7135198-1997_43_24.jpg
Digital In Arbeit

Nach der Jfährheit die Schönheit

Werbung
Werbung
Werbung

Wo die Träume wohnen” heißt einer der schönsten Bildbände, die in diesem Herbst in Österreich erscheinen. Thema ist das Waldviertel. Knappe Texte mehrerer Autorinnen unterbrechen die Bildfolge. Über die Bilder ist wenig zu sagen. Man muß sie sehen, muß die Farben sehen.

Hingegen ist einiges über Franz I lubmann zu sagen, dem wir dieses Buch verdanken, /um Beispiel, daß sein künstlerisches Medium konsequent die Schwarzweiß-Fotografie war, ehe er sich von den Menschen als Thema seiner Kunst ab- und der Natur zuwandte oder nach der Wahrheit nun der Schönheit nachspürte.

Vor 13 Jahren saß ich mit ihm im „Europe”. Er zeigte auf die am Nebentisch servierende Kellnerin: „Wenn ich diese Frau jetzt fotografiere, genau die richtige Bewegung erwische, ihren Blick, den Blick des Gastes, alles stimmt - wenn ich das mit Farbe mache, haut mir der Hintergrund, diese rote Wand, alles zusammen. Dieses Bot ist so stark, daß es vom Wesentlichen ablenkt. Im Schwarzweißbild hätte ich einen neutralen, grauen I Untergrund. Nach 30 Jahren Erfahrungsammeln scheiden für mich 80 Prozent dessen, was uns die Wirklichkeit anbietet, für die Farbfotografie aus. Bei 80 Prozent von allem, was wir sehen und was sich demnach als Motiv anbietet, fehlen die Voraussetzungen für eine bildmäßige Farbfotografie, denn mit dem Wort künstlerisch' bin ich lieber vorsichtig. Schwarzweiß hingegen läßt sich 'alles gestalten, weil allein durch das Fehlen der Farbe bereits eine Abstraktion vorliegt und keine bloße Abbildung. Vor allem im Porträt verharmlost die Farbe geradezu. Da kann die jSchwarzweißfotografie viel aggressiver sein. Ich liebe immer noch das Porträt in Schwarzweiß.”

Die vielen Bildbände in Farbe, die Hubmann später gestaltete, stehen dazu in keinem AViderspruch. Farbe kann ja, muß aber eben auch, einer künstlerischen Absicht dienen. Drum hat I lubmann schon früh die Modefotografie in Farbe geliebt. Da ist schon in dem, was die Wirklichkeit anbietet, der Zufall ausgeschlossen, jedes 1 )etail bewußt gestaltet.

Bis 1954 hat er wenig Gelegenheit, freizusetzen, was als Möglichkeit in ihm ist. Aber offenbar sind unter den „Wald- und Wiesenbildern”, die dem Fotografen der österreichischen

Fremdenverkehrswerbung schon „zum Hals heraushängen”, doch ein paar, die einem Karl Pawek auffallen. Irgendwann, irgendwo, sagt er zu Hubmann: „Würden Sie nicht ..,?” Gar manches beginnt ja ganz beiläufig. 1954 ist Hubmann im Grün-dungsteam der von Pawek geleiteten Zeitschrift „Magnum”. Sie ist mit ihrem radikalen intellektuellen Konzept und ihrem zupackenden Bildstil heute Legende. Was da gezeigt wird, ist auch dari Deutschen noch neu und wirkt, vergröbert und popularisiert, noch lang in der Illustriertenlandschaft der Bundesrepublik nach, auch wenn man dort österreichische Vaterschaften gar nicht gern zugibt. „Magnum” prägt mehr als einen neuen Bildstil - einen neuen Blickwinkel, ein neues Erleben der Wirklichkeit.

Franz Hubmann ist „der” Fotograf von „Magnum”. „Das war meine große Zeit” sagte er später über diese zwölf Jahre. Jedes Heft hat eine konkrete Themenstellung. Ballett, oder Theater, oder: Was ist schön?, oder: Was macht der Mensch mit seiner Freizeit? In „Magnum” erschienen auch, nicht im Auftrag, doch regelmäßig dort abgedruckt, Hubmanns berühmte Fotografien der französischen Maler. Er verschmäht es, sie mit Pinsel und Palette an der Leinwand abzulichten. Das erschiene ihm trivial. Wie bei seinen Bildern aus der Wiener Vorstadt, Bildern kleiner Leute, die, sich unbeobachtet glaubend, ihr Inneres preisgeben, so paßt er auch, mit der Kamera einem Picasso oder Vlaminck oder Chagall gegenüber, den Augenblick ab, in dem sich das Wesentliche preisgibt.

Er erscheint meist unangemeldet. Er steht vor der 'Tür, sagt, daß-er aus Wien kommt, vom „Magnum” - damals, in den fünfziger Jahren, lang, bevor die Touristen ausschwärmten, ging das noch so einfach. Selbst der kranke Vlaminck ließ sich mit dem Argument erweichen, man sei seinetwegen in die Bretagne gereist.

1 lubmann beherrschte die 'Technik längst mit jener Souveränität, die Voraussetzung dafür ist, daß es sich einer leisten kann, als Stilmittel zu verwenden, was andere vermeiden müssen. Unscharf fotografierte er den Kellner Ali im Cafe Hawelka, aber in dieser Unscharfe ist Dramatik, sie wird zum Signal für die Unwiederbringlichkeit eines Augenblicks. Das Bild wurde legendär. Auf einem anderen Hubmann-Bild begrüßt der nach Österreich heimgekehrte Kokoschka den Architekten Josef Hoffmann. Hoffmann ist scharf, Kokoschka im doppelten Sinne bewegt, bewegungsunscharf genau in dem Maß, daß man ihn noch erkennt...

Als „Magnum” nach genau zwölf Jahren einging, sattelte Hubmann auf Bücher um. „Wien, Vorstadt Europas” hieß das erste. Später kamen die Sammlungen liebevoll zusammengetragenen Bildmaterials, kam „Gute alte Zeit”, kam „Das k.u.k. Familienalbum”, kam „Das jüdische Familienalbum”. Hubmann bekam den Beinamen „Vater der Nostalgie”, wieder einmal war er mit etwas da, bevor es die Mode gab, die Welle.

Er warpin Leben lang dem Menschen auf der Spur, dem sich preisgebenden Inneren, aber er war, das muß heute betont werden, nie indiskret. Er hat die Privatsphäre respektiert und die Grenzen des Takts. „Es gibt Sachen, die der Hubmamr net fotografiert”, hat der einstige Chef des Zwanzgerhau-ses, Alfred Sch melier, auch er längst Legende, einmal gesagt. Hubmann war keiner jener Jagdhunde, die den Auslöser nicht in Rulle lassen können, wenn sie Blut sehen.

Das Waldviertel war früh seine Lebenslandschaft, die Gegend, die er liebte und in der er Atem schöpfte, wo er aber nie ein Haus hatte, weil er die Verhüttelung haßt, und wohl auch, weil er ein eingefleischter Großstädter ist. Einer seiner ersten Bildbände in Farbe war ganz dem Mohn gewidmet, den Blüten, Blättern, Kapseln, dem Feld in der Totale, bei 'Tag und, vor allem, in der „blauen Stunde”, wenn die Urlauber ihre Kameras längst weggesteckt haben. Er war stets auch ein Pionier dessen, was alsbald zum optischen Kleingeld verkam: Der Tele- und Weitwinkel-Effekte, der Fotografie bei minimalem Licht heute kommt das Schöpferische längst nicht mehr von der 'Technik, sondern nur noch von dort, wo das Bild entsteht, aus dem Kopf.

Manche Bilder des Buches „Wo die Träume wohnen” sind berauschend schön. Von den Mühen ihrer Entstehung verraten sie nichts. Der 83jähri-ge schleppt nicht mehr sechs bis acht Kilo Kameras und Optik tagelang durch die Gegend, hochbrechendes Glas ist bekanntlich schwer, sondern „nur” noch eine Leicaflex mit drei Objektiven, aber die rechte Schulter ist noch immer trainiert. Der Land schaftsfotograf ist sein eigenes Tragtier, auch dieses Buch ist redlich erwandert. Und den Verschluß mit der Viertelsekunde verwacklungsfrei aus der Hand auslösen wie vor 50 Jahren - auch das kann Franz Hubmann, wenn es sein muß, noch heute.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung