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Die Chance der UNO

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Wenn der sowjetische Regierungschef die Enttäuschungen, die er in der Generalver-ssmmlung der Vereinten Nationen erlebt hat, Revue passieren läßt, muß er sich sagen, daß ihm bei richtiger Einschätzung dessen, wae heute die afro-asiatischen ehemaligen Kolonialvölker bewegt, die Fehlzündung seines schwersten Propagandageschützes erspart geblieben wäre. Die Mentalität dieser Völker ist eben anders geartet, als sie es der Marx-Leninschen Theorie zufolge eigentlich sein sollte. Solange die „Sklaven des Kolonialismus“ um ihre Befreiung kämpften, konnte ihnen Moskau mit seinen antikolonialistischen Parolen, mit seiner Verurteilung des westlichen Imperialismus als wertvoller Bundesgenosse erscheinen; jetzt aber, da sie die Freiheit errungen haben, oder im Begriff sind, sie zu erlangen, ist für ihre Beziehungen mit Moskau nur die Frage entscheidend, was sie von dort an greifbarer Hilfe für den eigenstaatlichen Aufbau bekommen können, ohne in gefährliche Abhängigkeit von der kommunistischen Vormacht zu geraten, oder letzten Endes gar, wie ein angesehener afrikanischer Gelehrter es ausgedrückt hat, die „humane“ westliche Kolonialisation mit der „inhumanen“ des Ostens zu vertauschen.

Und daß bestimmt die Mehrzahl von ihnen dieser Frage mit Skepsis gegenübersteht, zeigte sich deutlich genug in der UNO-Debatte über die Lage im Kongo. Die von siebzehn afroasiatischen Staaten eingebrachte und von Chruschtschow heftig bekämpfte Resolution, die mit siebzig gegen null Stimmen, bei Stimmenthaltung des Ostblocks, angenommen wurde, enthielt zwar, neben der an Generalsekretär Ham-marskjöld gerichteten Aufforderung, seine nach den Direktiven des Sicherheitsrates im Kongo eingeleitete Aktion „tatkräftig“ fortzusetzen, bloß einen an alle Mächte adressierten Appell, auf jedes Eingreifen in die kongolesischen Wirren, durch Lieferung von Kriegsmaterial oder wie immer, außerhalb des Rahmens der UNO zu verzichten; es war aber ebenso klar, daß dieser Appell auf die UdSSR und CSR gemünzt war, die beide mit solchen Lieferungen auf eigene Faust bereits begonnen hatten, wie daß ihm die allen afrikanischen Staaten gemeinsame Sorge zugrunde lag, den schwarzen Kontinent nicht zu einem Schauplatz des kalten Krieges zwischen Ost und West werden zu lassen.

Gemeinsam ist den jungen Staaten das stolze Bewußtsein, in dieser Versammlung, die anfänglich die praktisch ausschließliche Domäne der Großmächte war, eine Rolle zu spielen, und groß sind die Hoffnungen, die sie auf diese Organisation, die ja auch die ihre ist, setzen. Jeder vernünftige und politisch informierte Afrikaner, und deren gibt es mehr, als im

Westen gewöhnlich angenommen wird, weiß genau, daß die panafrikanische Devise als Wegweiser für die nun einsetzende politische Entwicklung der Realität entbehrt. Wie der afrikanische Kontinent als Ganzes in seiner Vielfalt ethnischer, sprachlicher, religiöser, wirtschaftlicher oder sonst gegebener Verschiedenheiten von kaum einem anderen erreicht wird, so sind auch fast alle seine neuen Staatswesen durch innere Gegensätze verschiedenster Art gekennzeichnet. Umgeben von meist unnatürlichen, nur durch die Zufälligkeiten der seinerzeitigen kolonialen Besitznahme gezogenen Grenzen, mit einer durch vielfache Trennungslinien aufgespaltenen Bevölkerung, die nur schwer den Weg zu einem gemeinsamen Staatsbewußtsein finden kann, bedroht von inneren Unruhen und Stammesfehden, und dazu vielleicht noch von Sezessionsbestrebungen und den Aspirationen mißgünstiger Nachbarn, sehen sie sich vor eine Unzahl von Problemen gestellt, die sie mit ihren eigenen, unzulänglichen Kräften nicht zu lösen imstande sind. Sie brauchen finanzielle, wirtschaftliche, technische Unterstützung; sie brauchen den Zustrom von Fachkräften zur Bewältigung ihrer administrativen, volkshygienischen, kulturellen Aufgaben; und sie brauchen vor allem Schulungs- und Ausbildungsmöglichkeiten für die nach einem Intelligenzberuf strebende Jugend ihrer Völker. Dabei ist ihnen naturgemäß die Hilfe am willkommensten, die unter den günstigsten Bedingungen geboten wird und nicht an Voraussetzungen geknüpft ist, die der Empfänger als eine herabwürdigende Einschränkung seiner kostbaren, eben erst errungenen Freiheit empfinden mag.

Dieser letztere Punkt ist im Westen und namentlich in den Vereinigten Staaten lange Zeit zuwenig bedacht worden. Mit einer Großzügigkeit ohnegleichen haben die Amerikaner allein seit Kriegsende rund 60 Milliarden Dollar für Auslandshilfe aufgewendet, und ein erheblicher Teil davon ist den „Unterentwickelten“ Afrikas zugeflossen. Die UdSSR hingegen, die samt ihren Satelliten überhaupt erst 1954 mit Entwicklungshilfe für Auslandsgebiete begonnen hat, hat diesem Zweck bisher insgesamt bloß 6.6 Milliarden Dollar, in barem Geld oder auch nur in Form von Versprechungen, zugeführt, aber trotz dieser Sparsamkeit den Westen in einigen wichtigen Positionen überflügelt; und nicht allein in Ägypten, in der Frage Assuandamm, und in Guinea, wo ihr durch westliche Kurzsichtigkeit — im letzteren Fall könnte man auch sagen neurasthenische Launenhaftigkeit — zwei geradezu unwahrscheinliche und natürlich nicht versäumte Chancen geboten worden waren, sich festzusetzen. Die Amerikaner sind erst sehr spät darauf gekommen, daß Geschenke, mögen sie noch so reichlich sein, nicht das beste Mittel sind, sich die Freundschaft der Völker zu erkaufen; besonders dann nicht, wenn eine Gegenleistung in Form politischen „Wohlverhaltens“ gar zu deutlich gefordert wird. Belehrt durch die amerikanischen Erfahrungen, sind die Russen da wesentlich geschickter vorgegangen. Zu „Freundschaftsgaben“, etwa in Gestalt eines Krankenhauses, betreut von russischen Ärzten und Pflegepersonal, oder einiger Düsenjäger, entschließen sie sich nur ausnahmsweise und in propagandistisch besonders wirksamen Fällen; die Regel sind langfristige, niedrig verzinsliche Kredite, die sie dort gewähren, wo sie bereits einen ideologischen Stützpunkt errichtet haben, und die auch bei manchen, durchaus nicht östlich Orientierten keinen Argwohn erregen, weil es sich da scheinbar nur um eine rein geschäftliche, für den Kreditnehmer äußerst günstige Transaktion ohne jeden politischen Hintergedanken handelt. So konnten sie beispielsweise Kaiser Haile Selassie, der bestimmt keiner kommunistischen Tendenzen verdächtig ist, zur Inanspruchnahme eines sowjetischen 100-Millionen-Dollar-Kredits bewegen. Moskau rechnet natürlich damit, daß die Industrialisierungsarbeiten, die mit Hilfe solcher Kredite in Angriff genommen werden, reichlich Gelegenheit zur Ausweitung des sowjetischen Einflusses und zur kommunistischen Infiltration des betreffenden Gebietes geben.

Wie sehr es die heutigen Führer der afrikanischen Entwicklungsländer fast ausnahmslos begrüßen würden, dem Dilemma einer Wahl zwischen Hilfeleistungen aus West oder Ost, und damit auch dem Anschein einer Parteinahme für den einen oder anderen Machtblock enthoben zu sein, zeigte sich in der enthusiastischen Aufnahme, die der Passus der. Rede Eisenhowers vor den Vereinten Nationen, in dem er von der notwendigen Stärkung des Hilfsfonds der UNO sprach, bei den afrikanischen Vertretern gefunden hat. Daß der Ostblock zu diesen Fonds schon bisher so gut wie nichts beigetragen hat und in Hinkunft auch nicht einen Dollar beitragen will — der Delegierte der CSR hat das im Auftrag Moskaus im Zusammenhang mit der Kostenfrage der UNO-In-tervention im Kongo deutlich genug unter-strichen —. tut dabei nichts zur Sache.

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