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Ein seltsames Wetterjahr

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Das Jahr 1947 wird im Wettergeschehen als ein Jahr der Gegensätze und Rekorde verzeichnet werden. Auf einen schneereichen, kalten und unverhältnismäßig lang- andauernden Winter folgte im späten Frühling und Sommer eine Hitzewelle, die sich bei den hochsommerlichen Temperaturen und der seit Jahren nicht mehr erlebten Niederschlagsarmut des Septembers sowie der Trockenheit des Oktobers zu einer Dürrekatastrophe ersten Ranges auszuweiten drohte. Dann folgte glücklicherweise ein relativ sehr milder und niederschlagsreicher November, der zwar das Niederschlagsdefizit nicht ganz kompensieren konnte, aber doch einen großen Teil der besorgniserregenden Auswirkungen der Dürre wieder gutmachte. Wie wenn es mit den Besonderheiten und Abnormitäten der Witterung noch nicht genug wäre, brachte uns schließlich der letzte Monat des Jahres nach einem anfänglichen Kälteeinbruch ein verregnetes Weihnachtsfest. Es ist daher sowohl für den Fachmeteorologen als auch für den Nichtfachmann lohnend, sich einige der hervorstechendsten Besonderheiten im Wettergeschehen des Jahres 1947 ins Gedächtnis zurückzurufen.

Jänner 1947. Ein strenger Winter war mit dem neuen Jahr ins Land gezogen. Abgesehen von einem kurzdauernden Wärmevorstoß um die Monatsmitte, war der ganze Monat hindurch äußerst kalt. In Wien drang der Bodenfrost 75 Zentimeter in die Tiefe vor. Einzelne Stationen Österreichs meldeten Rekordtieftemperatuten, so wurde in Tamsweg und in L u n z am See ein Temperaturminimum von minus 33 Grad erreicht. Dann kam der Februar 1947, klimatisch ein äußerst denkwürdiger Monat. Besonders im Wiener Gebiet war der Februar ein Monat mit klirrendem Frost und einem Schneereichtum, wie er seit Jahrzehnten nicht mehr zu verzeichnen war. 46 Zentimeter betrug die Schneehöhe, gemessen auf der Hohen Warte, und dabei gab es im ganzen Monat zum erstenmal, seitdem Wetteraufzeichnungen überhaupt vorliegen, in Wien nur zwölf Stunden Sonnenschein. Die Donau führte einen langanhaltenden Eisstoß; seiner Auflösung sah man mit Besorgnis entgegen, da für Wien bereits unmittelbare Überschwemmungsgefahr bestand. Doch erwies sich diese Befürchtung als unbegründet: es trat keine plötzliche Erwärmung ein, sondern auch noch der März war unternormal kalt. Hatte das wenigstens die eine gute Seite, daß durch die allmähliche Rückbildung des Eisstoßes eine Überschwemmung vermieden werden konnte, so war die Nachwirkung der Winterkälte andererseits doch folgenschwer. Zu Beginn des dritten Monats gab es noch Temperaturen bis minus 20 Grad. In Wien verschwand der Frost erst am 19., also knapp vor Beginn des astronomischen Frühlings. Der Winter 1946/47 hatte also außergewöhnlich1 lang gedauert. Trotzdem waren durch den wirksamen Schutz der Schneedecke die Auswinterungs schäden nur 3 bis 7 Prozent. Die reichlichen Schneefälle im Gebirge bildeten eine Wasserreserve, die uns die Auswirkungen der nun folgenden trockenen Monate zunächst nicht allzu stark spüren ließen. Vom April an stellte sich eine übernormal warme und im weiteren Verlauf der Sommermonate immer niederschlagsarmere Witterung ein. So lagen die Temperaturmittel des Aprils bereits meist 3 Grade über dem langjährigen Durchschnitt, desgleichen war der Mai durchwegs wärmer und niederschlagsarmer als gewöhnlich. Die im Mai von der Landwirtschaft so erwünschten Niederschläge blieben fast völlig aus. Es gab nirgends mehr nennenswerte Fröste, die Eisheiligen stellten sich nicht ein und selbst in der Höhe des Sonnblicks sank die Temperatur nicht unter minus 7 Grad. In vielen Gebieten des Alpenvorlands wurde an keinem Tag die für die Landwirtschaft notwendige Mindestmenge von 5 Millimeter Regen erreicht. War also schon der Mai abnormal niederschlagsarm, so brachte auch der Juni speziell im Wiener Becken keine nennenswerten Niederschläge. Ja, auch die im Volksmund als Schafkälte und von den Meteorologen als europäischer Sommermonsum bezeich- neten häufigen Kälterückfälle im Juni blieben im Jahre 1947 aus. In Wien sank die Temperatur nur für Stunden unter 10 Grad. Seit dem Auftauen des Bodens im März war in Wien erst die Hälfte des zu erwartenden Regens gefallen. Und was für den größten Teil Österreichs zu wenig war, das war für ein kleines Gebiet zu viel: ein außerordentlich starkes Gewitter ereignete sich am 5. Juni im Semmetinggebiet. Die R'egen- und Hagelfälle dauerten sieben Stunden und hatten verheerende Wirkung. Es war dies das zweitgrößte Unwetter, das in Österreich bis jetzt bekannt geworden ist. Aber wenn auch in dem kleinen Gebiet um den Semmering an diesem Tag allein 323 Millimeter Regen fiel, das übrige Land hatte unter größter Trockenheit; zu leiden. Und die Serie warmer und trockener Monate setzte sich im Juli und August fort. Schon im Juli waren an mehreren Stellen Höchstwerte der Temperatur über 35 Grad ge-

messen worden, und anfangs August erreichte die Hitzewelle ihren Höhepunkt.

Am 5. August wurde in Fuchsenbigl im Marchfeld 38 Grad Lufttemperatur m Schatten festgestellt. Erinnern wir uns, daß im Jänner Temperaturen von minus 33 Grad aufgetreten waren, so ergibt sich eine Temperaturamplitude von mehr als 70 Grad. Die Trockenheit steigerte sich weiter. Wohl traten viele Gewitter mit besonders zahlreichen Blitz einschlägen auf, und vereinzelt gab es wieder außergewöhnliche Wetterereignisse, wie die Windhose am 8. Juli in Enzersdorf und Wullersdorf, aber das Hauptmerkmal der Witterung war eine ungewöhnliche Trockenheit. Bis Ende August waren seit März in Österreich durchschnittlich nur 74 Prozent des normalen Niederschlags gefallen. Die Schneereserven des Februars waren verbraucht und die Auswirkungen der Dürre rür Industrie und Landwirtschaft machten sich in vollem Umfange bemerkbar. Dazu kam noch, daß sich der September in die Reihe der abnormal warmen und trockenen Monate eingliederte; wäre nicht am letzten Tag im September in Wien noch Regen gefallen, so wäre der September 1947 in Wien der niederschlagsarmste seit über 100 Jahren gewesen. Als schließlich auch noch der Oktober, der im allgemeinen ein niederschlagsreicher Monat ist, außerordentlich trocken war, schien die Dürrekatastrophe zu unabsehbaren Weiterungen zu führen.

Aber auch erfreuliche Besonderheiten brachte die abnormale Wetterentwicklung mit sich. So konnte in der zweiten Oktoberhälfte im Gebirge ein Wiederblühen der Alpenrosen und des Enzians bestaunt werden, und Tiere, die sonst im wärmeren Süden heimisch sind, wie die Türkentaube, wurden in Wien im Stadtpark brütend beobachtet.

Und dann kam die gewaltige Umstellung der Wetterlage im November. Die lang ersehnten Regenmengen fielen zunächst nur nördlich der Alpen und im Donauraum in reichlicher Form. In den letzten Tagen des Novembers wurden auch die Südalpen in den Bereich der Niederschlagstätigkeit mit einbezogen. Der Wasserspiegel der Donau, der am 4. November seinen katastrophalen Tiefstand von 81 Zentimeter in Wien erreichte, stieg im Laufe des Monats um über 3 Meter. Dabei war das Wetter äußerst mild, so daß die Wintersaat ohne wesentliche Schädigungen aufgehen konnte. Die Stauseen der Kraftstromwerke konnten sich wieder auffüllen, viele Schädigungen der Dürre wurden buchstäblich in letzter Minute verhindert oder weitgehend kompensiert. Der Dezember begann mit einem Kälteeinbruch und weiteren Niederschlägen. Im Gebirge fiel Schnee in reichlicher Menge und die Temperaturen sanken langsam. Am 19. Dezember hatte Wien minus 10 Grad. Aber das meteorologisch so ereignisreiche Jahr 1947 sollte uns auch noch im Dezember mit einer Überraschung aufwarten. Am Sonntag, den 21., setzte ein Westwetter- einbruch ein, der die Kälte wegfegte und uns unter stürmischen Winden ein mildes Weihnachtswetter brachte. Als ob es mit den Besonderheiten noch nicht genug wäre, erreichte der Sturm am 22. in Wien 112 Stundenkilometer und richtete größere Schäden in Stadt und Land an. In Wien fiel vom 23 bis 24. allein 52 Millimeter Regen, und im Gebirge donnerten die Lawinen zu Tal. Am ersten Weihnachtsfeiertag taute es in den westlichen Nordalpen bis über 2000 Meter hinauf.

Damit fand also das meteorologisch so ereignisreiche Jahr 1947, das mit einem der strengsten und schneereichsten Winter begonnen hatte, über die Dürre der Sommermonate in einem der mildesten Weihnachtsfeiertage seit Jahren seinen Abschluß.

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