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Internationale Automobilausstellung Wien 1956

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Eines der interessantesten Fahrzeuge des Kleinwagensektors auf der Internationalen Automobilausstellung der Wiener Frühjahrsmesse dürfte der Fiat 600 Multipla sein. Diese neue italienische Konstruktion, die vor ganz kurzer Zeit erstmalig der Oeffentlich-keit vorgestellt wurde, ist aus verschiedenen Gründen wesentlich. Nicht etwa, daß die Idee des Kleinwagens an sich eine solch sensationelle wäre! Kleinwagen mehrerer Typen gibt es seit einigen Jahren und sie werden serienmäßig von großen internationalen Automobilfabriken gefertigt. Sie konnten sich auch am internationalen Markt tadellos einführen und stellen heute eine Sparte der Motorisierung dar, die man aus dem Straßenbild nicht mehr wegdenken kann. Sie haben es möglich gemacht, daß heute eÜe ansehnliche Zahl von Automobilbesitzern ein vierrädriges, geschlossenes Fahrzeug betreiben können. Diese modernen Konstruktionen setzen auch den kleineren Geschäftsmann in die Lage, das Tempo unserer Zeit zu halten und damit zu einem wesentlichen Bestandteil der Wirtschaft zu werden. Eine ganze Reihe von Kauf-leuten und Wirtschafttreibenden wurde durch diese Fahrzeuge überhaupt erst konkurrenzfähig.

Die besondere Bedeutung des Fiat 600 Multipla liegt vor allem darin begründet, daß die italienischen Fiat-Werke bereits zum zweitenmal auf diesem Sektor bahnbrechend sind. Das erstemal war dies der Fall, als dieses Werk vor dem Krieg mit der Konstruktion des Fiat-Topolino oder Fiat 500 herauskam. Diese Vorkriegskonstruktion leitete im Grunde genommen die rapide Ausweitung des Kleinwagens, die nach dem Krieg einsetzte, sehr maßgeblich ein. Nunmehr ist es Fiat wieder gelungen, mit dem 600 Multipla einen Kleinwagen zu schaffen, bei dem das geradezu unwahrscheinliche Kunststück gelang, Kleinheit des Fahrzeuges mit großem Transportraum in Einklang zu bringen.

Der Multipla wird als sechssitziger Pkw; mit kleinem Gepäckraum, als viersitziger Pkw. mit relativ großem Gepäckraum und als Zweisitzer mit großem Laderaum für Lieferzwecke geliefert. Der Viersitzer ist in einer Weise adaptiert, daß er sich durch Umklappen der hinteren Sitze sofort in einen Lieferwagen verwandeln läßt bzw. durch LImklappen eines dieser Sitze Transportraum gewonnen wird, obwohl immer noch drei Personen transportiert werden können. Die Variationen sind also vielzählig.

Die Konstruktion ist aber noch aus anderen Gründen richtungweisend im Kleinwagenbau. In dieser Fahrzeugkategorie ist die Neigung festzustellen, das Antriebsaggregat im Heck des Wagens unterzubringen. Der Grund hiefür ist darin zu suchen, daß die Kraftübertragungsteile auf ein Mindestmaß beschränkt werden und damit Ersparnis an Gewicht erzielt wird, .wodurch auch die Fertigung eine Verbilligung erfährt. Diese Motoranordnung hat im allgemeinen aber den Nachteil, Transportraum zu verschlingen, da man unerklärlicherweise bis heute noch immer trachtet, eine Motorhaube zumindest vorzutäuschen, unter der dann notdürftig Gepäck Platz findet. Fiat brach nun mit dieser Auffassung und baute den Multipla als reinen Frontlenker. Diese Bauweise ermöglichte nun die Schaffung eines großen Transportraumes. An sich ist die Konstruktion des Frontlenkers und die damit verbundene Platzersparnis beim heckgetriebenen Fahrzeug keine Novität, da sie seit Jahren im Omnibusbau verwendet wird, jedoch konnte diese Bauweise beim heckgetriebenen Kleinwagen interessanterweise bisher keinen Anklang finden, obwohl hier die Raumfrage eine äußerst dringende ist. Bei größeren Einheiten, wie etwa dem VW-Bus oder -Lieferwagen ist sie ja bereits seit Jahren verwirklicht.

Außer der nunmehr gelösten Platzfrage im kleinen, heckgetriebenen Wagen gelang es den Italienern aber auch in bekannter Weise, das Zweckmäßige mit dem Schönen zu verbinden und dem Fahrzeug eine ansprechende Linienführung zu verleihen. Auch dieser Umstand trägt dazu bei, den Multipla im wahrsten Sinne des Wortes zu einem Mehrzweckfahrzeug zu stempeln, das sowohl für die Wirtschaft als auch für den privaten Gebrauch herangezogen werden wird.

Darüber hinaus aber ist mit dieser Konstruktion ein weiterer, sehr wesentlicher Punkt des heckgetriebenen Kleinwagens einer Lösung zugeführt worden, und dies ist die Straßenlage. Das kleine heckgetriebene Fahrzeug leidet im allgemeinen unter der Tatsache, daß ein Großteil des Gewichtes im Heck, meist sogar hinter der Hinterachse lagert. Dieser Umstand ist dafür verantwortlich, daß Wagen dieser Konstruktionsrichtung manchmal dazu neigen, die Vorderachse zu stark zu entlasten und dies namentlich dann, wenn in Kurven Gas gegeben wird, wodurch die Kurvenfestigkeit — durch Rutschen der Vorderräder — leidet. Beim Multipla jedoch sitzen der Lenker und der Beifahrer direkt über der Vorderachse, wodurch der im Heck befindliche Motor kompensiert wird. Die Kurvenfestigkeit erfährt dadurch also eine wesentliche Verbesserung. Wir sind daher der Meinung, daß der Multipla durch entsprechende Vorderachs-bclastung auch eine gute Straßenlage aufweisen wird. Wie allerdings das Problem gelöst wurde,bei dem relativ kurzen Federwege in Verbindung mit kleinen Rädern zu einer stoßfreien Federung und entsprechendem Fahrkomfort zu gelangen, wird erst bei näherem Kennenlernen des Fahrzeuges festzustellen sein. Aber immer noch besser eine etwas härtere Federung und damit ein gewisses Stoßen als schlechte Straßenlage.

Die Innenausstattung des Fiat 600 Multipla ist — wie könnte sie bei einem italienischen Fahrzeug anders sein — sauber und geschmackvoll. Die' Sichtverhältnisse sind dem Anschein nach für alle Insassen gut, denn das Fahrzeug weist außer großen Front- und Heckscheiben sechs Seitenfenster auf, deren zwei vordere als Kurbelfenster ausgebildet sind, während die mittleren als Schiebefenster gestaltet wurden und die hinteren beiden Seitenscheiben fix sind. Die Lüftung dürfte daher befriedigen. Die vier Türen scheinen besonders für die Eigenschaft des Wagens als Lieferwagen wesentlich zu sein. Die Karosserie ist selbsttragend.

Die Geschwindigkeit liegt, wie das Herstellerwerk angibt, bei zirka 90 km/h. Die Nutzlast wird mit 350 kg angegeben. Ein obengesteuerter Vierzylinder-Viertakt-Ottomotor mit einem Flubraum von 633 cem, der eine maximale Leistung von 22 PS abgibt, besorgt den Antrieb des Fahrzeuges. Die Kraftübertragung erfolgt über eine Einscheiben-Trockenkupplung und ein Vierganggetriebe, dessen zweiter, dritter und vierter Gang stets im Eingriff und synchronisiert sind. Die Beorderung des Getriebes erfolgt durch einen auf dem Gestängekanal in Wagenmitte angeordneten Schalthebel. Die Vorderräder sind einmal aufgehängt und die Schraubfedern gegen die Karosserie abgefedert. Doppeltwirkende hydraulische Teleskop-Stoßdämpfer sind vorgesehen, ebenso ein Stabilisator. Die Hinterräder sind ebenfalls unabhängig aufgehängt und werden, ebenso wie die Vorderräder, durch Schraubfedern abgestützt. Auch hier sind Teleskop-Stoßdämpfer vorgesehen. Die Bereifung des Fahrzeugs ist mit 5,20 — 12 angegeben. Zum Komfort des Fahrzeugs gehört außer einer guten Instrumentierung auch eine Heizung.

Für Oesterreich nicht ganz neu, aber trotzdem sehr interessant ist eine Neukonstruktion von Skoda, die wir anläßlich der Internationalen Alpenfahrt 1955 erstmals im Fahrbetrieb sahen. Die damals von einer tschechischen Mannschaft gefahrenen neuen Skoda 440 waren sehr schnell und leistungsfähig. In seinem Aeußeren weist der neue Skoda eine große Aehnlichkeit mit der Simca Aronde auf, ohne jedoch eine Kopie derselben darzustellen. Vielmehr hat er auch in bezug auf sein Aeußeres typische Merkmale eines modernen Skoda, besonders die Robustheit, eine Eigenschaft, die an allen Skoda-Erzeugnissen der letzten Jahre demonstriert wurde. Wir hatten Gelegenheit, uns mit Fahrern der Wiener Freiwilligen Rettungsgesellschaft zu unterhalten, die die Skoda-Type 1200 seit längerem fahren, und konnten immer wieder hören, daß sie bei weit über 100.000 km Laufzeit keinen nennenswerten Schaden aufweisen. Der neue Skoda 440 macht durchaus den Eindruck, als hätte er in dieser Richtung ähnliche Eigenschaften. Ein Umstand, der ihn besonders begehrenswert macht, ist sein relativ geringer Preis.

Der Skoda 440 ist ein bequemer Viersitzer, dessen Spitze bei rund 115 km/h liegt. Angetrieben wird er durch einen wassergekühlten, obengesteuerten Vierzylinder-Viertakt-Ottomotor mit einer Leistung von 40 PS. Der Hubraum beträgt 1089 cerri. Die Kraftübertragung erfolgt über ein Vierganggetriebe, bei dem der zweite, dritte und vierte Gang synchronisiert sind. Wir sind davon überzeugt, daß auch diesem Fahrzeug großes Publikumsinteresse zuteil werden wird.

Eine englische Neuerscheinung ist in dem in der teureren Preisklasse liegenden S u n b c a m ,.R a p i e r“ zu erblicken, ein sehr formschönes, elegantes, viersitziges Fahrzeug, das amerikanische und englische Linienführung zu einer homogenen Einheit zu verbinden weiß. Dieses Automobil ist gedacht und konstruiert als Reisewagen mit sportlichem Charakter bei größtem Innenkomfort und geräumigem Ge-päcksraum. Die Spitzengeschwindigkeit des ..Rapier“ liegt um 145 km/h. Der Antrieb erfolgt durch einen wassergekühlten, obenge-stcuerten' Vierzylinder-Ottomotor, der als Kurz-huber ausgebildet ist und eine Leistung von 62 PS entwickelt. Laut Firma sorgt ein hohes Drehmoment für Bergfreudigkeit und lebhafte Beschleunigung. Die Kraftübertragung erfolgt über ein Vierganggetriebe mit Schnellgang. — Der Sunbeam „Rapier“ ist ein Fahrzeug, das alle jene ansprechen wird, die für rassige Konstruktionen etwas übrig haben, ohne jedoch aus Bequemlichkeits- oder Transportgründn zum ausgesprochenen Sportwagen übergehen zu wollen oder zu können.

Aber nicht nur der Pkw. wird auf der Wiener Automobilausstellung Beachtung finden. Der Lkw., der Omnibus und auch das Spezialfahrzeug werden ihre Interessenten verzeichnen können.

Eines der interessantesten Spezialfahrzeuge ist der vierjadangetriebene, geländegängige Jeep, der weiten Kreisen nicht nur bekannt ist, sondern auch von ihnen betrieben oder, was noch wesentlicher ist, benötigt wird. Auf einem Presseempfang stellte der Generalvertreter von Willys Overland kürzlich den neuen Jeep C J — 6, B a u j a h r 1 9 5 6, der Wiener Presse vor. Ueber den Jeep viele Worte zu verlieren, ist schon deswegen unnötig? da' sich dieses Fahrzeug während des Krieges und nachher international selbst vorgestellt hat. Bei uns in Oesterreich laufen von diesen Militär-Jeeps, abgesehen vom Bestand des Bundesheeres, das sie ebenfalls benützt, allein in der Privatwirtschaft drei- bis viertausend dieser alten amerikanischen Heeresfahrzeuge und sind vielen zum unentbehrlichen Helfer geworden. Da es sich jedoch um eine reine Militärkonstruktion handelt, ist der Einsatz in der Privatwirtschaft wohl möglich, durch die spezielle Konstruktion jedoch etwas eingeschränkt. ,

Der neue Jeep, der uns vorgestellt wurde, ist nun rein für den Zivilbedarf vorgesehen und vor allem für die Privatwirtschaft gedacht. Es wurden daher sämtliche Eigenschaften, die von dieser gefordert werden, berücksichtigt. Die wesentlichste Konstruktionsänderung ist darin zu erblicken, daß der Radstand um 53 cm vergrößert wurde, wodurch aus dem unbequemen, viersitzigen Militärjeep ein bequemer Vier- bis Fünfsitzer mit Ladefläche geschaffen wurde. Selbstverständlich können die hinteren Sitze entfernt werden, wodurch eine größere Ladefläche entsteht. Außer dieser Aenderung ist das Fahrzeug so adaptiert, daß eine ganze Reihe von Zusatzaggregaten angebaut oder angeschlossen werden kann, wodurch es eine universelle Verwendbarkeit erlangt. So sind vorgesehen: Schneepflug, Riemenscheibe, Zapfenwellenanschluß, hydraulischer Geräteheber, Seilwinde, Bohrgeräte usw.

,. Interessant ist, daß man die Spur mit 123 cm, die verhältnismäßig schmal ist, beibehalten hat. Der Grund ist der, daß damit sämtliche Karren-und engen Gebirgswege befahren werden können. Selbstverständlich sind der Vierradantrieb und Celändegänge beibehalten worden. Gewisse Konzessionen an die optischen Wünsche der Käufer wurden ebenfalls berücksichtigt, obwohl dies unserer Meinung nach keine absolute Notwendigkeit gewesen wäre. So wurde die Motorhaube etwas abgerundet, was auch für die Kotbleche gilt. Die Sitze wurden besser gepolstert und weisen Rundbau auf. Ein neuer Windschutzscheibenträger ermöglicht ein Ausschwenken oder Umlegen der Windschutzscheibe. Zu begrüßen ist, daß die Blattfedern verlängert und damit weicher wurden. Letztere Verbesserungen werden alle jene zu schätzen wissen, die das Fahrzeug aus beruflichen Gründen lange Strek-ken oder, was noch schwerer wiegt, in unwegsamen Gegenden fahren müssen. Dieses Fahrzeug stellt zweifellos eine bereits seit längerem erwartete Novität dar, die gerade bei österreichischen Terrainverhältnissen sehr wesentlich zum Tragen kommen kann. Die universelle Verwendbarkeit prädestiniert das Fahrzeug geradezu, im österreichischen Gebirge Spezialaufgaben zu erfüllen.

Der Antrieb des neuen Jeep CJ — 6 erfolgt durch einen wassergekühlten, gegengesteuerten Vierzylinder-Viertakt-Ottomotor mit einem Hubraum von 2199 cem, der ein Verdichtungsverhältnis von 6,9:1 aufweist. Seine Leistung beträgt 72 PS bei 4000 U/min. Das Steigvermögen des Jeep von 100 Prozent wird auf der Internationalen Automobilausstellung anläßlich der Wiener Frühjahrsmesse demonstriert werden, und zwar wird, wie wir von der Firma erfahren, zu diesem Zweck eigens eine entsprechende Rampe aufgebaut werden. Zum besseren Verständnis sei erwähnt, daß 100 Prozent 45 Grad Steigung entsprechen. Der Benzinverbrauch des Jeep wird mit 12 Liter pro 100 km angegeben, die Höchstgeschwindigkeit zwischen 90 und 100 km.

Wir werden nicht verabsäumen, in den nächsten Nummern weitere Berichte über anläßlich der Wiener Autoschau ausgestellte einspurige Fahrzeuge, Automobile, Lkw. und Omnibusse sowie Zubehör zu bringen, soweit sie für unsere Leser von Interesse sein könnten.

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