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Wiener Porträts

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Die Städtischen Sammlungen kaufen seit vielen Jahren Porträts von Persönlichkeiten des öffentlichen oder kulturellen Lebens unserer Stadt an; oft vergeben sie auch entsprechende Aufträge an diesen oder jenen Künstler. Solcherart verfügt die bedeutende, leider immer noch nicht in angemessenen Räumlichkeiten untergebrachte Sammlung über Porträts wohl der meisten Wiener Dichter, Politiker, Künstler und Gelehrten, die in den letzten zwanzig Jahren Rang oder Namen besessen haben und besitzen, eine Gemäldegalerie unserer geistigen Elite gewissermaßen, die dreierlei Zweck erfüllt: den Dargestellten zu ehren, Späteren ein Abbild seiner Persönlichkeit zu überliefern und schließlich der Gemeinde Gelegenheit zu geben, sich als Mäzen zu erweisen.

Ein großer Teil dieser Bilder ist nun in einer Ausstellung im Rathaus zu sehen..Dem, der am geistigen Leben Wiens interessiert ist, wird sie Freude bereiten; er begegnet den Porträts von Menschen, deren Namen er täglich hört und mit deren Werk und Wirken er sich auseinandersetzen muß. Auch Her Physiognomiker wird auf seine Rechnung kommen: es ist unverkennbar, wie sich innerhalb der vielen abgebildeten Individualitäten Typenkreise zusammenfinden. So weisen zum Beispiel die Köpfe der Politiker, ohne Rücksicht darauf, welchen Lagern sie angehören, untereinander Merkmale einer nicht zu übersehenden Verwandtschaft auf; die Gesichter der Dichter ähneln einander ebenfalls. Mell, Ginzkey und Petzold schließen sich unter ihren in anderen Gebieten tätigen Nachbarn trotz allen individuellen Unterschieden zu einer Gruppe zusammen. Ein Bildnis Hofmannsthals, das hier hängen müßte, existiert leider nicht. Das Porträt eines Fußballers scheint sich hingegen in dieser Umgebung nicht recht wohl zu fühlen und ist fehl am Platze.

Weniger werden Ansprüche künstlerischer Art erfüllt. Dies dürfte nicht mit einer fehlerhaften Vergebung der Aufträge Zusammenhängen, denn ungeachtet eines gewissen unverkennbaren Konservativismus und mancher schwacher Leistungen ist viel Gutes, Schönes und auch Virtuoses zu entdecken, wie etwa in den Porträts von Wilhelm Kaufmann oder Sergius Pauser. Trotz vielen hochstehenden Einzelleistungen befriedigt aber das Ensemble als Ganzes nicht: ein merkwürdiges Dilemma, das sich nur aus der Besonderheit des Auftrags einerseits unci der augenblicklichen Situation der Porträtmalerei andererseits zu verstehen ist. Der Forderung nach einem repräsentativen Porträt kann der Künstler heute nur schwer gerecht werden. Repräsentation erscheint dem Gegenwartsmenschen überflüssig, unpraktisch, wenn nicht lächerlich. Ein staatlicher oder städtischer Funktionär ist für ihn ein Mensch, der nicht eine schon konkretisierte Macht — wie etwa die eines Königs oder Feldherrn — repräsentiert, sondern vielmehr eine anonyme Macht, die des modernen Staates, vertritt. Dem Vertreter dieser anonymen staatlichen Macht ermangelt das Symbolhafte, man begreift ihn mehr als privaten Menschen, der nicht auf Grund einer höheren Berufung, sondern berufsmäßig eine Funktion ausübt. Stellt ihn der Künstler etwa mit herrscherlicher Miene dar, umgeben von Samtfalten und ähnlichem aristokratischen Beiwerk, so wird das nicht nur unzeitgemäß und stilwidrig, sondern auch ein wenig ungehörig wirken. Daher wendet sich der Besucher lieber jenen Bildern zu, die den Dargestellten als Privatmann in seinem Berufsmilieu zeigen.

Die größten Schwierigkeiten ergeben sich, wenn von einem Porträt Naturtreue verlangt wird. Die äußerliche Ähnlichkeit des Dargestellten mit seinem Porträt scheint dem Künstler unwesentlich. Worauf es ihm än- kommt, ist, hinter dem äußeren Schein, der ja subjektiv ist, die objektive Wirklichkeit festzuhalten, und sei es selbst um den Preis einer Negierung der äußeren Form; muß er aber auftragsgemäß wider sein besseres Wissen „naturgetreu" sein, so wird er ein Kompromiß schließen, das keinen Teil zufriedenstellt. Allerdings gehen wir aller Wahrscheinlichkeit nach einer Stilphase entgegen, die der formalen Seite des Kunstwerks wieder entscheidende Bedeutung einräumt. Auch dieser neue Stil wird weniger Wert auf Individualisierung als auf Typisierung des Dargestellten legen, wobei Typisierung in diesem Zu- zammenhang nicht als Schablonierung und Gleichmacherei zu verstehen ist, sondern als Befreiung vom Zufälligen. Ein oder das andere Beispiel für diesen Entwicklungsgang kann man jetzt schon nennen: so das Porträt Carl Molls von Herbert Boeckl oder die Kohlezeichnungen de hochbegabten Walter Eckert. Sie beweisen, daß dem Porträt noch viele Möglichkeiten offenstehen.

Die Porträtsammlung der Stadt Wien — in ihrer Art wohl einzig dastehend —, besitzt außerordentlichen dokumentarischen Wert. Ein gutes Stück österreichischer Kulturgeschichte ist an ihr abzulesen. Ein kleiner Schritt noch und ihr wäre überdies noch eminente künstlerische Bedeutung zuzumessen.

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