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Kult, Kunst und Feier

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Als vor zehn Jahren die Paul-Ernst-Ge- sellschaft von München nach St. Georgen an der Stic fing (im Süden von Graz) übersie- delte, geschah es in dem Bewußtsein, daß die Stätte, die der Dichterdenker durch sein Leben und seine Arbeit geadelt hatte und wo er auch zur letzten Ruhe gebettet wurde, zur Wahrung seines Erbes am geeignesten sein müßte. Die weiträumigen Anlagen des Schlosses, die über 11.000 Bände umfassende Bibliothek und der gesamte Nachlaß Paul Ernsts kamen diesen Bestrebungen unstreitig sehr zugute.

Als an derselben Stätte am 13. Mai 1948, dem Todestag des Dichters, die „Forschungsgemeinschaft Paul Ernst und seine Zeit“ gegründet wurde, übernahm sie die Aufgaben der Paul-Ernst-Gesellschaft, jedoch mit ungleich erweiterter Zielsetzung. Es sollten nicht nur das Verständnis für Paul Ernsts Leben und Schaffen gefördert und verbreitet, sondern auch die mannigfachen Beziehungen aufgedeckt werden, die den Dichter und Denker mit den kulturellen Erscheinungen der Vergangenheit und Gegenwart und mit allen Völkern verbinden. Diesem Zwecke dienten im Vorjahr vornehmlich die erschienenen ersten vier Folgen einer dankenswert weitgespannten Schriftenreihe, während am Beginn dieses Jahres eine Kulturtagung am 25. und 26.- Juni stand. Sie war naturgemäß nicht so sehr der Behandlung von Einzelfragen gewidmet als vielmehr der Bemühung um eine Klarlegung grundsätzlicher Erkenntnisse und Überlegungen.

Daß dies in vorbildlicher Weise gelang, war vor allem der Mitwirkung des durch sein Buch „Verlust der Mitte“ mit Recht bekannt gewordenen Kunstphilosophen Hans Sedlmayr, Wien, zu verdanken. Sein Vortrag über „Kunst und Kult“ erwies sich als ein mächtiges Kraftfeld, zu dem alles andere irgendwie in Beziehung treten mußte. Mit einer Beredsamkeit, die gerade durch ihre klare und einfache Linienführung, bezwang und sich in der Diskussion zu dialektischer Schärfe steigerte, verfocht Sedlmayr den Kernpunkt seiner Anschauung: „Verlust des Kults bringt unweigerlich auch den von Kultur und Muße mit sich.“ Da jedes wirkliche Gottesbewußtsein auch einen Kult hervorbringt, wenn es nicht bloß Gefühl und Weltanschauung bleiben soll, und sich jeder Kult irgendwie mit den Mitteln der Kunst verbindet, ist diese zuerst vielleicht etwas ungewöhnlich anmutende Gedankenkette glaubhaft angebahnt und wird in der Folge weiter ausgebaut.

Zunächst liegt jedoch das Hauptgewicht auf jenen „.Leitgestalten“, die im Laufe der Geschichte dem christlichen Kult (als dem faktisch einzig bestehenden) rund um die Liturgie das künstlerische Gepräge gaben. Während die altchristliche Basilika ein Abbild der apokalyptischen Himmelsstadt und ein Heiligtum des herrscherlichen Christus (mit Übernahme des oströmischen Kaiserzeremonialis) sein will, sollen die in der justinianischen Zeit auftretenden Kuppelbaldachine, die hinfort für das östliche Christentum verbindlich bleiben, den die Erde überwölbenden Kosmos verkörpern. Reichliches Oberlicht und ausgesprochen „jenseitige“ Malerei ohne Beachtung von räumlichen und plastischen, Erfordernissen gdben dieser Kunst ihr Gepräge. Die dritte Leiitgestalt beginnt im ottonischen und reicht bis ins staufische Zeitalter;’ die Himmelsstadt wird jetzt im Sinne einer Burg aufgefaßt; Türme statt Kuppeln, massive, fest im Boden wurzelnde Mauern, Dämmer- dunkel statt Lichterfluten, Fresken statt Mosaik. Christus wird als Heerkönig dargestellt, neben dem der Erzengel Michael als „Kronfeldherr“ die größte Rolle spielt. Und dann der denkbar größte Umschlag: die, gotische Kathedrale als Lichtstadt Gottes, gewiß nicht zufällig erstmals in St.-Denis, der Stadt des bedeutendsten mittelalterlichen Lichtmystikers, wie nun überhaupt eine der größten religiösen Erlebnisänderungen zu verzeichnen ist, da der Himmel dem Menschen ungemein nahegerückt und liebvertraut geworden scheint. Und wieder eine machtvolle Antithese: die Kirchen der Bettelorden beherbergen in Christus vor allem den Mensch gewordenen und zu menschlichen Leiden erniedrigten Gott, während zur Zeit der Hochrenaissance die Kirchen im Zeichen des durch Beharrlichkeit siegenden und auferstehenden Gottessohnes stehen.

Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts sind keine echten Leitgestalten mehr aufgetreten, sondern bloß noch Pseudokultstätten der Kultur (Parkanlagen)„ der Kunst (Museen, Theater) des sich seihst bewundernden Menschen (Ausstellungen, Messen), schließlich sogar des Dämonischen bis zum Nihilistischen. Im ganzen eine Entwicklung, die in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts ihren Tiefpunkt erreicht haben dürfte, während heute wieder einige Anzeichen dafür sprächen, daß unsere Situation nicht rettungslos verloren sei, ja, daß sich gerade bei uns in Österreich die biherige scheinbare Rückschrittlichkeit zu verwandeln beginne. Eindeutig müsse jedoch festgestellt werden, daß Kult, Kunst und Feier nur im Bereich der Kultur, nie aber in dem der bloßen Zivilisation angetroffen werden könne.

Kultur, Zivilisation, Barbarei — diese drei Stationen auf dem Wege des Menschen von Gott weg sind aber auch die Sorge Paul Ernsts gewesen. Seine Weltansicht ruhte auf der Erkenntnis, daß an Stelle der Bedingtheit aller Begriffe die Gültigkeit einer von Gott gesetzten göttlichen Ordnung zu treten habe, um der Sinnlosigkeit der Zivilisation zu entgehen, um die schon allerorten aufstehende Barbarisierung der Menschheit zu verhüten, um dieser Welt ein Ende zu setzen, dem ein neuer, bessererund heiligerer Anfang folgen könne. — In diesem Sinne schloß der Geschäftsführer der Forschungsgemeinschaft Dr. Fritz Kürbisch seinen an die Spitz der Veranstaltungen gestellten Vortrag über „Tragik und Weitende bei Paul Ernst“ — ein in seiner Subtilitat vielleicht etwas gewagter Anfang, der jedoch nachträglich durch Sedlmayr gewissermaßen gerechtfertigt und ins rechte Licht gestellt wurde. Geht es doch wie im gesamten Schaffen Paul Ernsts so auch in seinem Verhältnis zu den letzten Dingen darum, bis an den Rand des Menschlichen mit all seiner oft bizarren Wunderlichkeit und seiner tiefen Erlösungssehnsucht heranzukommen, um zuerst selbst das möglichste zu wirken, ehe das unmöglich Erscheinende in die Hände Gottes Übergaben wird.

Schon aus diesen knappen Andeutungen erhellt, daß die geistige Arbeit, die in St. Georgen geleistet wurde, beachtlich ist und an die Aufnahmebereitschaft der Teil nehrner nicht alltägliche Ansprüche stellte. Erleichtert wurde dies freilich durch das ganze Milieu, das so sehr vom Geiste Paul Ernsts durchtränkt und gesättigt ist, wo alle jene Normen, nach denen er sein unvergleichlich reiches Leben gestaltete, gewissermaßen greifbar in der Luft liegen.

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