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Selbstbeschränkung in der Außenpolitik

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Freiwilliger Verzicht auf den Krieg < als Mittel der Politik bedeutet zwei- 1 tens Selbstbeschränkung in der : Außenpolitik. Wenn ein Kleinstaat : aus seiner Natur nur eine beschei- : dene Rolle in der internationalen i

Politik spielen kann, so sind die Möglichkeiten eines neutralen Kleinstaates auf diesem Feld noch begrenzter und bescheidener. Die politische Rolle des Neutralen unter- . scheidet sich auch heute im Prinzip ;

kaum von jener des „Stillsitzens“. Sein politischer Aktionsradius bleibt, wenn er das Risiko gefährlicher Mißverständnisse vermeiden will,

im wesentlichen auf die Nachbarschaft beschränkt mit dem Ziel, ein [ möglichst spannungsloses Verhältnis zu dieser zu schaffen. Auf kulturellem und wirtschaftlichem Gebiet sowie in der Domäne der praktischen ' Zusammenarbeit bieten sich ihm hingegen alle Möglichkeiten an, in der Welt zu wirken. Der Neutrale, der hier seine Begabungen, sein Können und Wissen richtig einsetzt, wird bald erkennen, daß Größe beziehungsweise Kleinheit relative Begriffe sind.

Neutralität als Funktion des äußeren Gleichgewichts

Die Neutralität eines Staates ist solange nicht gefährdet, als dessen Wille, sie zu erhalten, ebenso stark ist wie das Interesse Dritter an ihr. Mit anderen Worten: Neutralität ist ein Mittel zur Friedenssicherung nicht nur für den Staat, der sich zu ihr bekennt, sondern auch für seine nähere und weitere Umwelt. Von dieser aus betrachtet hat die Neutralität eine dreifache Funktion zu erfüllen: Sie „neutralisiert“ erstens einen geographischen Raum, der eine eminent strategische Rolle spielt. Die Neutralisierung liegt im Interesse zumindest der angrenzenden Staaten, weil sonst die Gefahr von Zusammenstößen zwischen den Anrainern erheblich vergrößert würde. Daraus ergibt sich zweitens, daß die Neutralität dazu beiträgt, einen politischen Status quo, gleichgültig ob dieser erwünscht sei oder nicht, zu erhalten. Und drittens wird durch

die Neutralität auch eine permanente Friedenszone geschaffen, die in einem Kriegsfall den Kriegführenden unter Umständen dazu dienen kann, Kontakte für einen Friedensschluß herzustellen.

Dem Neutralen erwachsen daraus folgende Aufgaben: Erstens hat er dafür zu sorgen, daß seine Neutralität für die Umwelt zu einem verläßlichen, kalkulierbaren Faktor wird, zweitens hat er sie vor der Versuchung eines Außenstehenden, sie leichtfertig zu zerstören, zu schützen und drittens hat er alles zu unterlassen, was das ihn umgebende Gleichgewicht stören oder verändern könnte. Das ist für den Neutralen wohl das wichtigste Gebot, ist doch das Gleichgewicht das Medium, in dem und von dem die Neutralität lebt. Einer der gründlichsten Er-

forscher der schweizerischen Neutra-ität, der in Basel dozierende Berner Historiker Bonjour, faßt diese Erkenntnis in seiner „Geschichte der schweizerischen Neutralität“ folgendermaßen zusammen: „Man kann direkt sagen, daß das rivalisierende 3-leichgewicht der Großmächte die L,uft ist, in welcher die Neutralität les Kleinstaates gedeiht, während das Übergewicht der einen Macht sein Dasein aufs schwerste gefährdet.“ Und in einer andern Schrift Bonjouirs lesen wir: „Für die Eidgenossenschaft bedeutete das europäische Gleichgewicht immer Förderung ihrer individuellen Lebensmöglichkeit und damit beste Grundvoraussetzung ihrer Neutralität.“

Das europäische Gleichgewicht ist, seitdem diese Sätze geschrieben wurden, durch ein globales Gleichgewicht ersetzt worden. Aber auch dieses ist bedingt durch einen europäischen Status quo, den zu bewahren die beiden Ordnungsmächte, die Vereinigten Staaten und die Sowjet-

Dr. Rleco Lobhardt Ist der Wiener Korrespondent der „Neuen Zürcher Zeltung“. Die Redaktion

union, stillschweigend übereinkommen zu sein scheinen. Eine Veränderung in diesem Status könnte ihr eigenes Gleichgewicht und damil auch die Sicherheit Europas und seiner Staaten gefährden. Der europäische Neutrale müßte daher, wie mir scheint, an der Erhaltung des Status quo in seinem Raum ganz besonders interessiert sein.

Pflichten...

Aus den oben umrissenen Aufgaben erwachsen dem Neutralen folgende Pflichten. Nach außen hin da er keine Gelegenheit versäumen, um wo Verständmislücken auftauchen Wesen, Sinn und Bedeutung seinei Neutralität zu erklären. Größtmögliches Verständnis für die fast einmalige Staatsmaxime zu schaffen ist seine erste und wichtigste außenpolitische Aufgabe. Im Innern hat ei dafür zu sorgen, daß die Neutralitäl die erforderliche militärische Panzerung erhält. Bewaffnete Neutralität ist in unserer Welt, wo noch immer die Macht entscheidet, eir Pleonasmus. Die Landesverteidigung im umfassendsten Sinne des Worte; gehört zur Neutralität wie die weiß Farbe zum Schimmel. Sie ist mit dei inneren Stabilität des neutraler Staates die wichtigste Voraussetzung ihrer Glaubwürdigkeit. Wer für di< Entwaffnung der Neutralität plädiert, hat entweder ihren Sinn nichl verstanden oder er will die Neutralität als solche abschaffen. Gewiß die „immerwährende“ Neutralität is nur so lange immerwährend, als di< menschliche Kondition so beschaffer ist, wie sie immer war, solange, als der ewige Friede nicht Wirklichkei' geworden ist. Denn ist dieser Zustand, den wir alle wünschen, einmal erreicht, dann wird es vermut-

lich keine Nationalstaaten mehr geben, die Macht als Triebfeder der Politik wird ausgeschaltet sein, und ein Gleichgewicht der Mächte wird nicht mehr existieren. Das friedliche Zusammenleben der Menschen wird dann durch andere als diese, vielleicht durch heute noch unbekannte Faktoren gewährleistet werden — und dann wird auch die Neutralität als Instrument der Friedens Sicherung überflüssig werden.

Hier kann und darf es keine Zweideutigkeiten geben: die Neutralität als ein Schild der staatlichen Unabhängigkeit muß das Opfer einer starken Landesverteidigung wert sein. Der Neutrale, der seinen Wert bezweifelt, zweifelt am Wert der Neutralität und der Neutrale, der sich scheut, seine Armee mit den Waffen auszurüsten, die sie zur Ver-

teidigung des Vaterlandes benötigt, legt eine Schwäche bloß, die die Glaubwürdigkeit der Neutralität in den Augen der Umwelt auf verhängnisvolle Weise in Frage stellen könnte.

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