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Naguib und die Briten

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Es érgibt sich die Frage, inwieweit sich die Lage seit der Errichtung der Militärdiktatur gewandelt hat. Zunächst will es einem scheinen, daß sich die Debatte wenig verändert hat. Die Engländer sprechen nach wie vor von „Integration" und „Kooperation“ und erklären, daß heute kein Land mehr eine individuelle Verteidigung organisieren könne — und hier wird auf die Anwesenheit von US-Streit- kräften in Großbritannien hingewiesen —, die Ägypter replizieren, daß für sie „Kooperation" nur ein besseres Wort für jene Okkupation ist, die man seit sieben Dezennien immer wieder aufzuheben versprochen hat; sie machen ferner darauf aufmerksam, daß exponiertere Länder im Vorfeld der Entscheidung keine fremden Truppen erdulden müßten und daß die US-Truppen im Vereinigten Königreich zweifelsohne gehen würden, wenn London dies wünsche, während die Engländer in Ägypten verbleiben, obwohl der Wunsch nach Räumung nun über ein Menschenleben lang immer wieder ausgesprochen wurde. Aber hinter dieser versteinerten Front allzuoft wiederholter Argumente verbirgt sich eine ganz neue Szenerie politischer Realitäten. Es beginnt auf der Ebene des Sozialen: solange turnusweise korrupte Wafd- oder Königskabinette amtierten, konnten Re-

formen, die bestimmt waren, der breiten Masse zu helfen, nicht durchgeführt werden, es ergab sich die Notwendigkeit, immer heftiger gärende Unzufriedenheit gegen das Bild eines äußeren Feindes und Bedrückers abzulenken.

Naguib ist frei von diesem Zwang, daher in einem höheren Maße Vertrags- und kreditwürdig. Ali Mäher hatte bereits den Versuch gemacht, diesen Umstand auszunützen und US-Hilfe laut Punkt-4- Programm zu erhalten. Die also veränderte Einstellung zu dem Vertragsbegriff schafft neue Lösungsmöglichkeiten für das Sudanproblem. Den bisherigen Politiker schienen die sehr begreiflichen ägyptischen Interessen am Quellgebiet des Nils nur durch eine de-facto-Herr- schaft über den Sudan sichergestellt zu sein. Die andere Alternative: Loser Föderativverband mit kontraktlicher Sicherstellung der Lebensinteressen der Bewohner des unteren Niltals konnte für diejenigen, die sich bereits auf der abschüssigen Bahn der Aufkündung und Brechung bestehender Verträge befanden, nicht gerade anziehend wirken. Naguib, dessen Mutter übrigens aus dem Sudan stammt, mag hierin anders denken.

Sicher ist aber, daß er sich der militärischen Argumentation der Briten gegenüber weder so verschlossen, noch so un verständig zeigen wird, als seine Vorgänger. Die bereits von Feldmarschall Slim, dem Chef des imperialen Generalstabes (jetzt designierter Generalgouverneur von Australien), den Ägyptern eingehämmerten Axiome einer Mittelostverteidigung (1. Schaffung einer starken ägyptischen Armee, 2. Abschluß einer definitiven Allianz London-Kairo, 3. Errichtung eines Hauptquartiers mit Nachrichtensträngen, 4. Beibehaltung und Ausbau eines Stützpunktes, 5. eine sofort einsatzfähige Luftverteidigung) sind bis heute im wessentlichen unverändert geblieben. An diesen fünf Säulen müßte auch ein Mittelostpakt unter Teilnahme mehrerer Staaten verankert werden. Der wichtigste Punkt ist hiebei die Luftverteidigung. Die Ägypter haben immer wieder darauf hingewiesen, daß die Royal Airforce von Malta, Cypern, der Cyre- naika und Transjordanien innerhalb weniger Stunden ihre alten Häfen im Nilland anfliegen könnten. Die Engländer vertreten aber die Ansicht, daß sie dann auf diesen Flugfeldern größten Risken ausgesetzt wären. Der Aussprudi des britischen Botschafters in Kairo: „Es braucht mehr Zeit, eine Luftmacht zu bewegen als Bodentruppen“, weist ganz mit Recht auf ein merkwürdiges Paradoxon: Je schneller die Flugzeuge werden, desto langsamer die Luftwaffe. Mit anderen Worten: nimmt mit der technischen Vollendung der nötige Apparat an Umfang und Kompliziertheit zu, so daß Improvi sationen immer schwieriger werden. Immer wieder hat daher Slim die Ägypter aufmerksam gemacht, daß die Integration der beiden Luftwaffen schon vor dem Kampf abgeschlossen sein müßte. Aber auch die Worte dieses großen Soldaten, der weder herkunfts- noch ansichtsmäßig (man sagt ihm Labour-Neigungen nach) in den Verdacht kommen könnte, Prestigepolitik zu betreiben, konnten nicht überzeugen. Hinter diesem Versagen lauerte allerdings etwas anderes, man könnte es die Übertragung des Korruptionsprinzips ins Weltgeschichtliche nennen. Die Ägypter boten nämlich als Preis der Räumung eine Allianz an, die es Großbritanien ermöglichen würde, im Kriegsfall ins Nilland zurückzukehren. Dies klang nicht schlecht. Bei näherem

Zusehen erwies sich aber, daß die Ägypter den Kriegsfall nur dann anerkennen wollten, wenn die Aggression bereits Transjordanien erreicht hätte. Dann wäre es wohl für militärische Kooperation, nicht aber für ein Rückversicherungsspiel zu spät. Auch solche Doppelzüngigkeit scheint nicht in der Natur Naguibs zu liegen. Die große Frage ist nun die, ob das psychologische „Sesam-öffne-dich„ gefunden werden kann, das es Naguib ermöglichen würde, nicht den Briten, aber der strategischen Realität Konzessionen zu machen. In diesem Zusammenhang ist der Vorschlag gemacht worden, Naguib mit einer der höchsten Kommandostellen im Mittleren Osten zu betrauen, so daß er auch britische Truppen zu befehligen hätte.

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