und Üsküb. Der Friede von San Stefano ist niemals Wirklichkeit geworden, seine territorialen Bestimmungen sind aber Bulgariens ewiger Wunsch geblieben. Der Kongreß von Berlin derogierte gerade die Bulgarien betreffenden Bestimmungen einschneidend. Es wurde auf den Raum zwischen Donau und Balkangebirge beschränkt und verlor das ganze ihm eben zugesprochene Mazedonien. Durch diese Restriktionen blieb demnach dieses Gebiet, das von da an für die Beziehungen der Balkanstaaten untereinander entscheidend war urd dies bis heute blieb, unter türkischer Herrschaft.

Ein merkwürdiges Land! Kulturell lange rückständig, an Bodenschätzen arm und wirtschaftlich unentwickelt, blieb es durch Jahrzehnte ein neuralgischer Punkt Europas der die Aufmerksamkeit der Großmächte ständig wachhielt. Sein Gebiet wird in großen Zügen durch die Linien: Rhodopegrbirge, Ägäis. Olymp. Albanisdies Gebirge und das Bergland nördlich Üsküb (Skoplje) bestimmt. Auf diesem Raum, so groß wie Bulgarien, siedeln etwa drei Millionen Menschen, Angehörige aller Balkanvölker sowie Türken und Spaniolen, in unentwirrbarer Verzahnung. Es ist eines der ethnisch gemischtesten Gebiete der Welt. Keine Landschaft, kein Tal fast hat eine homogene Bevölkerung. Oft leben im gleichen Dorf drei, vier Nationen angehörende Bewohner. Alle diese Splitter untereinander im Streit- von den konnationalen Nadibarstaaten unterstützt, denen wieder die ihnen befreundeten Großmächte sekundieren. Ein Hexenkessel von Haß und Bürgerkrieg auf dem Hintergrund europäischer Politik. Die Protagonisten sind die bulgarisch orientierten „Su-premisten“ und die serbisch gesinnten „Föderalisten“. Es sei nur noch an die Mürzsteger Punktationen. die Flottendemonstration der Großmädite. die jungtürkischen Reform versuche erinnert. Hier in Mazedonien hatte denn auch der Balkankrieg seine Wurzel. Auf der Friedenskonferenz von London 1913 trat die besiegte Türkei alle Gebiete westlich der Linie Enos—Midia an ihre Gegner ab. Über Mazedonien entzweien sich dann die Verbündeten. Serbien und Griechenland, denen sich später auch Rumänien anschließt, besiegen Bulgarien. Dieses verliert den größten Teil Mazedoniens und wird an der Ägäis auf den Streifen um Dedeaghatsch beschränkt. Nach den vorübergehenden Erfolgen des ersten Weltkrieges — man denke an die bulgarischen Siegesmarken, welche die Vergrößerung des Landes um das wiedererworbene Mazedonien etwa nach den Grenzen von San Stefano zeigen — geht auch die Mittelmeerküste ganz verloren. Der zweite Weltkrieg hat m diesem Besitzstand der drei Mächte Jugoslawien, Bulgarien, Griechenland rechtlich vorläufig nichts geändert.

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