Trump und Amy Barrett  - © Foto: APA / Olivier Douliery

Supreme Court: In reinster Verfassung

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Der Streit um das US-Höchstgericht könnte große Rückschritte bei Minderheiten- und Bürgerrechten bringen. Aber sicher ist das keineswegs, wen immer Donald Trump nominiert.

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Der Streit um das US-Höchstgericht könnte große Rückschritte bei Minderheiten- und Bürgerrechten bringen. Aber sicher ist das keineswegs, wen immer Donald Trump nominiert.

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In älteren Zeiten war so ziemlich alles Männersache, was Öffentlichkeit bedeutete. Auch Journalismus. Man muss das erwähnen, weil dieser Zustand auch die aufgeklärtesten Staaten und die schönsten Demokratien betraf. Wenn man etwa als Frau im 19. Jahrhundert ein Interview mit dem amerikanischen Präsidenten bekommen wollte, bekam man zur Antwort, dass der Präsident nicht mit Frauen spräche. Und so musste die US-Schriftstellerin Anne Royall Präsident John Qunicy Adams bei einem Bad im Fluss überraschen. Royall versteckte dem planschenden Staatsoberhaupt die Kleidung und gab sie ihm nicht zurück, bevor er ihr ein Gespräch zugesagt hatte. Das ist eine heitere Geschichte, aber sie sagt sehr viel über den Zustand der Gesellschaft damals aus und über die rechtliche Stellung von Frauen und anderen Minderheiten in „the Land of the Free“. Damals galt wie heute die legendäre Verfassung von 1787. Ein Stück Rechtsgeschichte, in dem die Amerikaner bis in die Gegenwart vermutlich noch mehr „Schönheit“ vermuten als selbst Alexander Van der Bellen in der österreichischen Bundesverfassung (siehe auch Seite 15).

Warten auf Bürgerrechte

Nun waren in der US-Verfassung der Gründerväter zwar die Errichtung und das Institutionengeflecht des Staates USA auf Schönste ausformuliert, aber nicht viel mehr als das. Weder die Gleichberechtigung der Frauen noch die Abschaffung der Sklaverei waren zunächst Gegenstand des Grundgesetzes. Die unveräußerlichen Rechte des Individuums wurden (bis auf die Bewegungsfreiheit) erst später als Zusätze, Amendments, hinzugefügt.
Gerade in den letzten Tagen steigen nun Angst und Aufregung bei einem Teil der Amerikaner(innen), der Staat Donald Trumps könnte in diesen Urzustand zurückkehren. Und zwar durch die Bestellung der konservativen Verfassungsrichterin Amy Coney Barrett. Sie könnte im Verein mit anderen konservativen Höchstrichtern, so die Befürchtung, einige 27 Zusätze zu Fall bringen – vor allem jene, die die Bürger- und Freiheitsrechte betreffen. Das deshalb, weil mit Barretts Bestellung die konservativen Richter in dem neunköpfigen Gremium ein eindeutiges Übergewicht haben.

Nur: Ist das in der Realität auch zu erwarten? Vieles spricht trotz der allgemeinen Aufregung dagegen, weniges allerdings auch dafür. Das Wichtigste: Der Supreme Court beharrte in seiner 200-jährigen Geschichte stets auf seiner Unabhängigkeit gegenüber dem Weißen Haus, unabhängig von der Parteizugehörigkeit seiner Mitglieder. Der derzeitige Vorsitzende des Gremiums, der den Republikanern nahestehende John Roberts, ist dem Präsidenten schon einmal in die Parade gefahren, als sich der Ausritte gegen ein Gerichtsurteil erlaubte. Gleichzeitig urteilte das Gremium in mehreren Fällen gegen die Linie des Präsidenten – obwohl bereits jetzt die konservativen Richter in der Mehrheit sind. Und es ging dabei tatsächlich um republikanische Kernthemen. In einem Fall wurde die Einschränkung des Rechtes auf Abtreibung verhindert, in einem anderen Fall die Diskriminierung von Homosexuellen im Arbeitsrecht. Urteilsbegründer war ausgerechnet der von Trump selbst nominierte Neil Gorsuch. Schon davor hatte der Gerichtshof Trumps Erlass gegen Einwanderer, die als Kinder in die USA gekommen sind, als „willkürlich und launenhaft“ kassiert.

Der Supreme Court ist nicht weisungsgebunden, und seine Mitglieder urteilen auch nicht durchgehend nach Parteilinie. Auch nicht nach Trumps Wünschen.

Trumps Kalkül kann also nur aufgehen, wenn sich die nun von ihm nominierte Coney Barrett seiner Politik gegenüber so verhält, wie Gorsuch und Roberts das eben nicht tun: willfährig. Aber auch das ist nicht so wahrscheinlich, wie die schnelle Nominierung Coney Barretts das erscheinen lässt. Denn einmal nominiert, muss sich die Jurstin ihrem Gönner nicht mehr verpflichtet fühlen. Im Gegenteil, sie darf es gar nicht. Schon bei ihrer Präsentation beharrte sie in Anwesenheit des sauer lächelnden Präsidenten auf ihrem Grundsatz, nicht der Politik, sondern dem Gesetz zu dienen, und darauf, dass persönliche Überzeugungen keinerlei Rolle bei richterlichen Entscheidungen spielen dürften. Das spricht im Grunde gegen Trump. Und es minimiert die Bedeutung privater Überzeugungen der Juristin, die eher Trump entsprechen würden, wie etwa ihre offene Gegnerschaft zur Abtreibung und ihre konservativen Ansichten zur Familie, aber auch zum Gesundheitssystem.

Umstrittene Zusätze

Andererseits steht Barrett in der Rechtstradition des „Originalismus“: Sie lässt sich in ihren Urteilen als Verfassungsrichterin grundsätzlich von der Verfassung der Gründerväter und den damaligen Meinungen leiten. Sie hält in diesem Sinn den Text der Constitution von 1787 für wesentlich „schöner“ als alles, was danach kam. Und das ist ein Problem einerseits. Denn erst „danach“ kam eben durch Verfassungszusätze alles, was einen modernen Staat maßgeblich prägt: von der Meinungs- und Pressefreiheit (Amendment 1) bis zum Frauenwahlrecht (Amendment 19), dem Recht, Steuern einzuheben (Amendment 14) – aber auch dem Recht auf Schwangerschaftsabbruch (1973 als Präzedenzfallentscheidung des Supreme Court „Roe vs. Wade“).

Gerade beim letzten Punkt könnte es zu einer Änderung im Votum des Supreme Court kommen. Denn „Originalisten“ treten deutlich dagegen auf, dass Gerichtsurteile Gesellschaftspolitik machen. Sie meinen, diese Aufgabe käme der Politik zu (die sich ihrer Meinung nach möglichst nicht einmischen soll). Gerade in einer kasuistisch geprägten Rechtsordnung, in der sich die Richter vor allem an früheren Gerichtsentscheidungen orientieren, klingt das wie Arbeitsverweigerung. Aber dieser scheinbar sehr defensive juristische Standpunkt kann auch große „liberale“ Überraschungen hervorbringen, wie das auch öfter bei Barretts Lehrer und Vorbild im Amt, Antonin Scalia, der Fall war. Dieser erzkonservative Richter trug maßgeblich zu dem Urteil bei, das Gefangenhalten von mutmaßlichen Terroristen ohne Anklage in Guantánamo sei verfassungwidrig – und der in einem anderen Fall urteilte, das Verbrennen der US-Flagge bei Demonstrationen sei Teil der freien Meinungsäußerung.

Doch selbst bei der engsten Auslegung dieser Denkschule stünde doch einiges in dem Verfassungstorso, von dem sich die neue Richterin inspirieren lassen könnte. Etwa, dass „die Einwanderung von Personen, deren Zulassung einer der Staaten für angebracht hält, nicht verboten werden soll“. Auch nicht uninteressant: „Kein Ausnahmegesetz, das eine Verurteilung ohne Gerichtsverfahren zum Inhalt hat, oder Strafgesetz mit rückwirkender Kraft soll verabschiedet werden“. Könnte und müsste man das nicht auch so definieren: Kein Ausnahmegesetz, das die Verhinderung von Gerichtsverfahren oder Urteilen gegen den Präsidenten zum Inhalt hat, soll verabschiedet werden? Hier würde es für Donald Trump und einige seiner von ihm begnadigten Freunde spannend.

Und letztlich steht im Verfassungstorso von 1787 immer noch die stärkste Waffe: „Der Präsident ... wird seines Amtes enthoben, wenn er wegen Verrats, Bestechung oder anderer Verbrechen und Vergehen unter Amtsanklage gestellt und für schuldig befunden worden ist.“ Kein Zweifel, dass die Anhänger des „Originalismus“ gerade diesen Artikel aufs Äußerste verteidigen würden. Gegen welchen Präsidenten auch immer.

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