Synagoge Kamera - © Foto: APA / dpa-Zentralbild / Hendrik Schmidt

„Terror gegen Juden“: Steinkes Buch als messerscharfe Analyse

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Ronen Steinkes Buch „Terror gegen Juden“ versteht sich als Anklage. Es ist mehr als das: eine messerscharfe Analyse und eine beklemmende Bestandsaufnahme.

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Ronen Steinkes Buch „Terror gegen Juden“ versteht sich als Anklage. Es ist mehr als das: eine messerscharfe Analyse und eine beklemmende Bestandsaufnahme.

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Am Anfang aller Recherchen stand die Wut. „Kalte Wut“, wie Ronen Steinke letzte Woche, als sein Buch „Terror gegen Juden“ in den Buchhandlungen erschien, auf seiner Facebook-Seite schreibt. Mit ihr im Gepäck, machte er sich „nach dem Anschlag in Halle“ im vergangenen Jahr auf. Er reiste kreuz und quer durch Deutschland, besuchte „mehr als 20 Synagogen, die der Staat ebenfalls nicht ausreichend schützt“, und legt nicht mehr als ein Dreivierteljahr später ein Buch vor, über Hinter- und Abgründe, Parallelen zu anderen antisemitischen Hassverbrechen und die Struktur, die all dies verbindet.

Das an sich ist in dem kurzen Zeitraum schon bemerkenswert. Doch hier geht es um mehr. Steinke bleibt im Herbst 2019 nicht stehen. Anders als viele verharrt er nicht in diesem Schockzustand, sondern folgt der Spur der Gewalt durch die Geschichte der Bundesrepublik. Halle eine Zäsur? Das kann nur sagen, wer die letzten Jahre, eigentlich Jahrzehnte, nichts mitbekam von Morden, Bedrohungen, Anschlägen, gerichtet gegen Jüdinnen und Juden in Deutschland, gegen ihre Gottes- und Gemeindehäuser und sogar, wie im Fall Heinz Galinskis, des ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats, gegen ihre Gräber.

Steinke, Redakteur der Süddeutschen Zeitung und bekannt für seine 2013 erschienene Biografie „Fritz Bauer. Oder: Auschwitz vor Gericht“, geht den Dingen auf den Grund. Das ist er als Jurist von Haus aus gewöhnt, und mit diesem Blick seziert er auch die nachlässigen Ermittlungen, die sich wie ein roter Faden durch sieben Jahrzehnte judenfeindlicher Angriffe ziehen. Unkenntnis, Unwille oder die durchaus antisemitische Annahme vermeintlich innerjüdischer Konflikte verhinderten nicht nur einmal eine strafrechtliche Verfolgung der Täter. Bei den Überlebenden und ihren Nachkommen, betont Steinke mit Nachdruck, erodiert so das Vertrauen in den Rechtsstaat.

„Einzelfälle, überall Einzelfälle“

„Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt“ ist der Untertitel des Buchs. Es folgt die Selbstverortung „Eine Anklage“. Sie ist zutreffend gewählt, nicht nur wegen der überaus beklemmenden Chronik, die Steinke da zusammengestellt hat. Mehr als 1000 Beispiele judenfeindlicher Gewalt listet er auf, nach 1945, wohlgemerkt. Er prangert die „Vermeidung des T-Worts“ an, also „Terrorismus“, und addiert die oft verharmlosende Rhetorik nach einem Anschlag zu einer Überschrift, die das Ausmaß der Verleugnung deutlich macht: „Einzelfälle, überall Einzelfälle“.

Neben dem Blick des Juristen kommt Ronen Steinke auch seine Eloquenz zugute. Mit Ersterem analysiert er die Versäumnisse von Ermittlern, Staatsanwaltschaft und Richtern, Judenfeindschaft zu erkennen, zu benennen und bewerten. Mit Letzterer formuliert er diese haarsträubenden Mängel und zieht die Verbindungen, welche die Behörden allzu oft übersehen haben. Genau dies ist ein essenzieller Punkt dieses Buchs: Keines der beschriebenen Verbrechen war zuvor unbekannt – nur eben unvollständig, stümperhaft oder bewusst nachlässig ermittelt und oft nicht zur Anklage gebracht.

In gewisser Weise führt Steinkes „kalte Wut“ ihn zu den cold cases antisemitischer Gewalt, den jüdischen Leichen im Keller eines Landes, das weithin seiner vorbildlichen „Vergangenheitsbewältigung“ gerühmt wird. Ein Wort, das einem bei der Lektüre seines Buchs im Hals stecken bleibt, wenn dort eine scharfe Analyse wie diese auftaucht: „Jüdisches Leben in Deutschland, das ist Religionsausübung im Belagerungszustand.“ Auch das ist keine neue Erkenntnis, aber in einer Klarheit auf den Punkt gebracht, die bisweilen erschüttert. Weil sie vor Augen führt, mit welchen Zuständen sich eine Gesellschaft arrangiert hat. „Terror gegen Juden“ zeichnet ein detailliertes Bild von diesem Belagerungszustand. Eingangs verharrt Steinke an der Synagogentür von Halle, deren Spezialsicherung einen Massenmord verhinderte.

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