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Wenige moralische Vorbehalte

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Größere Diskussionen über die Notwendigkeit der Herstellung indischer Nuklearwaffen setzten Ende 1964 ein, nachdem am 16. Oktober die erste chinesische Atomexplosion erfolgt war. Der zweite chinesische Atomversuch regte mitte dieses Jahres die Diskussion aufs neue an. Im wesentlichen zeigten sich dabei drei verschiedene Meinunigen:

Eine erste Gruppe war bereits damals der Ansicht, Indien müsse nun selbst die Atomwaffenproduktion aufnehmen. Eine zweite Gruppe sah die Lösung in einer Garantie der Nuklearmächte oder sogar im Anschluß an ein westliches Bündnis. Eine dritte Gruppe schließlich glaubte, daß zur Zeit keine neuen Schritte nötig seien.

Der indisch-pakistanische Septemberkrieg hat nun deutlich der ersten Gruppe Auftrieb gegeben. Große Kreise Indiens sind auf Grund der jüngsten Erfahrungen zur Auffassung gekommen, Indien müsse so bald als möglich auf allen Gebieten Unabhängigkeit gewinnen, auch in der atomaren Bewaffnung.

Das urspünglich von Shastri stammende Projekt einer Garantie durch die Nuklearmächte wird kaum mehr erwähnt. Eine Garantie durch die Vereinigten Staaten und England allein würde die blockfreie Politik Indiens gefährden und kommt bei der in Indien gegenwärtig verbreiteten Abneigung gegen die Westmächte nicht in Frage. Ein gemeinsamer amerikanisch-russischer Nuklearschirm für Indien ist zur Zeit nicht möglich, und überhaupt erscheint hier den meisten Kommentatoren der Gewinn eines formellen Abkommens sehr fragwürdig.

Früher geäußerte moralische Vorbehalte gegen die Eigenproduktion von Atomwaffen sind von vielen fallengelassen worden. Mehr und mehr hört man die Ansicht, daß auch Indien nun die Bedeutung der Macht in der Weltpcditik erkennen müsse. Der Vorsitzende der Gandhi-Erinnerungsstiftung lehnte vor kurzem zwar die Fabrikation indischer Atombomben ab, erklärte aber, im Zusammenhang mit dem indischpakistanischen Krieg, es steh Einklang mit den Idealen Mahatma Gandhis, wenn für eine gerechte Sache eine starke Armee ausgebaut werde.

Bei der Diskussion um die indische Atombombe weisen etliche auch auf die internationale Reaktion nach den chinesischen Versuchsexplosionen hin. Nur wenige af ro-asiatische Staaten verurteilten diese Handlung Chinas. Vielfach war dagegen ein gewisser Stolz darüber zu spüren, daß diese Leistung nun auch einem Entwicklungsland gelungen sei. Man glaubt daher, daß der Besitz von Nuklearwaffen die politische Stellung Indiens in der afro-aisiatischen Welt aufwerten würde.

Einen weiteren Einfluß auf die Haltung vieler Inder bildet eine wachsende Enttäuschung über die Erfolglosigkeit der Genfer Abrüstungsverhandlungen.

Neben all diesen Argumenten, die heute mehr denn je in der indischen Öffentlichkeit geäußert werden, sind allerdings auch die Gegner nicht verstummt. Sie betonen vor allem die große Belastung der ohnehin schon bedenklichen Wirtschaftslage, und erinnern an Indiens selbstgewählte Rolle eines Vorkämpfers für Abrüstung.

Die Regierung wendet sich nach wie vor entschieden gegen eigene Atomwaffenproduktion. Die Argumentation Shastris zeigt aber einen bemerkenswerten Wandel. Während er vorerst in absoluter Weise seine Ablehung mit moralischen Überlegungen begründete, argumentiert er jetzt mehr mit wirtschaftlichen und politischen Gründen. Auch schließt er nicht aus, daß zu einem späteren Zeitpunkt Indien seine bisherige Haltung zu ändern habe.

Chinas Atomversuche und der indisch-pakistanische Krieg haben in Indien das Verlangen nach eigenen Atomwaffen stark gefördert. Die Regierung wird diesem Druck in naher Zukunft nicht nachgeben. Sie weiß um die harten wirtschaftlichen Folgen für Indien und die gefährlichen internationalen Auswirkungen. Es ist aber wahrscheinlich, daß bereits jetzt die Forschungsarbeiten so weit vorangetrieben werden, daß nötigenfalls innerhalb eines halben Jahres eigene Nuklearwaffen hergestellt werden können.

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