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Formgefühl — ein Grundelement werblichen Ausdrucks

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Abstrahierend von den auf Forschungserkenntnissen beruhenden Funktionen der Werbung, aber auch von allen subjektiven Tendenzen einzelnen Wirkens soll hier von jener, jeder werblichen Erscheinung ablesbaren Mentalität gesprochen werden, die über das in ihr ausgedrückte Formgefühl Auskunft gibt. Aber auch in dieser Abgrenzung gilt es nicht, über den vom jeweiligen Auftraggeber und dem Gestalter seines Auftrages abhängigen Ausdruck individuellen, vielmehr vom tatsächlichen Vorhandensein eines national differenzierten Formgefühles zu handeln. In diesem Sinne sind auch in der Werbung die Bezeichnung „amerikanischer“, „französischer Stil“ usf. zu verstehen. (Dieses Formgefühl kann bei einem Volke auf einem besonderen Gebiet schöpferischer Leistungen so sehr dominieren, daß es zum allgemein und allerorts verbindlichen Maßstab für Leistungen dieses Gebietes zu werden vermag. So ist es interessant zu beobachten, wie für alle visuell exzentrische Gestaltung Paris maßgebend ist, während auf akustischem Gebiet letztlich Wien mit seinen traditionell hohen Ansprüchen entscheidend wirkt.)

Ein „österreichischer Stil“ in der Werbung ist wohl schwer zu definieren, zumal unser Land nicht auf jene seit langem entwickelte werbewissenschaftliche Tradition zurückblicken kann wie die klassischen Länder der Werbung. Eben deshalb ist auch die Aufnahmebereitschaft französisch oder amerikanisch aufgezäumter Werbemethoden bei uns zwar groß, doch können wir gleichzeitig feststellen, daß diese als nicht eigene Leistungen empfunden werden. Daher werden solche Stilbrüche zwar vorübergehend als amüsant, im besten Falle als modisch, im Grunde aber doch als fremdartig aufgefaßt. Und die Erklärung für dieses Verhalten: Oesterreich ist ein musisch, und — oder gerade deshalb — ein sehr kritisch veranlagtes Land. Die wesentlichsten Züge des österreichischen Stilbildes sind Scharm und Bescheidenheit, beide — wie gezeigt — geeignet, vorübergehend leicht durch exzentrische Leistungen übertrumpft zu werden. Es ist deshalb schwierig, unsere Charakteristik wahrnehmbar zu vermitteln. Wir besitzen auch viele Talente; aber unser Land ist viel zu klein und durch wiederholte Kriege zu schwer geschädigt, um allen seinen Begabungen eine Existenz zu sichern. Viele von ihnen müssen ins Ausland abwandern oder häufiger, noch unerkannt und durch das Vulgär-Reale verdrängt, abseits stehen. (Um wieviel mehr konnte die Schweiz durch ihr materielles Unbelastetsein Geniales sich entwickeln lassen!)

Abgesehen von allen Sondergegebenheiten, ist auch die Technik mit ihren stets neuen Errungenschaften imstande, Struktur und Charakter der Länder zu verwischen. Aber letzdich ist die Eigenheit der Empfindungen, allein schon geographisch und klimatisch bedingt, unauslöschlich. So müßte jeder Werbende aus dem Formgefühl seines Milieus schaffen; sein Ausdruckswiile müßte der Mentalität seines Landes Rechnung tragen, um verstanden zu werden. Oesterreich, Italien und Frankreich empfinden „wärmer“, Holland, England und Schweden „kühler“: in vergleichender Schau reizvolle Differenzen, wesentlicher aber noch als praktische Erkenntnis für den Werbenden, bodenbedingte Weltanschauung zu besitzen, um die Eigenart und Atmosphäre des eigenen Landes zur Geltung zu bringen. Denn internationale Plagiate fördern nur einen verworrenen Eklektizismus, der jedem Lande seine ureigensten Reize raubt. Außerdem sind sie die Bestätigung mangelnder Schöpfungsgeistes...

Viel zu schnell und daher auch sehr oberflächlich finden sich Gestaltende vielfach mit ihren Aufgaben ab. Werbung muß Tiefenwirkung haben, die nur durch Einfühlung und langjährige Beschäftigung mit dem Objekt erreicht werden kann. Die Vergangenheit weiß von flämischen, holländischen oder italienischen, ja sogar von venezianischen oder florentinischen Kulturen zu erzählen; das bedeutet: Meister und Schüler mit ihren Werkstätten haben sich intensiv mit der Problematik des Landes oder gar ihrer Stadt auseinandergesetzt und der Welt stark „werbende“ Leistungen hinterlassen. An die Werbung gerichtete ethische Postulate werden heute theoretisch wenigstens nirgends mehr angefochten. Aesthetische Forderungen hingegen hätten, wie oben gezeigt, ihre notwendige Verankerung vor allem in der Respektierung bodenständigen Formgefühls und würden überdies, was in den Spalten dieses Blattes bereits einmal ausgeführt werden durfte, den jeweiligen „realen Wirkungsabsichten“ der Werbung nicht zwingend zuwiderlaufen. Für künstlerische Aesthetik in der Werbung einzutreten, wäre nicht nur Aufgabe der Standes- und verantwortungsbewußten Fachwelt, sondern“ eine kulturelle Mission, die vor allem führende Wirtschaftskreise in richtiger Einschätzung der Bedeutung der Werbung im Gemeinschaftsieben kraft der ihnen zur Verfügung stehenden materiellen Mittel auch durchzuführen in der Lage wären.

Wenn ich nun auf ein Beispiel österreichischer Werbung hinweisen darf, so möchte ich das Haus Julius- Mein! erwähnen, welches über neun Jahrzehnte hindurch von vielen österreichischen Künstlern seine Stilatmosphäre gestalten ließ, bis es zuletzt bei einer eigenen künstlerischen Werkstätte mit Lehrer und Schülern angelangt ist. Alle kolonialen Stimmungselemente des Importuntet-nehmens werden hier mit österreichisch-traditionsbewußtem Fornigefühl verbunden. Exzentrische Modeerseheinungen wurden wegen Kurzlebigkeit bewußt unterlassen, una den Firmenstil von seiner traditionellen Entwicklung nicht abzubringen, dazu jede zweckmäßige Neuerung ohne „Verlust der Mitte“ eingebaut.

So kann man das Haus Meinl mit seiner ganzen Atmosphäre ein in typisch österreichischem Geist werbendes Unternehmen nennen, das ohne Traditionsbruch weit über die Grenzen Oesterreichs hinaus sich den Ruf von Format und Eigenart erworben hat.

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