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Ein Mißbrauch ohne Ende

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Ölpest vor der Antillen- Insel Puerto-Rico und „verminte“ Strände an der französischen Atlantikküste: die Verschmutzung der Weltmeere schreitet voran.

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Ölpest vor der Antillen- Insel Puerto-Rico und „verminte“ Strände an der französischen Atlantikküste: die Verschmutzung der Weltmeere schreitet voran.

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Diesmal liegt der „Tatort“ der Verseuchung 300 Meter vor der Insel Puerto Rico: ein Öltanker ist auf ein Riff gelaufen. Drei der neun Tanks des Schiffes sind leck. Aus den übrigen wird fieberhaft Öl in andere Schiffe umgepumpt, befürchtet man doch, daß der Tanker infolge des hohen Seegangs bersten könnte. 52 Quadratkilometer Meer sind mit einem Ölteppich bedeckt, kilometerlang ist der Strand verseucht, mit enormen wirtschaftlichen Einbußen auf der vom Tourismus geprägten Insel wird gerechnet…

In Frankreich wiederum ist seit Ende Dezember das Betreten der Strände entlang der Atlantikküste (immerhin auf einer Strecke von vielen hundert Kilometern von Brest bis zu spanischen Küste) verboten. In den letzten Wochen haben die Stürme gefährliches Strandgut nach Frankreich getrieben: 5.000

Sprengsätze, die ein zypriotisches Schiff verloren hat, verwandeln Frankreichs Strände in „Minenfelder“. Nicht genug damit: 6.000 Sackerin mit giftigen Pestiziden und Fässer mit Azeton tragen außerdem zur Umweltverseuchung bei.

Eigentlich bin ich versucht, eine Satire zum Thema Verseuchung der Meere zu schreiben. Denn es vergeht ja kaum ein Monat, in dem nicht irgendwelche einschlägigen Alarmmeldungen durch die Weltpresse gehen. Und das seit mehreren Jahrzehnten. Was da geschieht, ist kein zufälliges Zusammentreffen unglücklicher Umstände. Dieser Wahnsinn hat System.

Die Wurzeln des Problems lassen sich relativ leicht freilegen: In der Hochseeschiffahrt treten die Folgen des ungehemmten ökonomischen Drucks, der auf jenen lastet, die für die Transporte verantwortlich sind, zutage. Alles hat rasch zu gehen - und alles muß äußerst billig sein. Und die internationale Konkurrenz ist groß.

Andererseits ist das Meer, der Raum, in dem sich die Transporte abspielen, so gut wie nicht überwacht. Die hohe See lädt richtiggehend dazu ein, die Spielregeln der internationalen Schiffahrt zu übertreten. Man könnte geradezu von einem anarchischen Raum sprechen, obwohl es selbstverständlich Regulierungen gibt, etwa die Empfehlungen für den Umgang mit gefährlichen Gütern durch die International Maritime Organisation gibt.

Fünf Bände stark sind diese Regelungen. Sie betreffen die Verpackung, Kennzeichnung und Vorsichtsmaßnahmen bei der Beladung. Aber Papier ist geduldig und wer soll die Umsetzung all dieser Vorschriften überwachen? Nur in den Häfen könnte das geschehen.

Gerade dort aber muß alles so rasch wie nur möglich gehen. „Time is money“. Das betrifft selbstverständlich auch die Beladung der

Schiffe. Da kann man sich nicht mit langwierigen Kontrollen aufhalten. Daher haben die Besatzungen im Zeitalter des Container-Verkehrs auch kaum eine Ahnung, was sie da eigentlich alles auf den Weltmeeren spazierenführen. Zum Teil wollen sie es auch gar nicht wissen.

Und noch etwas ist für das Geschäft wichtig: eine hohe Auslastung. Also wird überladen. Die Fol-

?e ist vorhersehbar: bei schwierigen Vetterverhältnissen ist dann die Hemmung nicht groß, etwas über Bord gehen zu lassen. Das zahlt die Versicherung - und die Folgen werden schon nicht so schlimm sein…

Da die Besatzungen außerdem aus Gründen der Kostenersparnis auf das unbedingt notwendige Minimum reduziert und schlecht ausgebildet, die Offiziere überlastet und unter enormem Erfolgsdruck sind, wird gefährlich, ja off an der Grenze des Vertretbaren manövriert. Längst haben sich ja die Reedereien aus Ländern mit strengen sozialen Vorschriften und technischen Auflagen (wie etwa Frankreich, dessen Flotte nur mehr zwei Prozent der Weltflot- te ausmacht) zurückgezogen und in „großzügigen“ Staaten der Dritten Welt niedergelassen.

Längst weiß man auch, daß die „Ölkolosse“ extrem manövrierschwach und daher unfallträchtig sind. Da sie aber im Vergleich zu kleineren Einheiten kostengünstig transportieren, nimmt man eben in Kauf, daß in regelmäßigen Abständen verheerende Meeres- und Küstenverseuchungen stattfinden.

Denn über den auftretenden Schaden und seine Wiedergutmachung läßt sich endlos streiten. Wer sollte ihn auch eindeutig festlegen? Typisches Beispiel dafür sind die immer noch anhaltenden Auseinandersetzungen um die Folgekosten der Ölverseuchung in Alaska durch den Tanker Exxon-Valdez im Jahr 1989.

Da feierte im Vorjahr auf der einen Seite eine Expertengruppe, die erstaunliche ökologische Genesung des „Prinz William Sound“ in Alaska. Von wiederhergestellter Entfaltung von Flora und Fauna war da die Rede und von Freisein von aller Belastung, die vor vier Jahren entstanden war.

Diese Forscher schienen aber nicht dasselbe Wasser und dieselbe Küste untersucht zu haben wie eine andere Gruppe von Experten, die zu dem Ergebnis kam, der „Sound“ wanke immer noch unter den Folgen des enormen ökologischen Schlages. Es könne noch Jahre dauern, bis sich viele Tierarten wieder erholt haben.

Manches an dem Streit wird verständlich, wenn man erfährt, daß die hochgemuten Studien von Exxon finanziert worden sind und die pessimistischen von der „National Oceanic and Atmospheric Administration“ und daß es bei den anhängigen Prozessen um einen Streitwert von 17 Milliarden Schilling Schadenersatz für die Folgen der Verseuchung

geht…

Es ist ein beliebtes Spiel, die jeweiligen Katastrophen als Einzelfälle, als Versagen unter ganz konkreten Bedingungen darzustellen. So wird jetzt etwa festgestellt, die Franzosen wüßten schon seit Monaten, daß Sprengsätze über Bord gegangen seien und eine Bedrohung darstellten. Man habe eben nicht reagiert.

Solche Vorwürfe mögen im Einzelfall zurecht erhoben werden. Aber das Grundproblem bleibt: die hemmungslose Ökonomisierung und Intensivierung des Fernverkehrs ohne Rücksicht auf ökologische und soziale Folgen. Weitere Verheerungen sind daher vorprogrammiert, wenn man bedenkt, wie dicht der Schiffsverkehr ist: Alle drei Minuten durchquert ein Schiff den Pas de Calais…

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