6625155-1956_03_11.jpg
Digital In Arbeit

Die dritte Epoche der Musik?

Werbung
Werbung
Werbung

Das Institut für Wissenschaft und Kunst veranstaltete gemeinsam mit dem Oesterreichischen Rundfunk im Auditorium maximum der Universität einen Vortrag von Dr. Herbert Eimert über „Elektronische Musik“ mit Tonbandvorführungen. — Dr. Eimert ist einer der Pioniere dieser neuen Disziplin, an deren Erforschung vor allem im Kölner Studio des Nordwestdeutschen Rundfunks gearbeitet wird. — An diesen Arbeiten sind Wissenschaftler, Techniker und Musiker (Komponisten) beteiligt. Dr. Eimert sprach als Wissenschaftler, und man muß ihm dankbar sein für den Verzicht auf jederlei ästhetische Programmatik. Im folgenden geben wir eine Uebersicht über die akustischen Voraussetzungen und Möglichkeiten der Elektronischen Musik:

Es ist eine allgemein bekannte Erscheinung, daß Töne gleicher Höhe, also gleicher Schwingungszahl pro Sekunde, einen unterschiedlich gefärbten Klang aufweisen (geigen-, flöten-, klarinetten- oder hornartig), je nachdem, von welchem Instrument sie erzeugt werden. Diese Erscheinung beruht darauf, daß zu den Grundschwingungen des Tones je nach Art des Instrumentes Oberschwingungen, sogenannte Obertöne, in jeweils verschiedener Art und Zahl hinzutreten und so den Charakter des Tones bestimmen.

Nun hat man in der letzten Zeit Apparate gebaut, mit welchen man obertonfreie Töne auf elektrischem Wege erzeugen kann. In diesen Apparaten werden mit Hilfe umlaufender Stromunterbrechungen elektrische Schwingungen (Wechselströme) erzeugt, deren Schwingungszahlen denen der dazugehörigen Töne entsprechen. Durch geeignete Empfänger werden diese elektrischen Schwingungen in hörbare Luftschwingungen verwandelt. Da oberwellentreie Töne wegen ihrer Ausdruckslosigkeit zum Musizieren ungeeignet sind, werden weitere Schwingungserzeuger (Generatoren) verwendet, welche die charakteristischen Obertöne liefern, die dann je nach Belieben zu den verschiedensten Klangfarbeneffekten gemischt werden können.

Es gibt elektronische Instrumente verschiedener Konstruktion, aber alle beruhen auf demselben Prinzip. Ihre Verwendungsmöglichkeiten sind sehr vielfältig: der Tonumfang kann vergrößert und verkleinert werden; die Veränderung der Klangfarbe ist fast unbegrenzt und gestattet die Tonwiedergabe aller Blech-, Holz- und Streichinstrumente. Darüber hinaus können bisher ganz unbekannte, eigenartige Mischklänge hergestellt werden. Durch lieber-, beziehungsweise Unterschreiten der dem menschlichen Ohr erfaßbaren Tonfrequenzen können Geräusche verschiedenster Art erzielt werden wie Propellersausen, Sturm, Tierstimmen usw., die für Bühnen-und Tonfilmzwecke verwendet werden können. Einer individuellen Tonbildung sind keinerlei Schranken gesetzt. Vom abgehackten Staccato bis zum weichen Legatospiel sind alle Zwischenstufen möglich. Der Ton kann leise ansetzen und lauter werden und umgekehrt. Vibrato und Glissando können genau wie auf der Geige hervorgebracht werden. Die elektronischen Instrumente bergen Möglichkeiten in sich, die man von den bisher üblichen Instrumenten nicht erwarten oder verlangen konnte.

Der jüngste Einbruch der Technik in die Musik durch die Tonerzeugung auf elektrischem Wege kann nicht nur zu einem Stilwandel in der Musik führen oder einen solchen beschleunigen, sondern wird auch sonst Folgen haben, deren Tragweite noch gar nicht abzuschätzen ist. Wie oben schon angedeutet, sind einer individuellen Tonbildung keinerlei Schranken gesetzt, so daß dem Komponisten alle Möglichkeiten offenstehen. So wird es möglich sein, Töne und Geräusche verschiedenster Arten nach systematischen Gesichtspunkten zu erzeugen. Da den speziellen Kompositionen für elektronische Instrumente gewisse Strukturen, Reihen oder Serien zugrunde liegen, spricht man auch von „serieller Musik“. Ob dem unbeeinflußten Hörer beim Hören solcher Musik die mathematische Systematik einer solchen Komposition bewußt werden wird, ist noch nicht vorauszusagen. Eine weitere Eigenart dieser Musik ist es, daß es der Komponist in der Hand hat, das von ihm geschaffene Werk sofort, und zwar ohne Zuhilfenahme eines Orchester oder anderen Interpreten, auf einem Magnetophonband aufzunehmen und von diesem durch den Lautsprecher wiederzugeben. Auf diese Art ist der Komponist Schaffender und Ausführender zugleich. Die Ausschaltung der Interpreten wird sich auch noch in sozialer Hinsicht auswirken.

Wer sich eingehend mit den Problemen der elektronischen Musik, insbesondere auch mit ihren künstlerischen Aspekten, beschäftigen will, sei auf das in der Universal-Edi-tion, Wien, erschienen? erste Heft der „Reihe“ (Information über elektronische Musik, herausgegeben von Herbert Eimert und Karl Stockhausen) verwiesen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung