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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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Dieser 20. Juni 1949 wird im österreichischen Geschichtskalender rot unterstrichen werden müssen. Was wenige mit bestimmter Zuversicht und viele nur mit mißtrauischen Zweifeln erwartet und die dritten überhaupt nicht geglaubt haben, das ist Ereignis geworden. Die Außenminister der großen Vier haben sich über den österreichischen Staatsvertrag geeinigt; was bis zum 1. September noch zu geschehen hat, ist Redaktionsarbeit, die noch Mühseligkeiten haben mag, aber nicht mehr mit Wesenheiten zu tun hat. Seit Kriegsende haben die nach Frieden und Versöhnung verlangenden Völker keine glücklichere Botschaft aus den Konferenzsälen der Weltmächte gehört als die von der Einigung in Paris. Die erfolgte Verständigung schaltet nicht nur Österreich auf seinem wichtigen Platz aus dem Widerspiel der Großen aus und pazifiziert damit das Zentrum des mitteleuropäischen Raumes, sie erbringt auch den konkreten, für die in Ängsten liegende Menschheit so unendlich bedeutungsvollen Beweis, daß niemand ernstlich den Krieg will und es nicht auf das Ertrotzen und Drohen, sondern die weise Geduld ankommt. — Unser Land wird hetrt an den wirtschaftlichen Opfern zu tragen haben, die ihm aus dem Staatsvertrag erwachsen. Es wird ein armes Land sein, das der Anspannung aller seiner Kräfte, der strengen Sparsamkeit der Gemeinschaft wie jedes einzelnen bedürfen wird. Aber lieber wollen wir arm sein als ein unfreies Volk! — Am Rande gebührt sidi auch für ein Blatt, das es nicht zu seinen Aufgaben zählt, Minister mit Lobsprüchen zu verwöhnen, eine kurze Feststellung: An dem großen Ereignis hat der Minister des Auswärtigen, Dr. Grub er, einen bedeutenden aktiven Anteil, der um so mehr gelten kann, als es ihm verwehrt war, als unmittelbarer Partner einzugreifen. Es ist diesem Tiroler nicht in der Wiege gesungen worden, daß er einmal, frischweg aus dem Kriege kommend, für sein österreichisches Vaterland auf der Weltbühne vor eine ganz große diplomatische Aufgabe gestellt sein würde. Und er hat diese Aufgabe gelöst. Er wird einmal einen Bestseller schreiben können, etwa mit dem Titel: „Gewinner als Kibitz beim Hasard der Großen.“

Aus verständlichen taktischen Gründen ist bisher die heimische kommunistische Presse der kirchenpolitischen Polemik im allgemeinen vorsichtig ausgewichen. Doch jetzt, im Getümmel eines Wahljahres, der Versuchung zu widerstehen und nicht mit seinem „Antiklerikalismus“ zum Gefecht anzutreten, wäre zuviel verlangt. So liest man denn unter anderem in dem Juniheft von „Weg und Ziel“, der kommunistischen „Monatschrift für wissenschaftlichen Sozialismus“, die lapidare Feststellung, der Vatikan stehe heute „im Lager des amerikanischen Imperialismus, im Lager der Kriegstreiber. Deshalb verfolgen seine Beauftragten in allen Ländern mit wütendem Haß alle jene, die für den Frieden eintreten“; Erzbischof Dr. Rohracher sei „einer der Hauptkomplicen Mindszentys, er spielte den Mittelsmann zwischen Mindszenty und dem amerikanischen Atombombenkardinal Spellman“ und die österreichischen „Fastenhirtenbriefe des Jahres 1949 zeigen deutlich, wohin die Bischöfe wollen. Sie sind en t schlossen, einen Kulturkampf zu führen und Kulturfragen zu Hauptstreitpunkten des kommenden Wahlkampfes zu machen“. Die verwendeten Formeln sind zwar schon anderwärts abgenutzt worden und entbehren jeglichen Reizes. Aber sie sind doch ein zeitgerechter Beitrag in der Wahlzeit: der Verzicht auf eine unnötige und in heißer Jahreszeit unbequeme Maske.

Nach dem in Kraft befindlichen Außenhandels-Verkehrsgesetz hat die österreichische Nationalbank Anspruch auf 50 Prozent des Erlöses an Devisen bei jedem Exportgeschäft. Die Usia exportiert Lokomotiven nach der Schweiz. Gegen gute Dollar selbstredend. Im Nationalrat erfolgt die Anfrage, ob hiezu Ausfuhrgenehmigung erteilt worden sei, und man erfährt: Der Nationalbank sind tatsächlich 20 Prozent zuzüglich Frachtkosten gutgebucht worden. Man hat also gefeilscht und, da ein Ausgleich besser ist als gar nichts-, diesen annehmen müssen. Die Rechnung? Zwanzig von fünfzig, das sind vierzig Prozent des zu leistenden Betrages. Womit klar wird, daß auch Rechtsfragen vierzigprozentig verdünnte „Lösungen“ finden können.

Es kommt alles an die Sonnen. Nun ist der Oberste Rechnungshof mit der Laterne umgegangen und hat in manche dunkle Ecken hineingeleuchtet. Was man da zu sehen bekam, war nicht gerade schön, und es wird die Aufgabe einer wirklich sachlichen Verwaltungsreform sein, die bedenklichen Sehenswürdigkeiten zu beseitigen. Materialmagazine, in denen keiner weiß, was eigentlich da ist, Steuerkontrollen, die das Doppelte dessen kosten, was sie einbringen, und Steuerämter, die ein Heer von Beamten zur Erledigung von Rekursen beschäftgen müssen, weil sie, um Erhebungsbeamte zu sparen, Steuerbemessungen grundsätzlich nach Einschätzungen — anscheinend nach dem Anzugs- und Haarschnitt des Betroffenen — vornehmen, das alles ist immerhin schon dagewesen. Daß auch einige Unterschlagungsaffären aufkamen, nimmt leider gleichfalls nicht wunder. Wenn es da sogar eine Polizeidienststelle gibt, wo beschlagnahmte Geldbeträge immer dünne werden und deren zweifelhaftes Konfidentensystem sechsstellige Beträge spurlos verschwinden läßt, ist zwar nicht schön, aber derlei soll nach Shakespeare sogar im Staate Dänemark Vorkommen. Daß aber in der Kasse eines Staatsamtes sogar Geldbeträge liegen sollen, von denen niemand weiß, wie sie hinein gekommen sind, diese Zauberei könnte einen Cagliostro erschüttern.

Die Werke des Fischer-Tropsch- Konzerns, die den Gegenstand der jüngsten Zwischenfälle zwischen Besatzungstruppen und deutschen Fabrikarbeitern der Rheinlande bildeten, die sich der Abmontierung ihrer Maschinen widersetzten, hatten im Kriege der Erzeugung künstlichen Petroleums gedient und waren aber seither auf Friedensproduktion umgestellt worden. Zwei Werke des gleichen Konzerns in der Ostzone Deutschlands wurden zwar nach Kriegsende teilweise abmontiert, arbeiten aber heute gleichfalls wieder. Der besondere Widersinn der jetzigen Demontagen in Westdeutschland ist in einem Augenblick, da bereits Milliarden westlicher Steuergelder zur Steigerung der deutschen Produktion nach Deutschland geflossen sind, um so offensichtlicher, als 1946 die ausdrückliche Erlaubnis zurWiederinstandsetzung zweier dieser Werke, die bombenbeschädigt waren, sowie zur Neueinstellung von Arbeitern erteilt worden ist. Die jüngste Entwicklung, der ein Ultimatum vorangegangen war, hat die Angelegenheit zu einer Prestigesache für die britische Militärregierung werden lassen. Damit ist so ungefähr das Schlimmste eingetreten, was passieren konnte. Hält man den Beweis, daß die Durchsetzung eigener Befehle unter Einsatz von Panzerwagen möglich ist, wirklich für wichtiger als die Tatsache, daß nun neuerlich tausende Arbeiter angesichts der Ruinen ihrer in Friedenszeiten aus „Prestigegründen“ zerstörten Arbeitsstätten das bereits existierende Heer der Arbeitslosen Deutschlands vermehren werden. Es gibt Leute, die sich vergnügt die Hände reiben.

Den Prager Machthabern ist Vorbehalten geblieben, selbst ihre Herren Kollegen von der Budapester Fakultät für Volksdemokratie zu übertreffen. Sie haben den Skandal und Terror sogar in das Heiligtum getragen. Die Szenen, die sich Sonntag im St. - Veits-Dome ereigneten und Erzbischof Beran zwangen, seine Predigt abzubrechen und den Gottesdienst zu verkürzen, bedeuten wohl die tiefste Erniedrigung des politischen Systems und seiner Herrschaftsansprüche. Und während sich diese Machthaberschaft vor den Augen der gesitteten Welt entwürdigt, begibt sich etwas Großes: überall, wo Freiheit und Würde geschändet werden, ragt hoch über schmutzig brandende Gewässer der Fels der Kirche und immer steht auf ihm ein ganzer Mann, immer wieder einer der furchtlosen, unbezwingbaren, die ihr Leben einsetzen, Verteidiger des göttlichen und menschlichen Rechtes.

Im Blackpool hat der diesjährige Parteikongreß der britischen Arbeiterpartei stattgefunden. Sein Verlauf war technisch und nüchtern. Der Ausschluß der beiden Kryptokommunisten Solley und Zilliakus wurde gebilligt. Das Wahlprogramm „Labour glaubt an England“ wurde ohne allzu viel Diskussion angenommen. Die zahlengespickten Ausführungen des Schatzkanzlers Sir Stafford Crips wurden hingenommen. Minister Morrison sprach sehr maßvoll und wurde dafür mit Beifall belohnt. Gewerkschaftsführer Bevan sprach radikal und wurde dafür bejubelt. Im ganzen war man sich überaus einig. Trotz den in den zahlreichen inoffiziellen Streiks der letzten Monate nur zu deutlich aufscheinenden Schwierigkeiten wollte man in dieser Einigkeit zum Wahlkampf ausziehen. Und ganz England war sich darüber einig, daß dieser Kongreß kein Ereignis war. Aber dann gab es noch eine kleine Begebenheit: Es fand nämlich ein Gottesdienst der englischen Hochkirche statt, an dem zahlreiche Mitglieder der Labour- regierung teilnahmen. Ministerpräsident Attlee hielt selber eine der Lesungen aus der Heiligen Schrift. Den sozialistischen Parteitag, wo etwas Ähnliches vorkommt, wird man lange suchen müssen.

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